Wenn bei einem Spielerprofil auf der Website Transfermarkt gleich sechs Mal der Vermerk «vereinslos» erscheint, dann ist das keine gewöhnliche Fussballer-Laufbahn. Zumal bei den Karrierestationen auch noch der Hinweis «pausiert» auftaucht, der sich so auflöst, dass der Spieler während dieser Zeit im Gefängnis sass.
Willkommen in der Welt von Nile Ranger!
«Ich hatte eine anständige Karriere und ein gutes Einkommen, doch dann habe ich alles vermasselt», sagt der Engländer heute. 33 Jahre alt ist er, mittlerweile spielt er für Kettering Town: Southern League Premier Central, siebthöchste Liga, selbst für Nerds nur deshalb ein Begriff, weil es der erste englische Klub mit Trikotwerbung war. Dort gelandet ist Ranger nach einem turbulenten Leben, in dem er wenig auslässt. «Wenn ich daran denke, wie ich mein Talent verschwendet habe, tut es weh. Ich hätte es besser machen können.»
Schon als Jugendlicher sorgt er für Stunk, fliegt als Zwölfjähriger bei Crystal Palace raus. Als er 15 Jahre alt ist, kommt er erstmals mit dem Gesetz in Konflikt: Für seine Beteiligung an einem bewaffneten Raubüberfall kassiert er elf Wochen Haft in einem Jugendgefängnis. «Jetzt, wo ich älter bin, glaube ich, dass ich den Leuten ein Trauma bereitet habe», blickt Ranger bei der BBC zurück. «Wir wollten schnelles Geld verdienen, indem wir Leuten ihr Telefon klauten. Einer von uns hatte ein Messer, aber er hat es nicht benutzt. Wir haben uns wie Idioten benommen.»
Das Talent als Fussballer scheint ihn davor zu bewahren, noch tiefer in den Schlamassel zu rutschen. Er wird in der angesehenen Akademie von Southampton ausgebildet. Dort muss er gehen, als er erwischt wird, wie er Trainingsklamotten und Schuhe stiehlt – und einem Coach eine Schachtel Pralinés.
Er wechselt zu Swindon Town und macht auch dort auf sich aufmerksam. Schliesslich holt Newcastle United den 17-Jährigen in den Norden Englands, weit weg von daheim. An der U19-EM 2009 steht er gegen die Schweiz in der Startelf, seine Kollegen heissen unter anderem Kyle Walker, Danny Welbeck, Kieran Trippier oder Andros Townsend.
Mit dem Transfer in den Norden ist die Hoffnung verbunden, dass Ranger dort die turbulente Vergangenheit hinter sich lassen kann. Die Hoffnung stirbt bald einmal. Prominente Mitspieler und der schöne Zahltag sorgen dafür, dass Nile Ranger abhebt. «Ich hatte mehr Geld als Verstand, bei mir gab es keine Disziplin. Ich lebte auf der Überholspur.»
26 Mal spielt er für die «Magpies» in der Premier League. «Meine Zeit im Jugendgefängnis war noch nicht lange vorbei, nun sass ich in der Kabine neben Michael Owen», erinnert sich der Stürmer. Ein Tor gelingt Ranger in der höchsten englischen Liga nicht, in die Startformation schafft er es nur ein Mal.
In Erinnerung bleibt er in Newcastle deshalb vornehmlich mit Aktionen neben dem Spielfeld. Etwa jene nach einer 1:2-Heimniederlage gegen Reading, bei der Ranger von den eigenen Fans ausgebuht wurde. Er postete ein Foto, das zeigte, wie er mit 20-Pfund-Noten seinen Namen schrieb – um damit zu zeigen, wohin das Geld der Anhänger geht.
Ein anderes Mal wurde er vom Verband wegen homophober Aussagen gebüsst, sein Posieren mit einer Pistole sorgte ebenso für Wirbel, wie dass er seine Freundin während eines Streits in der Öffentlichkeit an den Haaren gezogen hatte. Dafür wurde er zu 120 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Vom Vorwurf einer Vergewaltigung wurde er freigesprochen. Einmal beklagte er sich, er fühle sich behandelt, als sei er der «Osama bin Laden des Fussballs».
«Mein Leben müsste verfilmt werden», findet er. «Denn es ist ein echtes, ein interessantes Leben.» Egal wo er spielte, ob als Jugendlicher oder später als Erwachsener, überall hatte er Probleme. «Bei jedem Verein kam es zu Krisensitzungen und immer war meine Mutter dabei, weil man sie respektiert.»
In Newcastle heisst der Trainer im Jahr 2010 Chris Hughton. Immer wieder versucht er dem Jungspund klarzumachen, dass er sein Leben umkrempeln muss. «Ich brachte all meine Freunde aus London nach Newcastle, um Partys zu feiern. Er sagte mir, ich solle sie nach Hause schicken und mich fokussieren, um meine Chance zu nützen.»
Aber ohne Partys langweilt sich Nile Ranger. Er beginnt zu zocken und stürzt in die Spielsucht ab, wird Dauergast in Casinos. «Ich war nicht an Geld gewöhnt», sagt er. «Ich habe versucht, mich den anderen Spielern anzupassen, aber das hat mich süchtig gemacht. Am Schluss landete ich in der Einrichtung von Tony Adams.» Englands früherer Nati-Captain, zugleich schwerer Alkoholiker, gründete eine Organisation, die Sportlern bei psychischen und emotionalen Problemen hilft.
«Teamkollegen, Freunde und Trainer sagten immer: ‹Nile, deine Chancen sind bald vorbei.› Aber ich wollte nicht hören. Ich war wild, wild, wild.» Irgendwann reicht es Newcastle United. Der Vertrag über fünfeinhalb Jahre wird nach zwei Jahren aufgelöst.
Heute glaubt er, dass er immer noch in der Premier League spielen könnte, hätte er sich damals nicht selber aus der Bahn geworfen. «Hätte ich mich zusammengerissen, wäre ich an der Spitze geblieben. Aber ich war zu widerspenstig.» Er habe nie wie ein Fussballer gelebt, viel Süsskram gefuttert und nächtelang «FIFA» gezockt. Vor einem Jahr behauptete er bei «The Athletic»: «Mit gescheiter Ernährung und ordentlichem Verhalten bin ich Erling Haaland.»
Doch die Wege der Talente hätten nicht unterschiedlicher verlaufen können. Der Norweger Haaland ist die Tormaschine bei Manchester City, mit dem er Meister wurde und die Champions League gewann. Rangers Karriere führte von Newcastle immer weiter nach unten.
Mit 26 Jahren ist er bei Southend United angekommen, dritthöchste Liga. Wieder einmal gerät er neben dem Platz auf Abwege, dieses Mal geht es um Online-Betrug. Ranger kassiert acht Monate, er kommt ins für Gewalt und Überbelegung bekannte Pentonville-Gefängnis.
«Ich war 23 Stunden am Tag eingesperrt. Selber habe ich keine schlechten Erfahrungen gemacht, aber ich habe von Leuten gehört, die in den Duschen angegriffen wurden und solche Sachen», erzählt er. Ranger darf das Gefängnis aufgrund guter Führung schon nach zehn Wochen verlassen.
Er kehrt zurück zu Southend und kickt während fünf Wochen mit einer elektronischen Fussfessel am linken Knöchel. «Aber ich habe wieder Mist gebaut. Bin zu lange aufgeblieben, habe dadurch Trainings verschlafen.»
Der Zug für die grosse Karriere ist da längst abgefahren. Vom Sommer 2021 an ist Ranger ein halbes Jahr lang ohne Klub, beim fünftklassigen Boreham Wood hält er es danach nur sieben Monate (mit vier Kürzest-Einsätzen) aus, ehe er von Sommer 2022 bis September 2024 erneut vereinslos ist. Nun also Kettering Town, wobei es vermessen wäre, von einem «letzten Anlauf» zu sprechen, wenn man mit 33 Jahren in der siebten Liga spielt.
Viel mehr möchte Nile Ranger jungen Talenten ans Herz legen, es nicht so wie er zu machen. Der Vater eines dreijährigen Buben leitet eine Fussballschule, wo er mit den Absolventen über «die dummen Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe» spricht. «Als ich nach Newcastle zog, dachte ich: ‹Jetzt habe ich es geschafft.› Stattdessen habe ich es vermasselt.»
Ihm sei auch bewusst, dass er mehr als genug «zweite Chancen» erhalten habe, die er ungenutzt liess. «Ich habe mein Bett gemacht und nun muss ich darin liegen. Ich bin frustriert. Es lag nicht am Talent, sondern an meinem Benehmen.»
Bei so vielen schlechten Erfahrungen darf sich Nile Ranger immerhin auch an einige, rare Höhepunkte erinnern. Dabei sticht ein 4:3-Auswärtssieg gegen Chelsea im Liga-Cup heraus: Mit einem akrobatischen Volley erzielt Ranger das 1:1.
Wenig später unterschreibt er bei Newcastle United seinen Vertrag über fünfeinhalb Jahre.
Es ist der Anfang vom Ende.
Ersetze Verhalten durch Verstand, dann ist eine Voraussetzung mehr da…