Chwitscha Kwarazchelia. So langsam kommt der Name flüssig. Aber sein Spitzname geht Westeuropäern immer noch leichter über die Zunge: Kwaradona.
Der 23-Jährige mit einem Marktwert von 80 Millionen Euro war in der Saison 2022/23 einer der Schlüsselspieler bei der SSC Napoli, die zum ersten Meistertitel seit den Zeiten von Diego Maradona stürmte. Im Nationalteam ist Kwarazchelia der grosse Star, seit 2020 wurde er vier Mal in Folge zu Georgiens Fussballer des Jahres gewählt.
Wer sich mit Georgiern beschäftigt, dem fällt eher früher als später auf, dass viele Nachnamen mit «-schwili» enden. Im EM-Kader tauchen neun solche Spieler auf. Des Rätsels Lösung: Der Begriff steht für «Kind» – Giorgi Mamardaschwili, der Torhüter des FC Valencia, ist also das Kind von Mamarda. Die Namen sechs weiterer Spieler enden auf «-dse» («Sohn»).
Eine meiner liebsten Fussball-Anekdoten hat damit zu tun. Als beim SC Freiburg einst Georgier wie Aleksandre Iaschwili oder Lewan Kobiaschwili für Furore sorgten, ergänzten die Fans die Namen aller Spieler beim Rufen der Startaufstellung mit einem «Willi». Und so wurde aus dem Deutschen Tobias Willi … richtig: Tobias Willi-Willi. Das blieb in Erinnerung, wie er einmal schilderte: «Als ich zum MSV Duisburg wechselte, fragte mich dort mal ein Fan, ob ich Deutsch könnte. Der dachte, ich bin Georgier.»
Wurde er eigentlich wegen seines Vornamens verpflichtet? Natürlich nicht – aber der passt perfekt. Willy Sagnol gewann als Verteidiger mit Bayern München die Champions League und wurde 2006 mit Frankreich Vize-Weltmeister. Der mittlerweile 48-Jährige übernahm Georgien im Februar 2021.
Der Start war holprig: Von den ersten neun Partien unter Sagnol gewann das Team nur eine. Aber seine Chefs stützten die Pläne des Trainers, der einen Umbau vorantrieb und vielen jungen Akteuren eine Chance gab. Dass Georgien der Underdog in der Gruppe mit Portugal, Tschechien und dem Auftaktgegner Türkei ist, stellt «Sagnolwili» nicht in Abrede: «Wir sind so etwas wie der Joker, der irgendwie unbemerkt in dieses Turnier gerutscht ist. Sicher ist, dass wir niemals aufgeben und alles geben werden.»
Von Iaschwili und Kobiaschwili war schon die Rede. Die beiden einstigen Bundesliga-Spieler, die schon als Kinder befreundet waren, führen heute den georgischen Fussballverband. Lewan Kobiaschwili ist seit 2015 dessen Präsident, Aleksandre Iaschwili ist Vize.
«Als Spieler war es mein grosser Traum, für mein Land bei einem grossen Turnier dabei zu sein», verriet Kobiaschwili. Es blieb beim Traum, aber die Compagnons machten alles, damit ihre Nachfolger ihn sich erfüllen können. Sie stellten die Strukturen im Verband auf den Kopf und bauten Akademien für den Nachwuchs.
Dazu wurden zahlreiche Stadien renoviert, im vergangenen Jahr fand die U21-EM in Georgien statt. «Georgien ist ein Fussball-Land», betonte im «Zwölf» Micheil Kawelaschwili, der bei einem halben Dutzend Schweizer Klubs spielte. In vier, fünf Jahren werde man eine noch stärkere Nationalelf haben. Der Grund für Kawelaschwilis Zuversicht: Georgiens U21 gewann ihre EM-Gruppe vor Portugal, der Niederlande und Belgien.
Der 26. März 2024 ging in die Geschichte des Staates ein, der seit 1991 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion unabhängig ist. An diesem Tag gelang im Playoff-Final die EM-Qualifikation, in der Hauptstadt Tiflis wurde Griechenland im Penaltyschiessen bezwungen. «Noch nie habe ich so viele Männer weinen sehen», sagte Trainer Sagnol zu «11 Freunde».
Verbandspräsident Kobiaschwili spricht von diesem Datum als sein «zweiter Geburtstag». So bedeutsam ist die EM-Teilnahme für Georgiens Fussballer. «Die Nacht und der Tag nach dem Spiel gegen Griechenland, das sind Momente, die ich nie in meinem Leben vergessen werde», schildert er der Deutschen Presse-Agentur. «Die Leute haben seit mehr als 30 Jahren auf diesen Tag gewartet.» Wie gross die Begeisterung in der Heimat ist, beschrieb im EM-Camp sein Freund Iaschwili: «Jeder, den ich kenne, versucht nach Deutschland zu kommen.»