Grundsätzlich wäre die Niederlage gegen die Asiatinnen verkraftbar gewesen. Spanien hatte sich wie Japan bereits vor dem abschliessenden Duell der Gruppenphase für die Achtelfinals qualifiziert – dank einem 3:0 gegen Costa Rica und einem 5:0 gegen Sambia. Und mit der Schweiz statt Norwegen trifft «La Roja» nun sogar auf den nominell schwächeren Gegner aus der Gruppe A.
Trotzdem gab die Höhe der Niederlage wie auch die Art, wie die Spanierinnen trotz mehr Ballbesitz ausgespielt wurden, zu denken. «Menudo meneo», soll gemäss der spanischen Zeitung «Marca» eine Spielerin auf dem Weg in die Garderobe gesagt haben, «was für ein Schock».
Die Niederlage hat nichts daran geändert, dass die Spanierinnen an dieser WM zum erweiterten Kreis der Favoritinnen gehören. Solche «Schocks» in der Gruppenphase können sogar dazu führen, dass sich Teams zusammenraffen und danach ganz gross aufspielen. Das zeigte zum Beispiel die spanische Männermannschaft an der WM 2010, als sie nach der Auftaktniederlage gegen die Schweiz Weltmeister wurde. Das jüngste Beispiel ist Argentinien, das die WM in Katar mit einem 1:2 gegen Saudi-Arabien begonnen hatte.
Allerdings ist dieses spanische Frauen-Team nach einer unruhigen Vorbereitung mit Verletzungssorgen, Rücktritten und Rücktritten von Rücktritten ein äusserst fragiles Gebilde. Den grossen Knall gab es im September, als 15 Spielerinnen eine Mail an den Verband unterzeichneten, in der mehrere Vorwürfe festgehalten wurden. Diese richteten sich nicht nur, aber auch an Trainer Jorge Vilda, dem unter anderem taktisches Unwissen unterstellt wurde.
Es folgte ein öffentlich ausgetragener Abtausch, denn der Verband stellte sich klar hinter den seit 2015 amtierenden Trainer. Die Spielerinnen müssten ihren Fehler zugeben und sich entschuldigen, wenn sie wieder nominiert werden wollten.
Von «las quince», den fünfzehn, liessen sich drei Spielerinnen bekehren und wurden für die WM aufgeboten. Viele andere blieben dem Nationalteam unter Protest fern, unter ihnen hochdekorierte Spielerinnen wie Patricia Guijarro, die im Juni mit zwei Toren im Final Barcelona zum Champions-League-Titel schoss.
Der grösste Star des Teams, die zweifache Weltfussballerin Alexia Putellas, gehörte nicht zu den 15 Spielerinnen. Sie war im Herbst durch ihren kurz vor der EM erlittenen Kreuzbandriss sowieso ausser Gefecht gesetzt. Über die sozialen Netzwerke solidarisierte sich «la reina», die Königin, aber mit den Unterzeichnenden. Dass sie ins Nationalteam zurückkehrte, begründete Putellas knapp mit «signifikanten Verbesserungen», die es seither gegeben habe. In den Medien wurde das Nationalteam auch als Zweckgemeinschaft bezeichnet. Die Konflikte wurden aufgrund des grossen Potenzials vorerst begraben.
Bereits an der letztjährigen EM zeigte Spanien trotz der fehlenden Starspielerin ein gutes Turnier, scheiterte jedoch einmal mehr in der ersten K.o.-Runde. Gegen die späteren Europameisterinnen aus England führten die Spanierinnen bis zur 84. Minute 1:0, um dann 1:2 nach Verlängerung zu verlieren.
Es war in den letzten Jahren immer die gleiche Geschichte: Die Spanierinnen gehörten auf dem Papier zu den Mitfavoritinnen, schafften es aber nie, den Ansprüchen gerecht zu werden. Entsprechend wurde Putellas' Rückkehr ins Nationalteam gefeiert. Die 29-Jährige ist die absolute Hoffnungsträgerin.
Vom Glanz, der Putellas umgibt, war an der WM bisher wenig zu sehen. Nach drei Spielen steht sie mit lediglich einem Assist als Ausbeute da. Das lag vor allem daran, dass sie wegen ihrer Verletzung noch geschont wurde. Gegen Costa Rica stand Putellas etwa 20 Minuten im Einsatz, gegen Sambia eine Halbzeit lang. Gegen Japan spielte die gemäss Forbes am drittbesten bezahlte Spielerin der Welt – die einzige Nicht-Amerikanerin in den Top 10 – rund eine Stunde, trat aber kaum in Erscheinung und wurde so zum Symbolbild der klaren Niederlage.
Der «Schock» gegen Japan kann einiges auslösen. Er kann schwelende Konflikte neu befeuern, er kann aber auch zusammenschweissen und zu einer (positiven) Gegenreaktion führen. Im Achtelfinal gegen die Schweiz wird das favorisierte, aber auch krisengeschüttelte Spanien den grossen Befreiungsschlag suchen. (ram/sda)