Freud und Leid lagen am diesjährigen Lauberhorn-Wochenende in Wengen nahe beieinander. Bei der verkürzten Abfahrt vom Freitag feierte das Schweizer Ski-Team in Person von Marco Odermatt zwar einen Sieg. Da sein Teamkollege Marco Kohler im Haneggschuss schwer stürzte, konnte sich darüber aber niemand so richtig freuen.
Marco Kohler und Wengen – eine schwierige Beziehung. Bereits 2020 stürzte der 26-jährige Kohler als Vorfahrer am Lauberhornrennen schwer. Damals erlitt er einen «Totalschaden» am Knie und musste lange pausieren. In der aktuellen Saison meldete sich der Berner eindrücklich zurück. Mit zwei Top-10-Resultaten in den Abfahrten von Gröden und Bormio verzückte er die Schweizer Skifans.
Im Rahmen einer Medienkonferenz sprach Marco Kohler über seine Verletzung, seinen Genesungsprozess und darüber, warum er trotz allem weiterhin im Ski-Weltcup unterwegs sein möchte.
Wie geht es Ihnen momentan?
Marco Kohler: Ich wurde am Dienstag vor einer Woche aus dem Spital entlassen und bin jetzt seit einer Woche bei meiner Freundin zu Hause. Es geht mir so weit gut. Es sind zwar noch Beschwerden da, aber das ist sicher normal nach so einem Eingriff. Ich bin mit den bisherigen Fortschritten aber zufrieden und es geht mir gut.
Was haben Sie denn für Beschwerden?
Ich spüre die Nähte am Innenmeniskus und habe auch ein bisschen Schmerzen am Knie. Auch den Oberschenkel, aus dem Gewebe für das Kreuzband entnommen wurde, spüre ich. Was im Moment sicher dazukommt, ist die gesamte Muskulatur, die monatelang hart gearbeitet hat und jetzt eine Zwangspause machen muss. Ich spüre, dass die Muskulatur jetzt ein bisschen verkrampft. Aber es hält sich alles in Grenzen.
Wie geht es Ihnen auf mentaler Ebene?
Es geht mir eigentlich gut, aber die Zeit unmittelbar nach dem Unfall war natürlich schwierig. Ich war eigentlich gut drauf. Wenn man dann so einen Rückschlag hinnehmen muss, ist das schon schwer. Ich bin noch nicht ganz auf der Höhe, aber es wird Schritt für Schritt besser.
Haben Sie den Sturz noch einmal angeschaut?
Ja, ich werde den Sturz auch in Zukunft wieder anschauen. Ich habe mit meiner Mentaltrainerin schon nach der letzten Verletzung ein Schema entwickelt, das mir hilft, den Sturz zu verarbeiten und die bösen Erinnerungen gewissermassen aus meinem Hirn zu löschen.
Traurige Nachricht aus Wengen 😢
— SwissSkiTeam (@swissskiteam) January 11, 2024
Marco Kohler ist heute in der Abfahrt von Wengen gestürzt und hat sich dabei am rechten Knie verletzt.
Die bisherigen Untersuchungen haben einen Riss des vorderen Kreuzbandes, des inneren Meniskus, sowie eine Zerrung des Innenbandes ergeben. pic.twitter.com/CbXIJPj1uo
Wie sieht dieses Schema genau aus?
Ich schaue den Sturz immer wieder an und es passiert auch automatisch, dass sich die Bilder immer wieder in meinem Kopf abspielen. Die Idee ist, dass ich die Bilder aus meinem Hirn lösche und mit einer guten Fahrt ersetze. Das heisst, dass ich mir visuell vorstelle, dass ich den Sprung perfekt treffe und weiter den Haneggschuss hinunter und dann ins Ziel fahre.
Hadern Sie manchmal mit Ihrem Schicksal?
Der ganze mentale Prozess ist sehr komplex, zum Beispiel fragt man sich schon «Warum immer ich?» oder «Warum musste das passieren?». Das sind Themen, an denen ich mit meiner Mentaltrainerin arbeite.
Schauen Sie Skirennen oder ist das momentan kein Thema?
Dafür habe ich zu sehr ein Sportlerherz. In Kitzbühel habe ich auch zugeschaut, obwohl es schmerzhaft war, weil ich gerne auch da gewesen wäre. Aber eben, ich denke, das gehört auch zum Prozess der Verarbeitung. Ich bin aber zu sehr in diesem Sport drin, als dass ich nicht zuschauen könnte.
Freuen Sie sich für Kollegen wie Marco Odermatt, die momentan viele Erfolge feiern?
Sicher. Ich schaue die Rennen in erster Linie wegen meiner Teamkollegen und meiner Freunde im Skisport. Ich finde es natürlich schön, wenn sie erfolgreich sind, im Moment performt ja das ganze Schweizer Team gut. Das macht das Ganze sicher ein bisschen einfacher.
Gab es Parallelen zu Ihrem Sturz im Jahr 2020, ebenfalls in Wengen?
Ja, schon. Es war ein ziemliches Déjà-vu, weil es am selben Ort passiert ist und der Abtransport ähnlich war. Aber seit der Operation weiss ich, dass die Ausgangslage eine ganz andere ist. Es ist zwar eine Verletzung, die meinen Körper verändern wird, aber sie ist weniger komplex als diejenige im Jahr 2020. Der Prozess wird anders verlaufen, ich weiss mehr, was mich erwartet, weil es eine Verletzung ist, die im Skisport oft vorkommt. Letztes Mal war das anders.
Haben Sie schon einen Zeitplan für die Zukunft oder ist es dafür noch zu früh?
Es steht schon ein Grundplan. Wegen des Meniskus und der damit einhergehenden, eingeschränkten Beweglichkeit und Belastungsfähigkeit, mache ich jetzt zuerst einmal fünf Wochen Pause. Die nächste Zeit wird also eher ruhig. Ich gehe ein bisschen in die Wärme, um auf andere Gedanken zu kommen. Nach diesen fünf Wochen wird dann die Reha starten und dann sehen wir Schritt für Schritt, wie es weitergeht. Das ist der grobe Plan.
Ist eine Rückkehr auf die nächste Saison hin also nicht ausgeschlossen?
Das ist eigentlich das Ziel. Ich brauche jetzt eine Pause, damit alles verheilen kann, dann kommt die Reha. Ich will nichts forcieren, aber ich will sicher immer dran bleiben, damit ich möglichst im Herbst wieder auf die Ski stehen und die nächste Saison wieder in Angriff nehmen kann.
Bei Ihrem Sturz sah es so aus, als würden sie dem nach ihnen gestarteten Franjo von Allmen ein Handzeichen geben. Haben sie ihn überhaupt wahrgenommen?
Ich habe Franjo gesehen und er hat ein Daumen-Hoch-Zeichen in meine Richtung gemacht. Ich habe dann reagiert, um Entwarnung zu geben, um zu zeigen, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Also klar, es war eine Verletzung, aber ich war zu diesem Zeitpunkt bei Bewusstsein und ich hatte keine grossen Schmerzen. Ich wusste da schon, dass das Knie kaputt ist, aber es hätte auch etwas Schlimmeres passieren können.
Nach den Rennen in Wengen, an denen drei Fahrer schwer gestürzt sind, wurde auch die Frage laut, ob die Belastung mit drei langen Rennen an einem Wochenende zu gross war. Was meinen Sie dazu?
Das ist immer ein schwieriges Thema. Wir können aber diese drei Unfälle [Kohler, Kilde, Pinturault, Anm. d. Red.] nicht in den gleichen Topf werfen. Bei mir war es ein klarer Fahrfehler, das hatte nichts mit der Belastung zu tun, bei Alexis Pinturault war es auch eher ein Fahrfehler. Aber eben, es war sicher eine grosse Belastung, wenn man die längste Abfahrt und den längsten Super-G in einer Woche fährt. Aber ich glaube, man kann nicht alles darauf zurückführen.
Was motiviert Sie auf dem langen Weg zurück?
Ich habe ein riesiges Sportlerherz und eine riesige Leidenschaft für meinen Sport, deshalb habe ich eine grosse intrinsische Motivation. Zwischen der Verletzung vor vier Jahren und jetzt gibt es schon einen Unterschied. Ich bin in die Nähe der Weltspitze gekommen und das gibt mir eine riesige Motivation. Einerseits tut es weh, weil ich gerne so weitergemacht hätte, aber es gibt mir auch einen zusätzlichen Push für die Reha. Das Wissen, dass meine Reise wieder dorthin gehen könnte, wenn der Heilungsprozess gut verläuft, gibt mir eine grosse Motivation.
Ganz ehrlich – haben Sie nach diesen Verletzungen nie an einen Rücktritt gedacht?
Nein, das war nie ein Thema. Natürlich ist man enttäuscht und fällt in ein Loch in diesem Moment. Aber in meinem Umfeld habe ich einen so starken Rückhalt, dass ich nicht eine Sekunde an einen Rücktritt gedacht habe.
Ihr Sturz – gerade auch nach den guten Resultaten in letzter Zeit – ging vielen nahe. Spürten Sie diese Anteilnahme?
Ja, sehr, ich habe viele Nachrichten bekommen. Es ist überwältigend, wie viele Leute mit mir mitfiebern. Das ist ein schönes Gefühl, aber es hat das Ganze manchmal emotional noch schwieriger gemacht. Aber es motiviert mich, zurückzukommen und in der Reha Vollgas zu geben.