Will man Kylian Mbappés bisherige Zeit bei Real Madrid zusammenfassen, dient das Spiel gegen Athletic Bilbao vom vergangenen Mittwoch als perfekte Metapher. Der 25-Jährige war in der Offensive omnipräsent, doch sprang dabei wenig heraus. Er brachte sein Team vermeintlich in Führung, nur wurde ihm der Treffer einmal mehr aberkannt. Sein Schuss führte zum Abpraller, den Jude Bellingham zum Ausgleich nutzte, vom Elfmeterpunkt war er zuvor aber gescheitert. Am Ende war Mbappé bei der 1:2-Niederlage trotz aller Bemühungen die tragische Figur.
«Er ist traurig», sagte Trainer Carlo Ancelotti nach dem Spiel. Mbappé sei nicht in Bestform, doch man müsse ihm Zeit geben. «Er kann besser sein, natürlich, aber er arbeitet daran», so der 65-jährige Italiener. Mbappé selbst schrieb in den sozialen Medien: «Ein grosser Fehler in einem Spiel, in dem jedes Detail zählt. Dafür übernehme ich die volle Verantwortung.» Es sei ein schwieriger Moment, aber «die beste Zeit, um die Situation umzuwenden und zu zeigen, wer ich bin».
Als er im Sommer bei den Königlichen unterschrieb, ging für den Franzosen ein Kindheitstraum in Erfüllung. Im Santiago Bernabeu wurde der Wunschspieler von Real-Präsident Florentino Perez von 85'000 Fans mit Pauken und Trompeten empfangen. Fans anderer Klubs befürchteten, dass der Champions-League-Sieger nun endgültig in einer Klasse für sich spielen könnte. Ein halbes Jahr später sieht die Realität aber anders aus.
Denn noch immer ist Mbappé in Madrid nicht richtig angekommen, bisweilen wirkt er im Spiel von Real wie ein Fremdkörper. Dies liegt auch daran, dass er auf der ungeliebten Position als Mittelstürmer auflaufen muss, da Vinicius Junior auf dem linken Flügel gesetzt ist. Mit dem Brasilianer harmoniert Mbappé bisher noch nicht wie gewünscht – das gilt auch für andere Mitspieler wie Jude Bellingham. Probleme bereitet Real Madrid ausserdem, dass weder Mbappé noch Vinicius wirklich nach hinten arbeiten, was auch bei Kontern schadet. So lässt sich Mbappé selten fallen und agiert oft nahe der Abseitslinie. Das erklärt auch, weshalb ihm bereits fünf Tore aberkannt wurden und er alleine im Clasico achtmal zurückgepfiffen wurde.
Aktuell fehlt Vinicius verletzt, und schon zuvor tauschte Ancelotti die Positionen der beiden mal. In den beiden Spielen auf dem linken Flügel zeigte Mbappé mitunter seine besten Leistungen und traf jeweils einmal. Das Ziel sollte aber sein, dass die beiden Superstars die Offensive Real Madrids gemeinsam anführen. Ancelotti stellte klar: «Kylian hat mich nie um eine bestimmte Position gebeten. Er will einfach in der Startformation sein.» Die Spieler hätten ausserdem keine festen Positionen und könnten während des Spiels auch wechseln.
Insgesamt kommt Mbappé zwar bereits auf zehn Tore und er bereitete zwei weitere vor, doch fiel er auch mit vielen vergebenen Chancen auf. Gegen Bilbao ging er mit seinen Möglichkeiten erneut verschwenderisch um. Gemäss Expected Goals müsste Mbappé bereits 4,7 Tore mehr erzielt haben – und das liegt nicht nur an den beiden vergebenen Penaltys gegen Bilbao und eine Woche zuvor gegen Liverpool.
Dies drückt Mbappé aufs Selbstbewusstsein, wie schon an seiner Körpersprache auf dem Feld zu erkennen ist. Vor knapp zwei Jahren war er im WM-Final gegen Argentinien noch der beste Spieler – nun schlurft er ab und an wie ein Häufchen Elend über den Platz. Im Trikot seiner Träume ist er nur ein Schatten seiner selbst.
Aus diesem Grund prasselt derzeit viel Kritik auf Mbappé ein. Der ehemalige Marseille- und PSG-Goalie Jérôme Alonzo sagte bei «L'Équipe» über den Auftritt gegen Bilbao: «Er war katastrophal. Taktisch, technisch, physisch.» Die Sportzeitung «Marca» befand, der Superstar sehe «langsam aus wie in einem Horrorfilm». Auch die französische Fussball-Legende Michel Platini kritisierte: «Er verliert sich auf dem Platz.»
Möglicherweise leidet Mbappé aber auch an der allgemeinen Schwäche von Real Madrid. Im Vergleich zur Vorsaison fehlt den Madrilenen im Mittelfeld etwas die Kontrolle. Die ordnende Hand von Toni Kroos wird schmerzlich vermisst. Ausserdem fehlen auch die Leaderfiguren. Neben Kroos ging auch Captain Nacho Fernandez, Dani Carvajal fehlt verletzt. Jude Bellingham versucht zwar voranzugehen, doch ist es ein Hindernis, dass er noch nicht fliessend Spanisch spricht. Anders als Mbappé, der derzeit aber zu beschäftigt mit seiner eigenen Leistung ist.
In der «Marca» werden deshalb auch Ancelotti und sein System kritisiert. Der Trainer versuche, sein Team so weiterspielen zu lassen wie in der Vorsaison, und ignoriere den Fakt, dass mit Kroos der Mann mit dem Plan weg sei. Nach jeder Niederlage – in dieser Saison sind es bereits fünf und damit drei mehr als in der gesamten Vorsaison – erkläre er zwar, dass das Problem erkannt sei. Nur würden die von Ancelotti formulierten Lösungen nicht funktionieren.
Auch «L'Équipe»-Experte Stéphane Guy glaubt, dass Mbappé nur ein Teil des Problems bei den Königlichen sei. «Es ist bestürzend, wie Real Madrid derzeit spielt», sagte dieser. Die Krise ausschliesslich an Mbappé festzumachen, greift in seinen Augen also zu kurz.
Im Team ist die Meinung eindeutig. Jude Bellingham sagte vor der 0:2-Niederlage in Liverpool: «Die Kritik an Kylian ist übertrieben. Er trägt viel Positives bei. Was ich im Training von ihm sehe, ist furchterregend.» Luka Modric fügte zudem an, dass das erste Jahr in Madrid nie leicht sei. «Er hat unser Vertrauen und er weiss, wie er da rauskommt: das Selbstvertrauen nicht verlieren und jeden Tag hart arbeiten.» Auch die Fans im Bernabeu stehen noch immer hinter Mbappé, wie sie zuletzt mit Sprechchören untermauerten. Dass er sich voll reinschmeisst, ist von allen aus dem Team zu vernehmen.
Deshalb lässt auch Goalie Thibaut Courtois keine Zweifel daran aufkommen, dass sich Mbappés Qualität früher oder später durchsetzen wird. Dabei verglich der Belgier den Torstau des Stürmers mit einer Ketchupflasche: «Irgendwann kommt alles auf einmal raus. Das wird bei ihm passieren.» Davon ist auch Trainer Ancelotti überzeugt: «Die schlechte Phase geht vorbei, das passiert allen grossen Stürmern. Seine Qualität ist enorm.» Vielleicht zeigt er diese ja schon am Samstagabend (21 Uhr) in Girona.