Er will mehr sein als nur «der Bruder von Jude Bellingham». Jobe Bellingham will seine eigene Identität kreieren. Um nicht immer mit dem grossen Bruder und Fussballer von Real Madrid verglichen zu werden, hat er auch schon den Namen auf seinem Rücken geändert. Anstelle von seinem Nachnamen steht dort lediglich «Jobe».
Der 19-Jährige hat kein einfaches Los gezogen. Obwohl Bruder Jude lediglich zwei Jahre älter ist, ist dieser schon einer der besten Fussballer der Welt, spielt beim grössten Klub der Welt und ist sowohl Champions-League-Sieger als auch spanischer Meister. Den Vergleich kann Jobe Bellingham aktuell kaum gewinnen – und doch wird er natürlich immer davon begleitet. Oder wie Troy Deeney, einst sein Captain bei Birmingham City, gemäss Sky sagt: «Wenn über Jobe gesprochen wird, heisst es immer: ‹Ist er so gut wie Jude?› Oder: ‹Jude hat in seinem Alter dieses und jenes getan.› Ich denke nicht, dass sich jemand von uns in seine Lage versetzen könnte.»
Die Vergleiche sind natürlich naheliegend. Abgesehen davon, dass sie Brüder sind, taten sie ihre ersten Schritte beide bei Birmingham City. Im Alter von 16 Jahren und 107 Tagen debütierte Jobe Bellingham als zweitjüngster Spieler der Geschichte für den Klub – unnötig zu erwähnen, wer bei seinem ersten Spiel für die «Blues» 69 Tage jünger war. Beide Bellingham-Brüder verliessen ihren Jugendklub im Alter von 17 Jahren, Jude ging 2020 nach Dortmund, Jobe wechselte 2023 nach Sunderland.
Dort war er von Beginn weg eine der tragenden Säulen. In seiner ersten Saison wurde er zumeist als offensiver Mittelfeldspieler eingesetzt, manchmal gar als Mittelstürmer. Bellingham sagte dazu gegenüber The Athletic: «Im Moment lerne ich einfach, weil ich noch keine Ahnung habe, welche Position ich bin. Es ist sehr aufregend, weil ich mit der Zeit herausfinden werde, wo ich am besten aufgehoben bin.» Es liege an den Trainern, zu eruieren, wo seine Eigenschaften am besten zum Team passen, fügte Bellingham damals an: «Es ist mir eigentlich egal, wo ich spiele.»
Im letzten Sommer gab es bei Sunderland dann einen Trainerwechsel, Régis Le Bris stiess neu zum Team. Er nahm Bellingham etwas nach hinten, setzte ihn als zentralen Mittelfeldspieler ein – im Normalfall als offensiverer Part einer Doppel-Sechs, vergleichbar mit Granit Xhaka in Leverkusen. «Das könnte seine beste Position sein», mutmasst Trainer Le Bris, sagt aber auch: «Er ist noch jung und hat deshalb grosses Potenzial in vielen Bereichen.» Im Zentrum brillierte der selbstbewusste Jungstar auf dem Weg zum Aufstieg mit seiner Ballsicherheit, dem guten Passspiel und seiner Gelassenheit selbst auf engem Raum. Bellingham scheut sich gleichzeitig aber auch nicht vor Zweikämpfen und erobert häufig Bälle zurück.
Darin unterscheidet er sich eben auch von seinem Bruder, der auf dem Feld den umgekehrten Weg gegangen ist. War Jude Bellingham in Dortmund noch ein klassischer Box-to-Box-Spieler im zentralen Mittelfeld, rückte er nach seinem Wechsel zu den Königlichen in eine offensivere Rolle. Die Defensive gehört anders als bei Jobe hingegen nicht mehr zu seinen Hauptaufgaben. Der Vergleich mit seinem 21-jährigen älteren Bruder zeigt, dass der 1,91 m grosse Mittelfeldhüne mehr Bälle erobert, sich aber weniger im und um den gegnerischen Strafraum aufhält.
«Jobe Bellingham überzeugt mit physischer Stärke und spielt völlig unaufgeregt, hat eine enorme Ruhe am Ball. Trotzdem hat er auch Zug zum Tor, hat das Auge für den gefährlichen Moment und bewegt sich selbst in gefährliche Räume», lobt Craig Hope, Fussball-Chefreporter der «Daily Mail», gegenüber Sport1. «Kurzum: Für einen 19-Jährigen ist er enorm weit. Er hat zweifelsohne Champions-League-Reife», fügt Hope an.
Beweisen kann Bellingham, der zum besten Jungspieler der zweiten englischen Liga gewählt wurde, dies womöglich schon in der nächsten Saison. Der englische U21-Nationalspieler ist bei Frankfurt und Dortmund im Gespräch. Mit den Verantwortlichen beider Bundesligisten traf sich die Familie Bellingham bereits, angeblich erhielt der BVB nun die Zusage. Noch gab es keine Einigung zwischen den Klubs, trotz Ausstiegsklausel in Höhe von 40 Millionen Euro steht eine Ablösesumme von 30 Millionen im Raum. Wann der Transfer über die Bühne geht, ist noch unklar, womöglich könnte Bellingham bereits rechtzeitig zur Klub-WM, die am 15. Juni beginnt, zum BVB stossen. Er gehört jedoch auch zum Kader der englischen U21, die bereits drei Tage vor der Klub-WM in die EM startet.
Mit einem Wechsel nach Dortmund würde Jobe Bellingham den Vergleichen mit seinem Bruder natürlich kaum entkommen. Schliesslich spielte der auch drei Jahre beim BVB, bevor er für gut 120 Millionen Euro nach Madrid wechselte. Doch weiss Jobe Bellingham dadurch auch, dass es das richtige Umfeld für einen jungen Spieler sein kann, um sich weiterzuentwickeln und möglicherweise zu einem Weltklasse-Fussballer zu reifen.