Fussball-Nostalgiker dürften beim Blick auf den Turnierbaum dieser EM wehmütig werden. Da es bei einer Europameisterschaft mit 16 Teilnehmern nach der Gruppenphase direkt in die Viertelfinals geht, kommt es gleich zu echten Krachern. Kein Duell zwischen einem glücklichen Gruppendritten, der sich dann von einem Gruppenersten abstrafen lässt – es sei denn, es trifft gerade die Schweiz auf Frankreich. An der EM der Frauen kommt es schon in der Runde der letzten 8 zum Aufeinandertreffen zwischen den Favoriten.
Los geht es mit dem auf dem Papier wohl am schwächsten besetzten Viertelfinal. Spannend dürfte das Spiel zwischen Norwegen und Italien dennoch werden – ein Sieger ist nur sehr schwer vorherzusagen.
Die Norwegerinnen beendeten die Gruppenphase mit drei Siegen, unter anderem wurde die Schweiz im Eröffnungsspiel geschlagen. Wirklich souverän waren sie aber nicht, besonders die Erfolge gegen Finnland (2:1) und Island (4:3), als Norwegen aber schon als Gruppensieger feststand, waren ziemlich glücklich.
Italien glänzte jedoch ebenso wenig. Gegen Belgien reichte es zwar noch zu einem hart erkämpften 1:0-Sieg, gegen Portugal (1:1) liessen die Italienerinnen mit der Zeit aber stark nach und ihren Spielwitz vermissen. Dafür zeigten die «Azzurre» gegen Spanien trotz 1:3-Niederlage eine ansprechende Leistung. Gegen Norwegen bietet sich nun die Chance, erstmals seit 1997 in den EM-Halbfinal einzuziehen.
Vor dem Turnier gehörte Schweden nicht zum engsten Kreis der Favoriten, mittlerweile muss der erste Europameister der Geschichte aber definitiv zu den heissesten Titelkandidaten gezählt werden. Nach dem etwas mühsamen Auftaktsieg gegen Dänemark (1:0) folgten ein souveräner 3:0-Erfolg gegen Polen und ein spektakulärer Auftritt beim 4:1-Sieg gegen Mitfavorit Deutschland. Nun steht ein nächster Härtetest bevor.
Denn mit England bekommen es die Schwedinnen von Peter Gerhardsson gleich mit dem Titelverteidiger zu tun. Zwar mussten sich die «Lionesses» im ersten Spiel gegen starke Französinnen 1:2 geschlagen geben, doch wurden danach die Niederlande (4:0) und Wales (6:1) deklassiert. Die Engländerinnen sind also definitiv im Turnier angekommen und müssen nun beweisen, dass sie auch gegen formstarke Schwedinnen bestehen können.
Die Fans dürfen sich am Donnerstag auf ein Duell zweier Power-Offensiven freuen. Sorgen bei England vor allem Alessia Russo, Ella Toone und Lauren James für Torgefahr, bereiten den gegnerischen Abwehrspielerinnen aufseiten der Schwedinnen besonders Stina Blackstenius und Kosovare Asllani Sorgenfalten. Auf beide Defensiven kommt also viel Arbeit zu und es wäre nicht überraschend, wenn am Ende entscheidend ist, wer den gegnerischen Offensiv-Stars besser Einhalt gebieten kann.
Es ist der einseitigste Viertelfinal an dieser EM. Weltmeister Spanien trifft auf Gastgeber Schweiz. Für eine grossartige Stimmung dürfte im Berner Wankdorf gesorgt sein; ob die Nati auf der Welle der Unterstützung surfen kann, muss sich zeigen. Einen effektiveren Wellenbrecher als die besonders offensiv überragenden Spanierinnen zu finden, dürfte aber schwierig sein.
Auf dem Papier hat die Schweiz gegen Spanien eigentlich nämlich keine Chance. In allen Teamteilen sind die Ibererinnen nominell besser aufgestellt. Nach dem gesundheitlichen Schock mit einer Hirnhautentzündung spielte Aitana Bonmati nach zwei Kurzeinsätzen im letzten Gruppenspiel gegen Italien wieder über die volle Distanz. Mit ihr und Alexia Putellas vom FC Barcelona hat Spanien die beiden Weltfussballerinnen der letzten vier Jahre im Team. Im Sturm verwertet die bisher vierfache Torschützin Esther Gonzalez derweil jede Möglichkeit, die sich ihr bietet, und im Mittelfeld ordnet Patricia Guijarro das Geschehen. So wurden alle Gruppenspiele gewonnen.
Auch der direkte Vergleich deutet klar auf einen Sieg Spaniens hin. Die letzten drei Duelle im WM-Achtelfinal (1:5) und in der Nations League (0:5 und 1:7) gingen aus Schweizer Sicht allesamt deutlich verloren. Ihre Chance muss sich die Nati wohl in der Defensive der Spanierinnen suchen. Diese war zumindest zeitweise verwundbar, wenn dies auch Meckern auf hohem Niveau ist. Besonders gegen die defensiv stehenden Belgierinnen liess Spanien aber einige Kontermöglichkeiten zu. Kann die Nati diese effizient nutzen – und nur dann –, kann sie den übermächtig scheinenden Gegner ins Wanken bringen.
Zum Abschluss der Viertelfinals gibt es nochmal einen richtigen Leckerbissen. Mit Frankreich trifft das womöglich beste Team der Gruppenphase – Siege gegen England (2:1), Wales (4:1) und die Niederlande (5:2) sind zumindest gute Argumente – auf Mitfavorit Deutschland, dessen Titelchancen mit der 1:4-Niederlage gegen Schweden zum Abschluss der Gruppenphase einen Dämpfer erlitten.
Dennoch ist ein hochkarätiges Duell zu erwarten. Ein Knackpunkt wird sein, wie gut die Deutschen mit den schnellen französischen Flügelspielerinnen – lies: Sandy Baltimore und Delphine Cascarino – umgehen können. Zumal aufgrund der Roten Karte gegen Schweden neben Captain Giulia Gwinn in Carlotta Wamser auch deren Vertreterin in der rechten Verteidigung fehlt. Viele Optionen hat Bundestrainer Christian Wück für diese Positionen also nicht mehr. Selbst wenn er den richtigen Entscheid trifft und Linksaussen Baltimore so etwas bremsen kann, haben die Französinnen mit Stürmerin Marie-Antoinette Katoto oder Mittelfeldspielerin Sakina Karchaoui weitere brandgefährliche Spielerinnen im Kader.
Deutschland liess offensiv bisher hingegen die letzte Genauigkeit und Effizienz vermissen. Gleichzeitig offenbarte es defensive Schwachstellen. Diese kann sich der Rekordeuropameister gegen Frankreich nicht erlauben, sonst droht eine ähnliche Schmach wie gegen Schweden. Dass Kreativkopf Jule Brand (2 Tore, 2 Assists) und Stürmerin Lea Schüller (2 Tore) die deutsche Offensive im Notfall ankurbeln können und Deutschland so auch einige Gegentore verkraften könnte, ist aber ebenso klar.
Nach den Viertelfinals sind zwei Tage spielfrei. Am Dienstag, dem 22. Juli, und am Mittwoch, dem 23. Juli, werden dann die Halbfinals ausgetragen. In Genf kommt es zum Duell zwischen den Siegerinnen der Partien zwischen Schweden und England sowie Norwegen und Italien. In Zürich duellieren sich Frankreich oder Deutschland mit Spanien oder der Schweiz um den Einzug in den Final. Dieser findet am Sonntag, dem 27. Juli, in Basel statt.
Also hoffentlich gibt es ein unterhaltsames Spiel, und sollte es sogar noch etwas spannend werden, hätte ich bestimmt nichts dagegen einzuwenden.