Ist Antonio Conte eine lahme Ente? Diese Frage ist vor der EM immer mal wieder gestellt worden. Seit einigen Monaten nämlich ist klar, dass der italienische Nationalcoach nach dem Turnier in den Klubfussball zurückkehrt.
Beim FC Chelsea hat er einen Dreijahresvertrag unterschrieben und wird an der Stamford Bridge bereits der fünfte italienische Trainer sein. Bevor er in die Premier League einsteigt, will der 46-Jährige aber noch beweisen, dass er selbstverständlich keine lahme Ente ist.
Dies ist ihm schon am Dienstagabend gelungen, denn nach einem überzeugenden 2:0-Sieg über Belgien dürfte das Thema vom Tisch sein. Die mit viel weniger Kredit als in früheren Jahren an ein Turnier gereisten Azzurri präsentierten sich gegen die Roten Teufel als geschlossene Einheit.
Es hätte dabei gar nicht der engagierten Coachingarbeit Contes am Spielfeldrand bedurft, um sich gewiss zu werden: Italien verfügt über einen Trainer, der bis zum Abpfiff im letzten Spiel alles gibt. Der sich selbst beim Jubeln eine blutende Nase holt. «Ich bin begeistert von der Leistung meines Teams», sagte Conte.
Natürlich ist es noch viel zu früh, um darüber zu spekulieren, ob dieses letzte Spiel sogar der EM-Final sein könnte. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Doch fahren die Italiener − heute Nachmittag gegen Schweden – in diesem Stil weiter, ist mit ihnen im Kampf um den Titel zu rechnen. Daran hat Conte einen grossen Anteil.
Nach der WM 2014 für Cesare Prandelli in Amt und Bürden gekommen, hat er sein Team ungeschlagen an die EM geführt und mit ihm noch kein Pflichtspiel verloren.
Dass er seinen Job indes zu oft als Bürde empfand, liess ihn frühzeitig seinen Rücktritt ankündigen. «Der italienische Nationalcoach ist ein Amboss», sagte Conte, «und die Klubs hauen kräftig auf ihn drauf.» Es war ihm sauer aufgestossen, dass ihm Termine, an denen er mit der Mannschaft arbeiten wollte, vom Verband beschnitten oder gar nicht bewilligt worden waren.
Überhaupt: Contes Beziehung zum Verband ist spätestens seit 2012 getrübt, als er von diesem für mehrere Monate gesperrt wurde. Der Vorwurf: Er habe von zwei Spielmanipulationen Kenntnis gehabt, dies aber nicht gemeldet.
Aber Conte arbeitet ja nicht nur für den Verband, sondern auch für die Mannschaft und seinen guten Ruf. Einen solchen hat er sich spätestens bei Juventus Turin erworben. Dreimal in Folge hat er die «alte Dame» zum Scudetto geführt, in seiner ersten Saison gar ungeschlagen.
Zuvor hatte er Bari und Siena in die Serie A gehievt. Dass er nach seiner durchaus erfolgreichen Profizeit mit 20 Länderspielen, fünf italienischen Meistertiteln sowie dem Gewinn der Champions League seine Trainerlaufbahn bedachtsam anging, hat ihm nicht geschadet.
«Es ist ein Fehler, zu glauben, man sei nach einer tollen Spielerkarriere automatisch ein guter Trainer. Man muss lernen, was Didaktik ist, und eine eigene Spielidee entwickeln», sagte Conte. «Die Serie B hat mir dabei sehr geholfen.» Zuerst hatte er als Assistent bei Siena gearbeitet, und als er bei Arezzo zum ersten Mal Cheftrainer wurde, war er seinen Job nach vier Monaten wieder los.
Conte ist eigentlich eine treue Seele und so gar kein Wanderarbeiter, wie es im heutigen Fussball üblich ist. In Lecce geboren und aufgewachsen, hat er sieben Jahre dort gespielt und danach dreizehn Saisons bei Juventus. «Jetzt bin ich stolz, der erste Nationalcoach zu sein, der aus dem Süden kommt», sagt Conte. Und Italien nach 1968 vielleicht den ersten EM-Titel beschert, der in Turnierform ausgespielt wird. «Bleiben wir mit den Füssen doch lieber am Boden», hat Conte nach dem Startsieg aber gleich mal die Bremse gezogen. (aargauerzeitung.ch)