Vladimir Petkovic ist der erfolgreichste Nationaltrainer der Neuzeit. Dreimal hintereinander hat er die Schweiz nun an ein grosses Turnier geführt und auch sein Punkteschnitt kann sich sehen lassen: Mit 1,87 Punkten pro Spiel liegt er vor seinen berühmten Vorgängern Ottmar Hitzfeld (1,77), Köbi Kuhn (1,51) und Roy Hodgson (1,81).
Der 56-jährige Tessiner hat das Nationalteam taktisch noch einmal einen Schritt weitergebracht: Neben dem etablierten 4-4-2 hat er mit der Dreier- bzw. Fünferkette ein neues System eingeführt und etabliert. Ausserdem führt Petkovic ständig neue Spieler an die Nati heran und sorgt so für einen fliessenden Umbruch.
Und doch ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen: In der Kommunikation hat Petkovic seine Schwächen. Das offenbarte sich zuletzt vor allem in Krisenzeiten wie im Fall Doppeladler, im Fall Behrami oder im Fall Shaqiri. So ist der Mediendruck auf den Trainer stets gewachsen, mittlerweile fordern die drei grössten Schweizer Tageszeitungen gar seinen Kopf.
Wie weiter also mit Petkovic? Der Nati-Trainer zieht am 13. Dezember seine Jahresbilanz. Spätestens bis dann muss der Verband wissen, ob man mit Petkovic über die EM 2020 hinaus verlängern oder einen Neuanfang beginnen will.
Kevin Mbabu, Albian Ajeti, Djibril Sow, Christian Fassnacht, Léo Lacroix, Loris Benito, Noah Okafor, Ruben Vargas, Cedric Itten, Eray Cömert, Michel Aebischer – diese elf Feldspieler haben seit dem Beginn der Nations League im letzten September unter Vladimir Petkovic ihr Natidebüt gefeiert. Ihre Einsätze wurden allerdings vor allem deshalb möglich, weil zuletzt nicht weniger als zehn erfahrene Spieler fehlten. Doch Petkovic weiss, wie Umbruch geht: Junge Spieler wie Manuel Akanji, Denis Zakaria oder Nico Elvedi haben sich unter ihm zu Stammspielern entwickelt.
Petkovic versucht kontinuierlich, neue und frische Kräfte in sein Team einzubauen, und schreckt dabei auch vor unpopulären Massnahmen nicht zurück. So wurden nach der WM 2018 in Russland die Teamstützen Stephan Lichtsteiner und Valon Behrami nicht mehr aufgeboten, um den Jungen in der Nations League die Chance zu geben, sich zu zeigen.
Dass Behrami dies in den falschen Hals gekriegt hat, ist nur zur Hälfte Petkovics Fehler. Doch in der Sache behält der Nati-Trainer auf jeden Fall recht. Wie der ehemalige Sozialarbeiter junge, hungrige Spieler Schritt für Schritt näher an die Nationalmannschaft heranführt, zeugt von Weitblick. Zwar werden nicht alle Debütanten zu Leistungsträgern aufsteigen, aber durch die frühe Integration werden es diejenigen, die das Potenzial dazu haben, deutlich einfacher haben.
Nach Okafor, Cömert, Itten und Vargas können Kevin Rüegg, Bastien Toma, Marvin Spielmann, Leonidas Stergiou und Gregor Kobel die nächsten jungen Wilden sein, die an die Türe klopfen werden.
Xherdan Shaqiri ist der talentierteste Fussballer der Schweizer Nati. Ohne den unberechenbaren «Kraftwürfel» fehlt es in der Offensive an Durchschlagskraft und Kreativität. Dumm nur, dass der Liverpool-Söldner in der EM-Qualifikation keine einzige Minute auf dem Platz stand. Klar, es ging dieses Mal auch ohne Shaqiri. Die Schweiz hat sich sogar als Gruppensieger für die EM qualifiziert, doch gerade in schwierigen Momenten wie beim «Finale» gegen Irland oder beim «Knorz» gegen Georgien fehlten seine Ideen an allen Ecken und Enden.
Nach dem freiwilligen Nati-Verzicht im September fehlte er gegen Georgien und gegen Gibraltar mal wieder wegen einer Muskelverletzung, mittlerweile trainiert er in Liverpool aber wieder mit der Mannschaft. Mit Petkovic soll sich Shaqiri ausgesprochen und ihm dabei den Willen, weiterhin alles für die Nati zu geben, signalisiert haben. Gut so, denn mit Shaqiri – in Topform wohl verstanden – ist die Nati gleich noch einmal eine Klasse besser.
Trotz 19 Treffern in acht Spielen – der Sturm bleibt sportlich gesehen die grösste Nati-Baustelle. Denn zehn Tore erzielte die Schweiz allein in den beiden Partien gegen Gibraltar. Dass 15 verschiedene Spieler in der EM-Kampagne getroffen haben, mag auf den ersten Blick für die Breite im Schweizer Kader sprechen. Es ist aber vor allem auch ein Beweis dafür, dass der grosse Knipser fehlt.
Mit drei Toren ist Cedric Itten der beste Schweizer Torschütze in dieser EM-Qualifikation, dahinter folgen mit je zwei Treffern Granit Xhaka und Denis Zakaria – zwei defensive Mittelfeldspieler. Die grosse Frage deshalb: Wer soll an der EM-Endrunde die Tore schiessen, wenn die Schweizer Gegner nicht mehr Georgien oder Gibraltar heissen?
Haris Seferovic oder Breel Embolo? Unermüdliche Kämpfer, aber keine Goalgetter. Josip Drmic oder Albian Ajeti? Fast ohne Spielpraxis und deshalb auch ohne Selbstvertrauen. Mario Gavranovic oder Eren Derdiyok? Spielen in den Plänen von Petkovic höchstens eine Nebenrolle. Cedric Itten, Noah Okafor oder Ruben Vargas? Müssen sich gegen hochkarätige Gegner erst noch beweisen. Bleibt eigentlich nur einer übrig und der heisst Xherdan Shaqiri.
«Winter is coming!» Und das ist gut so – zumindest für die Schweizer Nati. Viele Stammkräfte haben in ihren aktuellen Klubs ihren Stammplatz verloren und erhielten zuletzt kaum Einsatzminuten. Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri, Ricardo Rodriguez sind die bekanntesten Namen, die Liste lässt sich problemlos verlängern. Auch Michael Lang (Bremen), Kevin Mbabu (Wolfsburg), Albian Ajeti (West Ham), Josip Drmic (Norwich) sind bei ihren Klubs nur zweite Wahl.
Im Gegensatz zu Lang und Co. sind Xhaka, Shaqiri und Rodriguez unersetzbar. Im Januar-Transferfenster haben sie die letzte Chance vor der EM, sich einen neuen Klub zu suchen. Im Fall von Shaqiri würde sich ein Leihgeschäft anbieten. Gemäss englischen Medienberichten soll er Liverpool seinen Wechselwunsch bereits mitgeteilt haben.
Etwas komplizierter gestaltet sich der Fall bei Xhaka. Seit seiner «Fuck off»-Tirade gegen die eigenen Fans ist er bei Arsenal unten durch. Trainer Unai Emery hat ihn längst fallen lassen, doch Xhaka will sich durchbeissen und lehnt einen Wechsel ab. Rodriguez hat seinen Stammplatz bei Milan an Theo Hernandez verloren, ihn sollen gleich mehrere türkische Klubs umwerben.
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