Vor drei Jahren und vier Tagen stand die Fussball-Welt für einige Minuten still. Im Parken-Stadion von Kopenhagen lief die 42. Minute im Spiel zwischen Dänemark und Finnland, als Christian Eriksen plötzlich ein komisches Gefühl empfand. «Der Ball kam gegen mein Knie, da spürte ich etwas wie einen Krampf in der Wade», erzählte der Däne kürzlich im Podcast «Sommeren 21» des dänischen Rundfunks DR.
In diesem Moment kollabierte Eriksen. Seine Teamkollegen Thomas Delaney und Joakim Maehle merken sofort, dass etwas nicht stimmt. Sie winken den Ärzten, welche wenige Sekunden später schon bei Eriksen sind. «Ich habe gesehen, wie er auf der Seite lag, seine Augen waren komplett verdreht», so Maehle. Wenig später habe ihm der Teamarzt gesagt, Eriksen habe keinen Puls. Maehle: «Ich dachte: Das kann richtig schlimm ausgehen.»
In der Folge läuft der Kampf um Eriksens Leben. «Fünf Minuten lang war ich tot», erzählt der Däne später. Mit Herzmassagen und einem Defibrillator schaffen es die Ärzte aber, den Puls zurückzubringen. «Ich habe auf dem Rücken gelegen und gemerkt, dass auf mir herumgedrückt wird», beschreibt Eriksen den Moment, als er zurück ins Leben geholt wurde. «Ich hörte leise, entfernte Stimmen, die Ärzte haben gesprochen.»
Nach bangen Minuten des Wartens wird Eriksen schliesslich vom Platz gebracht, das Spiel wird vorerst abgebrochen. Kurze Zeit später folgt die Entwarnung: Auf den sozialen Medien zirkuliert ein Foto, das Eriksen bei Bewusstsein zeigt. Dies wird wenig später vom dänischen Verband bestätigt. Am gleichen Abend wird das Spiel fortgesetzt, die mitgenommenen Dänen verlieren überraschend mit 0:1. In den weiteren Spielen zeigen sich die Skandinavier aber von den guten Nachrichten über Eriksen beflügelt. Sie überstehen die Gruppenphase und stossen bis in den Halbfinal vor, wo sie an England scheitern.
Bei Erisken bleibt dagegen lange unklar, wie es mit ihm weitergeht. Die Ärzte finden die Ursache des Kollapses in einer erblich bedingten Verdickung des Herzmuskels und implantieren ihm einen Defibrillator. Um sein Leben muss der Däne nicht mehr fürchten, die Zukunft seiner Karriere ist aber offen. Klar ist nur, dass sie nicht in Italien weitergehen kann. Eriksen steht zu dieser Zeit bei Inter Mailand unter Vertrag, in der Serie A darf man mit Defibrillator nicht spielen.
Gleichwohl gibt Eriksen seine Hoffnung auf eine Rückkehr auf den Platz nicht auf. Ende Januar 2022, ein gutes halbes Jahr nach dem Kollaps, unterschreibt er beim Premier-League-Team Brentford. Dort überzeugt er, im Sommer darauf verpflichtet Manchester United den technisch beschlagenen Mittelfeldspieler. Dazwischen folgt das emotionale Comeback im Nationalteam: Am 26. März 2022 wird er zur Pause gegen die Niederlande unter Applaus und bei stehenden Ovationen der Fans eingewechselt. Die Folge ist fast schon kitschig: Zwei Minuten später drischt er den Ball in den oberen linken Torwinkel.
In der abgelaufenen Saison konnte Eriksen in Manchester nicht mehr an seine besten Leistungen anknüpfen. In 28 Partien gelangen ihm ein Tor und drei Vorlagen, in der zweiten Saisonhälfte spielte er nur noch sporadisch. Auch in der Nationalmannschaft ist er deswegen nicht mehr unumstritten. «Den Christian Eriksen, den wir alle kennen, den gibt es nicht mehr», sagte Ex-Nationalspieler Thomas Gravesen zuletzt gegenüber «Tipsbladet». Und weiter:
Anders sieht dies Nationaltrainer Kasper Hjulmand, der schon vor drei Jahren an der Seitenlinie stand, als die Fussballwelt um Eriksens Leben bangte. Der Trainer bot den mittlerweile 32-jährigen Spielmacher für die EM auf. Dieser zahlte das Vertrauen vor gut einer Woche im Testspiel gegen Schweden zurück – beim 2:1-Sieg bereitete er das 1:0 vor und erzielte das 2:1 gleich selbst. «Er ist unser Rhythmus, er ist unser Mann auf dem Feld, der das Spiel diktieren kann», sagt Hjulmand deswegen.
So dürfte Eriksen aller Wahrscheinlichkeit nach auch heute auf dem Platz stehen, wenn Dänemark um 18 Uhr gegen Slowenien ins Turnier startet. Es wird der erste EM-Auftritt seit dem Drama vor gut drei Jahren. «Alles, was weiter geht als ein Spiel, wird für mich besser sein als beim letzten Mal», sagt er deshalb im Vorfeld. Die Geschehnisse von damals könne er nicht vergessen. Aber er sagt: «Es ist nichts, was mich zurückhält. Ich freue mich einfach darauf, zu spielen.»