Kaum hat der Schiedsrichter die Partie abgepfiffen, geht Cristiano Ronaldo auf direktem Weg in die Kabine. Lässt sich auch von einem Fan, der aufs Feld gestürmt ist, nicht von seinem Weg abbringen. Schaut kaum nach links oder rechts. Als er das Spielfeld verlassen hat, schiessen ihm Tränen in die Augen. In diesem Moment dürften ihm viele Gedanken durch den Kopf gehen. Im Vordergrund steht aber wahrscheinlich das Ende seines grössten Traums.
Die 0:1-Niederlage gegen Marokko dürfte nämlich Ronaldos letzte Partie an einer Weltmeisterschaft gewesen sein. Bei der nächsten WM wäre er bereits 41 Jahre alt. Ronaldo wird mit allergrösster Wahrscheinlichkeit also nicht mehr Weltmeister – und damit den einzigen wichtigen Titel, den er nicht schon gewonnen hat, nicht mehr zu seinem Palmares hinzufügen können. Am Tag nach dem Aus schreibt Ronaldo bei Instagram: «Es war der grösste und ehrgeizigste Traum meiner Karriere. Ich habe hart dafür gekämpft, aber leider ist der Traum gestern geplatzt.» Wie stark ihn das mitnimmt, wurde bereits beim Betrachten der Bilder nach Schlusspfiff sofort klar. Das Viertelfinal-Aus ist ein weiterer Schock nach aufwühlenden letzten Wochen und Monaten.
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Kurz vor dem WM-Start hat Ronaldo in einem Interview mit Piers Morgan harsche Kritik an den Verantwortlichen seines Klubs Manchester United und dessen Trainer Erik ten Hag geübt. «Ich fühle mich vom Klub verraten», sagte der Stürmer dort. Und er fügte an: «Ich respektiere ten Hag nicht, weil er mich nicht respektiert. Wenn man mir nicht mit Respekt begegnet, werde ich der anderen Person ebenfalls keinen Respekt zeigen.»
Der Konflikt zwischen Spieler und Trainer schwelte bereits seit Beginn der Saison, als Ronaldo nach seiner Auswechslung im letzten Testspiel das Stadion verliess und ten Hag ihn anschliessend kritisierte. Danach sass Ronaldo häufig nur auf der Bank. Nach dem Interview wurde beiden Parteien schnell klar, dass die Beziehung Ronald-Manchester United enden muss. Und so überraschte es auch nicht, dass der Vertrag zwischen dem Premier-League-Klub und dem Portugiesen eine Woche später aufgelöst wurde, obwohl Ronaldo trotz Wechselwunschs im Sommer ein Transfer noch verwehrt blieb. Nun ist Ronaldo erstmals in seiner Karriere ohne Vertrag.
Das dürfte aber nicht lange so bleiben. Während der WM wurde Ronaldos Wechsel nach Saudi-Arabien von der Marca als fix vermeldet. Der fünffache Weltfussballer habe sich mit Al-Nassr auf einen Vertrag bis Juni 2025 geeinigt, der ihm insgesamt rund 500 Millionen Euro einbringen werde. Das verneinte Ronaldo aber nach dem Erfolg gegen die Schweiz. Und trotzdem scheint es nicht unrealistisch, dass Ronaldo ab Januar in Saudi-Arabien spielt.
Finanziell wird kein europäischer Klub mit dem Angebot von Al-Nassr mithalten können. Und wer will Ronaldo überhaupt? Der Portugiese sprach im Sommer noch davon, dass er weiter auf dem höchsten Level spielen wolle. Vor allem wollte er weiter in der Champions League spielen, um seinen Rekord von 140 Toren in der «Königsklasse» weiter auszubauen und vor allem seinen Konkurrenten Lionel Messi mit 129 Toren auf Distanz zu halten. Doch es kam kein passendes Angebot von einem Team, das in der Champions League spielt und Ronaldos Gehalt stemmen kann. Und nun deutet sich an, dass Messi im Sommer nach Miami wechseln könnte und Ronaldos Rekord somit erst einmal gesichert wäre.
Gemäss Transfer-Experte Fabrizio Romano wolle Ronaldo zwar lieber in Europa spielen, aber er werde das Angebot von Al-Nassr gemeinsam mit seinen Anwälten genau prüfen. Und je länger sich kein europäischer Topklub anschickt, ihm einen Vertrag anzubieten, desto wahrscheinlicher wird ein Wechsel zum neunfachen saudi-arabischen Meister.
Es bleibt abzuwarten, wer sich noch in das Rennen um den 37-jährigen Stürmer einschaltet. Bisher gab es vor allem Absagen – unter anderem von Real Madrid, Bayern München oder PSG. Auch Napoli, denen Ronaldo von seinem Berater Jorge Mendes im Sommer ebenfalls angeboten wurde, wird wohl kaum grosses Interesse daran haben, mit einem Ronaldo-Transfer die hervorragende Team-Zusammensetzung zu gefährden. Chelsea-Besitzer Todd Boehly schien im Sommer noch am ehesten interessiert, nur war der damalige Trainer Thomas Tuchel gegen einen Kauf des United-Stars. Ob die «Blues» Ronaldo nach einer eher schwachen Hinrunde weiterhin verpflichten möchten, muss sich erst noch zeigen.
In jedem Fall hat Ronaldo in den letzten Monaten deutlich an Strahlkraft eingebüsst. Nicht nur bei Manchester United, wo er im August 2021 noch wie ein grosser Heilsbringer gefeiert wurde, war er in den letzten Spielen nicht mehr erste Wahl. Bei Portugal wurde er nach der Gruppenphase ebenfalls auf die Ersatzbank verbannt. Bereits nach dem letzten Vorrundenspiel gegen Südkorea kritisierte Trainer Fernando Santos seinen Spieler. Ronaldo hatte seinen Gegenspieler Cho Gue-sung angewiesen: «Sei still, denn du hast keine Autorität darüber.» Cho hatte Ronaldo bei dessen Auswechslung gesagt, dass er den Platz schneller verlassen solle. Santos' Reaktion fiel klar aus: «Sein Verhalten hat mir überhaupt nicht gefallen.»
Ob Ronaldos Streichung aus der Startformation auch damit zusammenhing, oder Santos ihn in jedem Fall auf die Bank gesetzt hätte, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass Ronaldo damit nicht zufrieden ist. Nach dem Spiel gegen die Schweiz kamen Gerüchte auf, dass der Rekordtorschütze seines Landes gedroht hatte, das Lager der Portugiesen zu verlassen, wenn er nicht mehr in der Startformation stehen würde. Sowohl der Verband als auch der Spieler verneinten eine solche Drohung. Nach dem Aus stellte Ronaldo noch einmal klar: «Ich war immer einer, der für das Ziel aller gekämpft hat, und ich würde meinen Mannschaftskameraden und meinem Land niemals den Rücken zukehren.»
Und doch bleibt Ronaldo an dieser WM nicht gross in positiver Erinnerung. Sein einziger Treffer kam im ersten Spiel gegen Ghana vom Elfmeterpunkt. So wurde er immerhin zum ersten Fussballer der Geschichte, der an fünf Weltmeisterschaften ein Tor erzielte. Beim 2:0-Erfolg gegen Uruguay beanspruchte Ronaldo zwar den Führungstreffer für sich und sagte das nach dem Spiel auch zu Piers Morgan, wie dieser mitteilte, doch die FIFA stellte mithilfe des Chips im Ball fest, dass Ronaldo bei der Flanke von Bruno Fernandes nicht mehr am Ball war. So blieb Ronaldo bei acht WM-Toren – einen Treffer hinter Portugal-Legende Eusebio.
Nach seinen Einwechslungen in den K.-o.-Spielen gegen die Schweiz und Marokko agierte «CR7» dann ebenfalls glücklos. Im Viertelfinal war ersichtlich, dass er das Ruder unbedingt herumreissen wollte, jedoch gelang es ihm ebenso wenig wie seinen Mitspielern. In 40 Minuten kam er nur auf zehn Ballkontakte und einen schwachen Abschluss, den Marokko-Goalie Bono problemlos parieren konnte. Und so gelang es Ronaldo auch im achten Anlauf nicht, ein Tor in einem K.-o.-Spiel einer WM zu erzielen.
Dies sind wohl die letzten Erinnerungen, die von Ronaldo an einer WM bleiben. Ein unwürdiger Abschied für einen Fussballer eines Kalibers von einem Cristiano Ronaldo von der ganz grossen Bühne. Von einer Bühne, auf der er unvollendet bleiben wird. Seine Zukunft im Nationaltrikot liess Ronaldo noch offen. Er schrieb nur vielsagend: «Hoffen wir, dass die Zeit ein guter Ratgeber sein wird und es jedem erlaubt, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.»
Danke jedenfalls für viele tolle Momente!
Seit dem Tod seines Sohnes ist er aber nicht mehr in der Lage zu liefern. Nun also kann er sich nicht mehr wehren und gibt falschen Journalisten ein Interview und befördert sich noch weiter ins Abseits. Ich hoffe echt, wir sehen da bald keine Tragödie.