Sport
Interview

ESAF: Schwingerkönig Silvio Rüfenacht über Schwingen damals und heute

Silvio Ruefenacht posiert am 10. August 1997 nach seinem Triumph am Schwingfest von Biel stolz mit seinem Preis. Ruefenacht gehoert am Eidgenoessischen Schwing- und Aelplerfest zu den Hoffnungen des v ...
Rüfenacht 1997 mit einem schönen Siegerpreis.Bild: KEYSTONE
Interview

König Silvio Rüfenacht: «Die heutigen Schwinger verbringen zu viel Zeit im Kraftraum»

1992 gewann Rüfenacht in Olten das Eidgenössische. Heute spricht der 57-Jährige über den Suizid seines Schlussgang-Gegners und erklärt, warum am Eidgenössischen nicht immer der beste Schwinger gewinnt.
08.08.2025, 15:52
Emil Rohrbach / ch media
Mehr «Sport»

Bald ist das Eidgenössische. Wenn man Ihnen Joel Wicki im ersten Gang zuteilen würde, wie lange würden Sie durchhalten?
Heute oder damals?

So, wie wir jetzt hier sitzen.
Die erste Minute liefe sicher gut. Dann aber würde mir die Puste ausgehen.

Den Kampfgeist verliert ein König also nie?
Kampfgeist, mentale Stärke und die Routine. Das bleibt im Kopf erhalten.

Silvio Ruefenacht, Chef Gabentempel, praesentiert ueber 400 Gaben im Gabentempel des "Eidgenoessischen" 2013, die waehrend 14 Tagen bestaunt werden koennen, aufgenommen am Freitag, 16. Augus ...
Rüfenacht als Chef Gabentempel beim Eidgenössischen in Burgdorf.Bild: KEYSTONE

Wie lebt es sich als «Ex-König»?
Eigentlich nicht anders als jeder normale Mensch auch. Man muss immer noch arbeiten und seine Brötchen verdienen. Ab und zu werde ich an einem Schwingfest erkannt, das ist aber schön.

Werden Sie bevorteilt?
König zu werden, hat mir eigentlich nur Vorteile verschafft. Sicher war es zu meiner Zeit noch nicht möglich, durch Sponsoring zu Geld zu kommen. Heute verdienen die Spitzenathleten ja teilweise schon sehr viel Geld. Das gab es zu unserer Zeit nicht.

Was war anders?
Wir haben wirklich für die Freude und des Sportes wegen geschwungen. Und wir haben am Abend vielleicht ein Bierchen mehr getrunken, als sie es heute tun. Zudem gab es noch keine Handys, da musste man keine Angst haben, dass jeder Seich im Netz landet.

Silvio Rüfenacht
Für den Schwingklub Burgdorf wurde er 1992 Schwingerkönig, holte sechs Eidgenössische Kränze und 15 Festsiege (darunter drei Teilverbandsfeste und ein Sieg auf dem Brünig). Er ist Zimmermann und lebt in noch immer in der Nähe von Burgdorf.

Das heisst, früher war alles besser?
Nein, das sicher nicht. Das Schwingen hatte einfach nicht die Fernsehpräsenz, die es heute erhält. Wenn zu meiner Zeit Schwingen am Fernseher kam, habe ich mich stets fürchterlich geärgert.

Warum?
So weit ich mich erinnern mag, kam da jeweils zuerst der Jodlerklub, dann in der zweiten Einstellung durfte man zusehen, wie einer ein Bier trinkt und eine Bratwurst isst. Den Schlussgang konnte man dann wenigstens schauen, vielleicht auch vorher schon einen Gang. Aber das war es. Das Sportliche kam zu kurz und Schwingen wurde als kurioses Volksfest dargestellt. Heute geht es ja fast ins andere Extrem.

Sie finden, das Schwingen wurde zu gross?
Ich finde es schade, wenn ein normaler Schwingfan bereits im Januar die Schwingfeste planen muss, die er sehen will, weil sonst gar keine Tickets mehr erhältlich sind.

Das dürfte für Sie leichter sein.
Ja, im Kanton Bern bin ich an zwei Festen Ehrengast, ansonsten muss ich mir die Tickets wie jeder andere selbst besorgen. Aber da hat es heute auch viel Cüpliprominenz, die man früher fast nie an Schwingfesten sah. Nächstes Jahr sind im Kanton Bern wieder Wahlen, und schon jetzt sieht man wieder die bekannten Gesichter auf den Schwingplätzen.

Man wird gerne mit dem König gesehen, auch heute noch?
Ich sage es so: Wenn ich morgen durch den Bahnhof Zürich gehe, werde ich zu 75 Prozent von einer Person erkannt. Das war früher noch schlimmer.

Schlimmer?
Nein, aber ich bin halt eine Person des öffentlichen Interesses geworden durch meinen Königstitel. Dann muss man halt ein wenig «dorfen» – also plaudern – und das ist ja auch schön.

1992 wurden Sie Schwingerkönig. Nehmen Sie uns mit zurück nach Olten: Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Ich bin fast aus meiner Haut gefahren, so nervös war ich, als ich im Schwingerzelt darauf gewartet habe, dass mein Name runtergelesen wird. Als es dann so weit war, schritt ich in die Arena. Ich war völlig im Tunnel und wusste: Ich will jetzt unbedingt das Fest gewinnen.

Und das gelang Ihnen.
Mit Jörg Schneider habe ich vorher noch nie geschwungen. Dennoch wollte ich unbedingt eine schnelle Entscheidung erzwingen. Ungefähr in der dritten Minute ziehe ich mit Kurz-Fussstich an und kann den Gang für mich entscheiden. Dann ging der Rummel los.

Der aus Bern stammende Silvio Ruefenacht, neuer 'Schwingkoenig' mit Muni Alex, bei der Siegerehrung am Eidgenoessischen Schwingfest, 16. August 1992, Olten, Schweiz. (KEYSTONE/Str)
Frischgebackener König: Rüfenacht mit Siegermuni Alex.Bild: KEYSTONE

Rummel?
Ich wurde natürlich geschultert –Peter Schmutz und Urs Dennler beide sind langjährige Weggefährten in meiner Karriere–, alle haben gratuliert und ich musste zu Beni Turnheer auf die Tribüne für ein Interview. Dann endlich duschen, Rangverkündigung, Fotos und heim nach Hettiswil. Es gab einen Empfang. Im Dorf waren wohl doppelt so viele Leute anwesend, wie dort überhaupt wohnen. Dann festen bis in den Morgen: Anstrengend. Und am Montagabend musste ich wieder einrücken. Ich war in der Offiziersschule.

Wie haben Sie diese Doppelbelastung gehandhabt?
Das ging recht gut, ich wurde unterstützt von meinem Schulkommandanten und zwei Wochen vor dem Eidgenössischen konnte ich eine Woche freinehmen für ein Trainingslager. Und ich konnte eigentlich immer ein bis zweimal trainieren, während des Dienstes.

Es gab ja keine Schwinger-RS damals.
Ja, aber ich bin damals in der RS den Deal eingegangen, dass ich weitermache, wenn ich dafür Zeit bekomme, um zu trainieren. Eine Hand wäscht die andere.

Der Solothurner Matthaeus Huber, oben, bringt am Sonntag, 19. Mai 2002, in Loewenberg bei Murten am Expo-Schwinget den Berner Silvio Ruefenacht in Schwierigkeiten. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Gegen Huber Matthäus, dessen imposanter Schnauz leider nicht zu sehen ist, muss Rüfenacht beim Expo-Schwinget 2002 beissen.Bild: KEYSTONE

Was war für Sie der härteste Gang auf dem Weg zum Titel?
Im siebten Gang bekam ich es mit Daniel Hüsler zu tun, es ging um den Schlussgang und ich musste gewinnen. Und mein Verbandskollege Niklaus Gasser, ebenfalls ein sehr starker Schwinger, musste stellen, damit ich in den Schlussgang komme.

Wenn Sie das Schwingen von heute mit dem Ihrer Zeit vergleichen: Was fällt Ihnen auf?
Mit dem Schwingklub Burgdorf haben wir 1995 das Emmentalische organisiert. Sie müssen sich vorstellen: Wir haben im Vorverkauf etwa 20 Billets verkauft. Heute geht es beträchtlich länger, bis ich an einem Fest meine Freunde finde, weil so viele Menschen da sind. Ob das nun besser ist oder schlechter? Es ist einfach anders.

Haben Sie ein Lieblingsfest?
Ja, und zwar waren das immer die kleinen Feste. Klub-Schwinget oder Hallenschwinget. Es ist intimer, freundschaftlicher und es ging auch relativ speditiv. So ist man am Abend auch wieder mal zu Hause. Jetzt gehe ich gerne auf die Schwägalp, Weissenstein und den Schwarzsee.

Die Schwägalp ist zwei Wochen vor dem Eidgenössischen, ist das ein Problem wegen Verletzungen?
Da musst du durch. Die Verletzungsentschuldigung zieht für mich nicht. Auch im Training bleibt ein Restrisiko. Das Leben ist immer gefährlich. Am Ende muss aber jeder selbst entscheiden. Ich habe immer das Risiko bevorzugt.

De gauche a droite, Mirko Silian du SCL Martigny, Silvio Ruefenacht, champion Suisse cathegorie 130 kg, du RS Sense, luttent lors des finales a Ovronnaz, en Valais ce dimanche 7 avril 2002. Ce week-en ...
Rüfenacht war auch ein ausgezeichneter Ringer.Bild: KEYSTONE

Würden Sie sagen: Der heutige König ist athletischer – oder einfach besser betreut?
Heute will jeder Schwinger einen Coach haben, der ihm sagen muss, wie gut er ist. Das kann ich nicht nachvollziehen. Als gestandene Männer, die einen harten Sport betreiben, müssten die eigentlich wissen, wie es ihnen geht am Morgen. Ich finde, die heutigen Schwinger verbringen zu viel Zeit im Kraftraum. Schwingen ist noch immer das beste Training. Ein Hockeyspieler muss Hockey spielen, und das Athletiktraining gehört einfach dazu.

Aber ich fürchte, dass der Körperkult bei einigen Schwingen überhandnimmt. Als Konsequenz schwingen die heutigen Athleten vor allem mit Kraft. Man sieht viel Kurz. Aber ich bin überzeugt, dass die Spitzenschwinger der Geschichte auch heute noch bestehen würden.

Wie beurteilen Sie die zunehmende Professionalisierung im Schwingsport?
Wenn einer einen Vertrag macht für 3000 bis 4000 Franken im Monat, das ist zwar viel Geld, aber lohnt es sich dann wirklich? Es kostet viel Präsenzzeit. Man ist dann der Vertreter einer Marke und nicht mehr einfach sich selbst. Da stelle ich ein Fragezeichen dahinter.

Gibt es etwas, das Sie rückblickend auf Ihre Karriere anders machen würden?
Zuallererst: Man kann nicht in der Vergangenheit leben. Aber es ist natürlich schon so, wenn ich zurückdenke, kommen vor allem die Schlussgänge hoch, die ich nicht gewonnen habe. Die Gänge, bei denen man jetzt vielleicht genau wüsste, wie sie zu gewinnen wären.

Was bedeutet Ihnen der Schwingsport heute?
Das Schwingen ist mein Leben. Da habe ich meine Freunde und das wird auch so bleiben.

Der Sportreporter und TV-Moderator Bernard "Beni" Thurnheer, rechts, interviewt am 17. August 1992 am Eidgenoessischen Schwingfest in Olten den entthronten Schwingerkoenig Adrian Kaeser, lin ...
Wäre heute anders: Beni Thurnheer interviewt am Boden liegend den Schwingerkönig von 1989, Adrian Käser.Bild: KEYSTONE

Ihr Schlussgang-Gegner von 1992, Jörg Schneider, hat sich das Leben genommen. Wie erinnern Sie sich an ihn?
Er war ein richtig flotter Typ. Damals ging es ein paar Tage, bis wir es überhaupt mitbekommen haben. Und bis heute weiss ich nicht, warum es so weit kam. Vielleicht ist er am Erfolg gescheitert.

Wie sind Sie mit Ihrem Erfolg umgegangen?
Ich engagierte bereits früh einen Mentaltrainer und wir arbeiteten daran, in den richtigen Momenten ruhig zu bleiben und vor dem Gang anzuspannen.

War mentale Gesundheit ein Thema unter Schwingern?
Ich gehe davon aus, dass jeder einen Rucksack zu tragen hat. Aber auch da: Du gehst an ein Schwingfest, trinkst vielleicht eins über den Durst und dann kann man einander von den Sorgen erzählen, die einen plagen. Diese Momente sind mein Psychiater, pflege ich zu sagen.

Was war die grösste Herausforderung, die Sie je zu meistern hatten?
Nach dem Königstitel musste ich lernen, mit dem Druck umzugehen. Aber da habe ich einfach meine Schwingweise geändert und mich einmal mehr damit zufriedengegeben, den Gegner am Boden zum Resultat zu murksen. Im Privatleben kam der Druck von allein, als ich mich selbstständig gemacht habe, aber das gehört dazu.

War der Schritt in die Selbstständigkeit der richtige?
Ja. Ich war damals 27 und noch aktiver Schwinger. Und dann hatte ich etwas Glück. Ich konnte eine Firma übernehmen, die in Konkurs ging. Quasi vom einen Tag auf den andern hatte ich ein Gebäude und fünf Angestellte. Das war «learning by doing». Ich musste Kunden finden. Vielleicht hat mir damals der Name ein paar Türen geöffnet. Aber am Ende muss die Arbeit gut sein, da reicht der Name allein dann nicht mehr aus.

Bald könnte sich ein neuer Schwinger einen Namen machen. Wer wird in Mollis König?
Der Beste. Das ist eine gemeine Antwort, ich weiss.

Aber eine diplomatische.
Wobei gesagt sein muss, dass der Beste an einem Eidgenössischen eben nicht zwingend der beste Schwinger ist. Sondern der, dem Einteilungsglück und Momentum zuteil wird.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Alle Schwingerkönige der ESAF-Geschichte
1 / 47
Alle Schwingerkönige der ESAF-Geschichte

2022 in Pratteln: Joel Wicki.

quelle: keystone / peter schneider
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Hilfe! Ich habe ein Schweinchen beim Schwingen gewonnen
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
1
«Ganz klar ein Fehlentscheid»: Diese Szene sorgt bei YB-Trainer Contini für grossen Frust
Gleich mit 4:1 konnte Basel am Mittwochabend gegen YB gewinnen. Für Gesprächsstoff nach dem Spiel sorgte aber die vermutlich entscheidende Szene beim Stand von 1:1. YB-Trainer Giorgio Contini kritisierte den Entscheid der Schiedsrichter nach dem Spiel scharf.
Es läuft die 56. Minute im vorgezogenen Spiel zwischen dem Schweizer Meister Basel und den Young Boys. Von Anfang an hielt das Gipfeltreffen, was es versprach, doch in ebendieser Minute wird die Partie auf den Kopf gestellt.
Zur Story