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Der SFV wird für die WM 2034 in Saudi-Arabien stimmen

Dominique Blanc, president of the Swiss football federation, attends a press conference at the "Stadion auf der Waldau" in Stuttgart, Germany, Sunday, July 7, 2024.(KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Dominique Blanc erklärt im Interview, wieso der SFV bei der Vergabe der WM-2034 für Saudi-Arabien stimmen wird.Bild: keystone

Jetzt spricht der Schweizer Fussballboss: «Darum geben wir Saudi-Arabien unsere Stimme»

Am Mittwoch wird der Schweizer Verbandspräsident Dominique Blanc für eine WM 2034 im Wüstenstaat votieren. Warum das kein Freifahrtschein für Saudi-Arabien ist, erklärt der Lausanner im Interview mit CH Media.
10.12.2024, 11:02
François Schmid-Bechtel und Sebastian Wendel / ch media
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Dominique Blanc, wie verhält sich der Schweizerische Fussballverband in der Abstimmung für die WM 2034 in Saudi-Arabien? Stimmt er zu, enthält er sich oder stimmt er dagegen?
Dominique Blanc: Wir werden beide Kandidaturen unterstützen. Jene für 2030 in Uruguay, Argentinien, Paraguay, Marokko, Spanien und Portugal. Aber auch jene für 2034 in Saudi-Arabien, mit der wir uns sehr intensiv auseinandergesetzt haben.

Warum stimmen Sie der umstrittenen WM 2034 in Saudi-Arabien zu?
Nun, wir tun dies nicht bedingungslos. Wenn wir es mit einer Verkehrsampel vergleichen, geben wir Saudi-Arabien gelbes Licht.

Warum Gelb?
Weil die Situation bei den Menschenrechten noch nicht an einem Punkt ist, der für uns vollumfänglich zufriedenstellend ist.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Wir haben am 29. November das Dossier erst erhalten. Es ist sehr umfangreich, umfasst zirka 1000 Seiten. Wir haben dieses in grosser Eile durchgearbeitet. Die FIFA kommt dabei zum Schluss, dass die Ansprüche an die Menschenrechtssituation knapp erfüllt sind. Aber Saudi-Arabien verpflichtet sich in diesem Dossier auch, begleitet von der FIFA und unabhängigen Organisationen, die Situation in Sachen Menschen- und Arbeitsrecht zu verbessern.

Sie haben Montagabend einen Brief an die FIFA versandt. Was steht da drin?
Wir erwarten von der FIFA, dass sie das Engagement und die Versprechen seitens Saudi-Arabiens ganz genau begleiten soll. Und zwar auch von unabhängigen Organisationen. Und wir haben der Fifa angeboten, dabei unseren Beitrag zu leisten. Es geht um unabhängige Rekurs- und Kontrollinstanzen. Kurz: Unsere Ansprüche und Forderungen gehen über das hinaus, was 2022 in Katar war.

Ist das schon alles?
Nein. Wir fordern im Brief das Recht auf freie Meinungsäusserung und umfassenden Schutz vor Diskriminierung. Wir nehmen die FIFA in die Pflicht, in Saudi-Arabien ganz genau hinzuschauen, unabhängige Organisationen und Rekursstellen einzurichten und sofort zu intervenieren, wenn die Entwicklung in eine falsche Richtung läuft oder Versprechen nicht eingehalten werden.

FILE - Fireworks explode as Argentina's team receives the trophy at the end of the World Cup final soccer match between Argentina and France at the Lusail Stadium in Lusail, Qatar, on Dec. 18, 20 ...
Bereits die WM in Katar sorgte für viel Kritik.Bild: keystone

Warum enthält sich der SFV nicht der Stimme?
Wir haben uns in den letzten Wochen sehr intensiv mit dem Thema befasst. Wir haben uns mit verbündeten Verbänden aus der UEFA und der FIFA ausgetauscht, mit internationalen NGO's, mit dem saudi-arabischen Fussballverband und mit dem Departement für Äusseres (EDA). Wir haben ein Maximum an Informationen eingeholt. Dazu gehört auch der Evaluationsbericht der FIFA. Ein vertrauenswürdiges Papier, das kritisch die sensiblen Punkte wie Menschenrechte benennt. Wir sind ohne Vorurteile in diesen Prozess gegangen und zum Schluss gekommen, dass wir dieser Kandidatur mit Vorbehalten zustimmen können.

Amnesty International beispielsweise kann nicht verstehen, wie man einer WM in einem autokratischen Unrechtsstaat zustimmen kann.
Es gibt so viel Inputs von den NGO's. Amnesty war hier, wir haben mit ihnen gesprochen. Und ihnen aber auch gesagt, dass wir uns für einen Sportanlass entscheiden.

Das dürfte Amnesty nicht versöhnlich gestimmt haben.
Vielleicht nicht. Aber wir müssen auch sehen, was wir in den letzten Jahren hingekriegt haben. Die Themen Menschenrechte und Nachhaltigkeit sind bei der FIFA erst 2016 in den Bewerbungsprozess aufgenommen worden. Es ist aus unserer Sicht sicher noch nicht perfekt. Aber wir müssen ein Stück weit auch darauf vertrauen können, was uns versprochen wird.

Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie den Versprechungen Saudi-Arabiens vertrauen?
Wir beim SFV haben eine hohe Sensibilität für Themen wie Menschenrechte und Nachhaltigkeit. Wir ignorieren die Welt ausserhalb des Fussballfeldes nicht. Aber wir sind ein Sportverband und keine politische Organisation. In Saudi-Arabien gibt es Formel 1, Golf, Tennis, viele grosse Events. Stört sich jemand daran? Ich höre keine Proteste. Aber wenn die Fussball-WM 2034 in Saudi-Arabien stattfindet, gibt es einen Aufschrei. Auch hier, in der Schweiz.

Drängen Sie jetzt in die Opferrolle?
Nein, aber die offizielle Schweiz pflegt gute und dauerhafte Beziehungen zu Saudi-Arabien. Vielleicht sind auch da mal Menschenrechte am Rande ein Thema. Aber hauptsächlich geht es doch um Handelsbeziehungen, Wissenschaft, um Business. Es gibt mehr als 100 Schweizer Firmen in Saudi-Arabien.

«Katar hat gezeigt: Der Fussball kann die Fortschritte in Bezug auf Menschenrechte beschleunigen.»

Trotzdem scheint es, als würden Sie sich an der moralischen Aufgabe stören, die viele vom Fussball erwarten.
Auch Katar hat gezeigt: Der Fussball kann die Fortschritte in Bezug auf Menschenrechte beschleunigen. Aber er kann das nicht allein. Und man kann nicht erwarten, dass der Fussball alte Gewohnheiten oder Probleme, wie wir sie nennen, sofort lösen oder beheben kann.

FIFA President Gianni Infantino, right, talks to Switzerland's soccer federation president Dominique Blanc, left, before the UEFA Nations League soccer match between Switzerland and Serbia at the ...
Dominique Blanc und Gianni Infantino zusammen auf der Tribüne.Bild: keystone

Sie nennen Katar als positives Beispiel. Aber was passiert, wenn die WM-Scheinwerfer aus sind, die Welt nicht mehr hinschaut?
Das weiss ich nicht. Aber das Vermächtnis der WM 2022 ist nicht schlecht. Das Kafala-System, das die Beziehung zwischen ausländischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern regelt, wurde revolutioniert. Es wurde auch ein Mindestlohn und ein 50-Millionen-Fonds für Entwicklungsprojekte, den wir gefordert haben, eingeführt.

Sie forderten aber auch einen Fonds für die Opfer der WM-Baustellen.
Ja, aber diesen gibt es leider noch immer nicht. Am Donnerstag werden wir bei der FIFA eine Sitzung zu diesem Thema haben. Und unsere Haltung ist unverändert: Wir erwarten von der FIFA dass sie diesen Fonds einrichtet.

Deutschlands Nationalelf zerbrach in Katar unter dem Druck aus der Heimat, politische Zeichen zu setzen. Nun macht sich in der Welt des Fussballs kaum Widerstand breit gegen Saudi-Arabien.
Saudi-Arabien hatte schon im September 140 Verbände als Unterstützer. Meine Haltung ist: Man sollte anderen keine Lektionen erteilen, ihnen die eigenen Werte aufzwingen. Fakt ist, dass es ausserhalb von Westeuropa praktisch von überall Zustimmung oder gar Applaus für die WM in Katar gab.

Sie hingegen werden keinen Applaus erhalten für die Unterstützung Saudi-Arabiens.
Das mag sein und ist uns bewusst. Aber man kann uns nicht vorwerfen, im Vorfeld zu wenig Informationen eingeholt und Interessengruppen angehört zu haben. So konnten wir im Brief an die FIFA konkrete Kritikpunkte und Erwartungen formulieren, statt lediglich pauschal unsere Bedenken zu äussern. Unser «Ja» ist kein Freifahrtschein für Saudi-Arabien, sondern eine Zustimmung mit «Aber».

Mit Verlaub: Spätestens wenn die WM vergeben ist, werden sich die FIFA und Saudi-Arabien einen Deut um den Mahnfinger der Schweizer scheren.
Unsere Forderung ist die Einbindung weiterer Rekurs- und Kontrollinstanzen in den kommenden zehn Jahren. Das verlangen wir in unserem Schreiben an die FIFA mit Nachdruck. Sehen Sie: In der Zeit zwischen der Vergabe der WM in Katar im Jahr 2010 und der Durchführung im Jahr 2022 hat sich nachweislich vieles im Land verbessert. Obwohl die FIFA damals in den Bewerbungsdossiers keine Auskünfte zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit verlangte. Übrigens, darf ich ein Beispiel nennen …

«Wir müssen auf die Inhalte und Versprechungen in den Bewerbungsunterlagen von Saudi-Arabien vertrauen»

Ja bitte!
In der Bewerbung des SFV für die Frauen-EM 2025 stellten wir Gratis-ÖV für alle Matchbesucherinnen und -besucher in Aussicht. Als nach der Zusage der Bundesrat die staatliche Unterstützung von den ursprünglich in Aussicht gestellten 15 Millionen Franken auf vier Millionen senkte, standen wir kurzzeitig blöd da vor der UEFA, weil die Finanzierung des Gratis-ÖV nicht mehr garantiert war. Was ich damit sagen will: Wir müssen auf die Inhalte und Versprechungen in den Bewerbungsunterlagen von Saudi-Arabien vertrauen – im Wissen, dass in den kommenden zehn Jahren Veränderungen eintreten können. Noch etwas: Raten Sie mal, wie hoch die Frauenquote in der Belegschaft des saudi-arabischen Fussballverbands ist.

Wenn Sie so fragen: Höher als man meint.
40 Prozent. Im SFV sind es 35 Prozent. Der Generalsekretär des saudi-arabischen Fussballverbands hat in unserer Sitzung versichert, dass alle Menschen, die an die WM kommen, mit einem Lächeln begrüsst werden. Und dass sie niemanden nach der sexuellen oder religiösen Ausrichtung befragen oder deswegen diskriminieren werden.

Man kann es auch so sehen: Entweder Saudi-Arabien oder gar keine WM 2034. Warum lassen sich die FIFA-Mitglieder von Saudi-Arabien kaufen?
Seit einiger Zeit gibt es zwischen den FIFA-Konföderationen die Abmachung, dass die WM-Turniere im Turnus an die Kontinente vergeben werden. 2034 ist Asien dran – und von dort kommt die einzige Bewerbung aus Saudi-Arabien.

Die UBS, VW und die Swiss sind nicht nur Sponsoren des Schweizerischen Fussballverbandes; für diese Firmen ist Saudi-Arabien ein wichtiger Geschäftspartner. Haben sie Druck ausgeübt?
Nicht im Geringsten.

Was ist mit dem EDA und dem Seco – haben sie geraten, Saudi-Arabien zu unterstützen?
Wir haben beim EDA mündlich und schriftlich um einen Austausch gebeten. Die Rückmeldung war der Verweis auf die öffentlich einsehbaren Dokumente zu Saudi-Arabien.

epa11411944 Dominique Blanc, president of the Swiss Football Association looks on before the UEFA EURO 2024 group A match between Hungary and Switzerland in Cologne, Germany, 15 June 2024. EPA/YOAN VA ...
Dominique Blanc bleibt bis im Sommer 2025 SFV-PRäsident.Bild: keystone

Dort steht unter anderem: «Saudi-Arabien ist wegen seiner Rolle in der Weltwirtschaft (…) ein wichtiger Partner für die Schweiz.» Der Aufschrei, dass Saudi-Arabien der viertgrösste Absatzmarkt für Rüstungsgüter aus der Schweiz ist, bleibt aus. Aber für die Stimme des SFV für eine WM in Saudi-Arabien wird es Kritik hageln. Wird vom Fussball zu viel verlangt?
Das ist das Los der populärsten Sportart der Welt. Das kann ich akzeptieren, auch dass wir uns dadurch mehr erklären müssen als andere Branchen. Unsere Aufgabe als SFV-Zentralvorstand ist es, Entscheidungen zum Wohl des Schweizer Fussballs zu treffen.

Apropos: Votiert der neunköpfige SFV-Zentralvorstand einstimmig für eine WM in Saudi-Arabien?
Wie in jedem demokratischen Gremium gibt es auch bei uns Diskussionen. Es gab viele Bedenken, und erst der FIFA-Bericht, den wir vor Ende November erhalten haben, hat die Richtung für ein «Ja» vorgegeben. Es gab eine Abstimmung mit klarem Resultat.

Die FIFA hat angekündigt, über die beiden Bewerbungen für die Weltmeisterschaften 2030 und 2034 «en bloc» per Akklamation abstimmen zu lassen. Wie steht der SFV zu diesem Prozedere?
Auch dazu haben wir unsere Meinung bei der FIFA schriftlich eingebracht. Wir gehen zum Schutz der freien Willensbildung und -äusserung der teilnehmenden Verbände davon aus, dass vor der Abstimmung zumindest die Frage aufgeworfen wird, ob die statutarisch erforderliche Mehrheit der stimmberechtigten Verbände mit diesem Vorgehen einverstanden ist. Dies entspricht unserer Vorstellung von einem echten demokratischen Verfahren und auch dem Geist der FIFA-Statuten.

FIFA WM 2030 in sechs Ländern
Die Weltmeisterschaft 2030 wird aller Voraussicht nach an Paraguay, Argentinien, Uruguay, Marokko, Portugal und Spanien vergeben.Bild: fifa

Mit der Erfahrung aus Katar: Welchen Rat geben Sie Ihren Nachfolgern vor der Abreise der SFV-Delegation in zehn Jahren nach Saudi-Arabien?
Erst einmal muss sich die Schweiz für die WM 2034 qualifizieren. Mein Rat? Spielt so erfolgreichen Fussball wie möglich!

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Der Micha
10.12.2024 10:50registriert Februar 2021
Ich bin immer erstaunt wie scharmlos man lügen kann.

"Weil die Situation bei den Menschenrechten noch nicht an einem Punkt ist, der für uns vollumfänglich zufriedenstellend ist."

Dies ist z.B ziemlich harmlos ausgedrückt. Allein WEGEN der Situation mit den Menschenrechte sollte man die WM nicht an Saudi Arabien geben.

Es ist doch klar, dass hier mal wieder das Geld regiert.
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insert_brain_here
10.12.2024 10:54registriert Oktober 2019
Klar, und wenn es 2032 in Saudi Arabien immer noch keine Demokratie, Recht auf freie Meinungsäusserung, Rechtsstaatlichkeit usw. gibt wird die WM abgeblasen? Also so wie damals in Katar?
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Rikki-Tiki-Tavi
10.12.2024 11:08registriert April 2020
So viele Gründe für ein "Ja" an Saudi Arabien, so viele Tätigkeiten, um es zu rechtfertigen. Härzig. Ein Wort hätte genügt: "Kohle". Oder "Mammon". Oder gar nur ein Zeichen: "$".
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