Mit dabei war ein Mixed-Team aus der Schweiz. Anders, als es der Name des Turniers vermuten lässt, sind die Spielerinnen und Spieler der Schweizer Equipe nicht zwingend von Obdachlosigkeit, sondern in erster Linie von Armut und/oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Organisiert wird die Schweizer Auswahl vom sozialen Verein Surprise, der es sich auf die Fahne geschrieben hat, Menschen mithilfe des Strassenfussballs die Rückkehr «aus dem sozialen Abseits zurück aufs Spielfeld des Lebens» zu erleichtern.
Auf dieses «Spielfeld des Lebens» wagte sich auch die 20-jährige Celine. Obwohl sie noch nie in einem Verein Fussball gespielt hatte, schaffte sie die Selektion für die Surprise-Nati. Dabei war nicht nur ihr Können ausschlaggebend, sondern vor allem ihr Ehrgeiz, ihre Zuverlässigkeit und ihr Wille, in Sacramento dabei zu sein. Auch Janosch Martens, Leiter des Surprise-Strassenfussballs, betont, dass für eine Selektion «Eigenschaften wie Selbstständigkeit, Zuverlässigkeit und persönliche Resilienz» gefragt sind.
Für Celine ging mit der Teilnahme ein Traum in Erfüllung. Nicht nur, weil sie durch das Projekt ihre Liebe zum Fussball entdeckt hat, sondern auch, weil die USA auf der Liste ihrer Wunschdestinationen an oberster Stelle stand.
Auch im Strassenfussball macht Übung die Meisterin. Um in Sacramento mit den anderen Nationen mithalten zu können, begann die Schweizer Auswahl ein halbes Jahr vor Turnierbeginn mit den Trainings. Neben Trainingswochenenden standen auch Testspiele gegen Teams aus der Surprise-Strassenfussball-Liga und gegen die schweizerische Schriftsteller-Nationalmannschaft auf dem Programm. Unmittelbar vor dem Turnier verbrachte das Team zudem vier gemeinsame Trainingstage, auch um zu verhindern, dass jemand den Flug in die USA verschläft, wie Celine erzählt.
In Sacramento ging es nicht nur auf dem Fussballfeld hitzig zu und her. Das Thermometer kletterte während des Turniers zeitweise auf fast 40 Grad. «Auf dem Kunstrasen war es so heiss, dass einem deutschen Spieler die Fussballschuhe wegschmolzen», erzählt Celine.
An einem Turnier, an dem nicht die sportliche Leistung im Vordergrund steht, darf natürlich der Spass nicht fehlen. So unternahm das Schweizer Team einen Ausflug in das nahegelegene San Francisco, brachte dem bulgarischen Team UNO bei oder besuchte einen Englischkurs, der auf dem Turniergelände angeboten wurde. Martens misst dem Geschehen abseits des Fussballplatzes eine wichtige Bedeutung bei, denn nicht selten können die Spielerinnen und Spieler dank der Teilnahme am Turnier zum ersten Mal in ihrem Leben ins Ausland reisen, fliegen oder im Meer schwimmen.
Im Zentrum stand am Turnier natürlich trotzdem der Fussball. Bis zu zwei Spiele bestritt die Nati pro Tag – eine Herausforderung für Personen, die es sich nicht gewohnt sind, jeden Tag Sport zu machen. In offiziellen Nati-Trikots duellierten sich jeweils vier Schweizer/-innen auf dem Kleinfeld mit vier Spieler/-innen einer anderen Nation. Beim Spiel zwischen der Schweiz und Schweden sah das in etwa so aus:
Switzerland draw level!!! 🇨🇭
— Homeless World Cup (@homelesswrldcup) July 15, 2023
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Nach einer erfolgreichen Vorrunde war dann im Halbfinal gegen ebendieses Schweden Schluss für unsere Nati (ja, auch im Strassenfussball scheint die Schweiz mit Schweden so ihre Mühe zu haben). Sowohl in der Hauptkategorie der Mixed-Teams als auch in der Hauptkategorie der Frauenteams standen sich im Final Chile und Mexiko gegenüber, bei den Mixed-Teams mit dem besseren Ende für Chile, bei den Frauen für Mexiko.
Aber was für ein Sinn hat ein Turnier, bei dem die fussballerischen Fähigkeiten zweitrangig sind? Martens sieht die Sinnhaftigkeit nicht nur in der gesundheitspräventiven Funktion von Sport an sich, sondern auch in der Erlangung von wichtigen Soft Skills: «Bewegung und Sport sind so viel mehr als ‹nur gesund› für sozial benachteiligte Menschen: Nebst körperlicher Fitness bringen sie Struktur im Alltag und verlangen die Fähigkeit, sich auf Verpflichtungen und zwischenmenschliche Interaktionen einlassen zu können.»
Trotz der Enttäuschung über die knappe Niederlage (3:4) im Halbfinal überwiegen die positiven Erinnerungen an das Erlebte. Celine schätzte neben dem Zusammenhalt im Schweizer Team vor allem den Austausch mit den anderen Nationen. Die Gegner auf dem Platz wurden zu Freundinnen abseits des Spielfelds: «Wie es der Name schon sagt, sind die Menschen, die am Homeless World Cup teilnehmen, nicht nullachtfünfzehn. Alle wurden so akzeptiert, wie sie sind.»
Wichtige Erkenntnisse aus dem Turnier will Celine auch in ihrem Leben abseits des Fussballplatzes umsetzen. Sie kämpfe oftmals mit einem geringen Selbstbewusstsein, erklärt sie. So habe sie es auch sehr persönlich genommen, wenn sie vom Trainer rausgenommen wurde. «Durch Gespräche mit dem Coach konnte ich dann aber nachvollziehen, weshalb er mich in bestimmten Situationen vom Feld nahm. Daraus habe ich gelernt, dass es oftmals gar nichts mit mir als Person zu tun hat. Diese Erfahrung hilft mir, auch im Leben nicht alles persönlich zu nehmen.»
Die Mitglieder der Schweizer Nati dürfen nur ein Mal im Leben am Homeless World Cup teilnehmen. Was ihnen nach diesem einzigartigen Erlebnis bleibt, ist die schöne Erfahrung, für einmal im Mittelpunkt zu stehen.
Nicht nur weil dies vielen Menschen ein einmaliges Erlebnis und Möglichkeiten bietet..
Es tut auch gut, nebst all dem Horror den man tagtäglich liest einen solchen Artikel zu sehen und danach ein gutes Gefühl zu verspüren.
Gerne mehr davon 👍