Am 31. August versprach sich Mario Balotelli für zwei Jahre dem FC Sion. Es war eine kleine Sensation: Ein so grosser Name in einer so kleinen Liga. Balotelli, 32, hat seither wenig gespielt und stand nur einmal in der Startformation. Vier Spiele, 166 Einsatzminuten, zwei Tore: Das sind die Kennzahlen für den teuersten Super-League-Profi der Geschichte, der pro Saison eineinhalb Millionen Franken verdient und vom Trainer Paolo Tramezzani bisher sporadisch berücksichtigt wird.
Es war ein beachtliches Investment, welches sich der Präsident Christian Constantin da leistete. Dieser Patron mit einem ausgeprägten Sinn für Luxusgüter, schnelle Autos und teure Fussballer vor allem. Sion wird den ehemaligen italienischen Nationalstürmer nicht refinanzieren können, auch nicht mit den mehreren tausend Trikots, die der Klub bisher abgesetzt hat. Aber wer so denkt, hat den Fussball nicht verstanden. Und Constantin auch nicht.
Constantin befindet sich mit Sion in einer schwierigen Situation: Im modernen Fussball kann Sion mit seinen Begebenheiten, dem aus der Zeit gefallenen Stadion und der strukturschwachen Wirtschaftsregion, die Millionärsvereine aus Basel und Bern immer seltener fordern. Schon gar nicht auf Dauer, um Meister zu werden; die letzte Top-3-Platzierung liegt 15 Jahre zurück, der einzige Meistertitel 25 Jahre. Beide Male hiess der Trainer Alberto Bigon. Die grossen Transfers, jene von Essam El-Hadary 2008, von Gennaro Gattuso 2012 und nun von Balotelli sind Constantins Kniff, um der Langeweile zu entfliehen.
Heute ist das nötiger denn je, angesichts des oft bemerkenswert freudlosen Fussballs, den Tramezzani spielen lässt. Die Liga sollte ihm danken, weil es jetzt immerhin einen Spieler gibt, für den es sich tatsächlich lohnt, die horrenden Preise für Tribünenplätze zu entrichten. 86.60 kostet ein Sitzplatz auf der Haupttribüne in der Swisspor-Arena beim FCL.
Balotelli ist eine Bereicherung, weil alles möglich scheint, auf und neben dem Platz. Exzesse, Tore, Spektakel. Auf den Redaktionen von «Le Matin» und «Blick» werden sie in atemloser Vorfreude sämtliche Bleistifte gespitzt haben, weil es in der Super League wahrscheinlich noch nie einen Spieler gegeben hat, der so zuverlässig Schlagzeilen und Klicks liefert.
Der Boulevard labte sich daran, als Balotelli im September das Nachtleben in Lausanne erkundete. Und als das ad acta gelegt war, wurden andere Dinge ergründet: Läuft er genug? Möchte er im Winter schon wieder den Klub wechseln? Auf welcher Position wird er idealerweise eingesetzt? Es gehört zur Kalkulation Constantins, der früh begriffen hat, dass der Fussball in erster Linie ein Unterhaltungsgeschäft ist.
Der Präsident klingt vergnügt, als er am Telefon danach gefragt wird, wie zufrieden er mit Balotelli sei. Er sagt: «Fussballerisch läuft es immer besser. Sein Tor gegen die Grasshoppers war Extraklasse. Diese Beschleunigung, diese Ballkontrolle, dieser Schuss. Es gibt keinen anderen Spieler in der Super League, der das hinkriegt.» Und was ist mit den Nebengeräuschen, der Unruhe? Constantin sagt:
Als Sion vor einigen Wochen in St. Gallen spielte, rannte sogar ein Zuschauer auf den Platz, um sich ein Selfie mit Balotelli zu sichern. Bei Mick Jagger wird das früher nicht anders gewesen sein, bevor die Rolling Stones auf so grossen Bühnen zu spielen begannen, dass man ohne Feldstecher eigentlich überhaupt nichts mehr erhaschen konnte. Ein bisschen Rock ‹n› Roll kann der Schweizer Super League nur guttun. (aargauerzeitung.ch)