In Deutschland warten sie schon lange darauf, dass wieder einmal jemand auftaucht, der den Bayern das Wasser reichen kann. Elf Mal in Folge haben die Münchner die Bundesliga mittlerweile schon gewonnen.
Ganz schön langweilig alles. Aber jetzt gibt es Hoffnung, und das liegt an Xabi Alonso, 41 Jahre alt, ein junger Mann noch, ein junger Trainer erst recht. Aber einer, der schon lange als grosse Verheissung gilt.
Die Bundesliga-Saison ist noch frisch, drei Spiele alt erst. Das Team von Alonso, Bayer Leverkusen, hat sie alle gewonnen, und zuweilen war es dabei bemerkenswert überlegen. Drei Partien, neun Punkte, elf Tore. Platz eins. Und jede Menge mediales Lob.
Am Freitagabend muss Leverkusen nun zum Spitzenspiel zu Bayern München, das ebenfalls mit drei Siegen gestartet ist. Es gibt dann ein paar Fragen zu klären. Ist Alonsos Leverkusen wirklich so gut, wie es bisher ausgesehen hat? Kann es um den Titel mitspielen?
Für Xabi Alonso wird es am Freitag eine Rückkehr, zum Ende seiner Karriere als Spieler verbrachte er in München einige Jahre. Als er wegging, hatte er ein paar Titel gewonnen, und vor allem hatte er viel Eindruck hinterlassen. So war das immer mit Alonso, auch in Madrid und zuvor in Liverpool: Er war erfolgreich, und bis heute denkt man gerne an ihn zurück, mit einer gewissen Hochachtung auch.
Alonso war als Spieler deutscher Meister und spanischer Champions-League-Sieger, Weltmeister, Europameister. Sein Revier auf dem Platz war das Mittelfeld, dort war er daheim. Karl-Heinz Rummenigge, der bei Bayern München viele Spieler kommen und gehen sah, sagte einmal, dass Alonso der beste Stratege gewesen sei, der je im Mittelfeld des Klubs gespielt habe. Die «Süddeutsche Zeitung» schrieb über ihn, er lenke das Spiel wie eine Marionette, mit seinen Pässen als Fäden.
Die Liebe zum Pass hat Alonso von seinem Vater, Periko, geerbt. Der spielte einst im Mittelfeld von Barcelona und Real Sociedad San Sebastian. Wenn der junge Xabi mit dem Vater trainierte, ging es um die Pässe, nicht darum, ein Tor zu schiessen. Er wuchs in San Sebastian heran, raste auf der wunderbaren Playa de La Concha dem Ball nach. Sein bester Gegenspieler und Freund hiess Mikel Arteta, der heute Arsenal trainiert.
Eigentlich war Alonso schon als Spieler ein Trainer. Er verstand sich im Mittelfeld als einer, der schaut, dass sich die anderen entfalten, «Schaden anrichten» können, so formulierte er das einmal. Jetzt, als Trainer, unterbricht er öfter mal eine Einheit, rast über den Trainingsplatz, ruft Kommandos, gestikuliert wild. Er will dominanten, aktiven Fussball, auch: Intensität. Das sind oft gehörte Schlagworte, doch Alonsos Leverkusen füllt sie mit Leben.
Der Fussball-Philosoph hat über die Jahre verstanden, wer auf dem Feld was zu tun hat. Das gibt er jetzt weiter. Und dringt durch zu seinen Spielern, weil er eine natürliche Autorität verströmt, die man besitzt – oder eben nicht. Als Alonso im Herbst 2022 nach Leverkusen kam und den Innerschweizer Gerardo Seoane auf dem Trainerposten beerbte, lag der Klub am Boden, Platz 17 nach acht Runden, fünf Punkte nur – Abstiegsgefahr. Der Spanier hatte zuvor nur Nachwuchsteams trainiert, bei Real Madrid und Real Sociedad, doch das hinderte Leverkusen nicht daran, sein Schicksal in die Hände des jungen Trainers zu legen.
Alonso hat zuvor getan, was im schnelllebigen Fussballgeschäft unüblich ist: Sich Zeit genommen. Nach dem Karrierenende trainiert er bei Real Madrid ein Jahr lang Junioren; er will herausfinden, ob er das kann, Trainer sein, und ob er es will. Später geht er zurück nach San Sebastian, in die zweite Mannschaft des Klubs seiner Jugend, Real Sociedad. Weil er weiss, dass er in dessen berühmter Nachwuchsakademie lernen und Fehler machen kann.
Avancen von grösseren Klubs gibt es schon früh, Alonso gilt als grosses Trainertalent. Doch er bleibt drei ganze Jahre in San Sebastian. Und wählt dann Leverkusen. Dort enttäuscht der Spanier nicht. Am Ende der Saison belegt sein Team Platz sechs, ist in der Europa League bis in den Halbfinal vorgestossen.
Dann kommt der Sommer. Und damit die Gelegenheit, den Kader nach Alonsos Wünschen anzupassen, insbesondere im Zentrum, wo ihm jene «gesunde Mitte» fehlte, für die er einst selbst besorgt war.
Im Herzen des Mittelfelds von Bayer Leverkusen steht nun Granit Xhaka, der Schweizer Mittelfeldspieler. Der hat letzte Saison mit Arsenal lange um den Titel in der Premier League mitgespielt, war oft überragend und unumstrittene Leaderfigur. Und folgte dann doch dem Ruf Leverkusens, oder eher: dem Ruf Alonsos.
Xhaka machte nie einen Hehl daraus, wie sehr ihn die Aussicht, mit Alonso zu arbeiten, lockte. Zum englischen Portal «The Athletic» sagte er im Sommer ein paar Sätze, die gerade jetzt, nach den jüngsten Vorkommnissen in der Schweizer Nati, interessant sind. Alonso sehe ihn als Nummer 6, und so sehe er sich auch, sagte Xhaka. Und dann: «Aber ich spiele überall. Ich mache, was immer er verlangt.» Und auch: Er möge die Intensität von Alonso, Vollgas, immer, in jedem Training.
Der Baske wiederum schwärmt von Xhakas Erfahrung. Seiner Spielintelligenz. Seiner Persönlichkeit und, ganz wichtig, der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Und auch vom Willen, stets lernen zu wollen. Genauso sei das in der letzten Phase seiner Karriere auch bei ihm gewesen.
What a goal from Xhaka for Leverkusen 🔥
— Arsenal Focus (@FocusArsenal) August 28, 2023
Against his former club too pic.twitter.com/gLLyqkPAn6
Die beiden klingen wie zwei, die sich gefunden haben. Die sich ineinander ein Stück weit sehen. Und die voneinander profitieren wollen.
Xhaka, der selbst in der Trainer-Ausbildung steckt, kann jetzt von Alonso lernen, diesem Alonso, der einst von Carlo Ancelotti und José Mourinho lernte, von Pep Guardiola und Vicente del Bosque. Und der sich nun anschickt, selbst in den erlauchten Kreis der spanischen Trainer vorzustossen, die einst im Mittelfeld das ganze Durcheinander ordneten und nun den europäischen Spitzenfussball prägen: Pep Guardiola bei Manchester City, Mikel Arteta bei Arsenal, Xavi bei Barcelona.
Alonso ist erst mal bei Leverkusen, im Sommer hat er seinen Vertrag bis 2026 verlängert. Natürlich muss das nichts heissen, Real Madrid soll ihn für den nächste Sommer im Auge haben. Klingt verlockend. Aber Alonso taktet seine Karriere bekanntlich anders als die anderen.
Als jahrelanger Leverkusen-Sympathisant und als Xhaka-Fan (vor allem da ich grosser Arenal-Fan bin), hoffe ich, dass Bayer Leverkusen heute Bayern schlägt und sie auch sonst in dieser Saison vom Thron stossen können. Der Bundesliga würde es auf alle Fälle nicht schaden. 😉