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Super League: FCZ-Coach Bo Henriksen im Interview über Klub und Fans

FCZ Cheftrainer Bo Henriksen spricht am Vorschaugespraech vor dem Start zur zweiten Saisonphase, aufgenommen am Donnerstag, 19. Januar 2023 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Er übernahm im Oktober: Bo Henriksen.Bild: keystone
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FCZ-Trainer Bo Henriksen setzt auf Daten, aber sagt: «Zu 90 Prozent entscheidet der Kopf»

Die Schweiz kennt Bo Henriksen seit jüngster Kindheit, den FC Zürich hat er in den letzten drei Monaten kennengelernt – und schwärmt: «Der Klub ist umgeben von emotionalen Menschen.» Im Interview erklärt der FCZ-Trainer, wie er den Meister vor dem Abstieg bewahren will und wie wichtig Datenanalyse im Fussball wirklich ist.
21.01.2023, 13:5121.01.2023, 13:54
Stefan Wyss / ch media
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Als Sie im Oktober Trainer wurden beim FC Zürich, kannte Sie in der Schweiz fast niemand. Wie war es umgekehrt?
Bo Henriksen:
Ich kannte die Schweiz ziemlich gut. Eine Tante von mir lebte hier, in der Nähe von Frauenfeld. Ich habe drei Cousins, die in der Schweiz leben. In meiner Kindheit und Jugend war ich oft hier in den Ferien.​

Haben Sie auch gewusst, was Sie fussballerisch hier erwartet?
Auch den Schweizer Fussball habe ich gekannt. Mit meinen Cousins redete ich oft darüber. In den Achtziger- und Neunzigerjahren stand die Schweiz etwas hinter Dänemark. Seither haben die Schweizer aufgeholt. Die Nationalmannschaft ist stark, sie ist die Lokomotive. Auf Klubebene ist die Schweiz mit Dänemark vergleichbar. Die beiden Länder sind ähnlich gross, haben von der Bevölkerungszahl her die gleichen Voraussetzungen. Fussballerisch verbindet sie die taktische Variabilität in der Ausbildung. Was ich dann vor Ort angetroffen habe, hat mich bestärkt in der Meinung, den richtigen Entscheid getroffen zu haben.

FCM traener Bo Henriksen. Sydbank Pokalen - 1. kvartfinalekamp, Broendby IF - FC Midtjylland, soendag den 5. december 2021 , Broendby Denmark *** FCM coach Bo Henriksen Sydbank Cup 1 quarterfinal matc ...
In Dänemark trainerte Henriksen zuletzt Midtjylland. Bild: imago / ritzau scanpix

Erzählen Sie.
Ich denke, der FCZ hat ein gutes Scouting betrieben, dass er mich geholt hat. (lacht) Ich bin ein Familienmensch, deshalb passe ich in diesen Klub. Er ist geerdet, hat Visionen und es wird hart gearbeitet. Ich habe Gefühle und Emotionen. Ich lache gerne und gebe mich gerne mit Menschen ab. Das ist meine Art. Und so ist auch der Klub, umgeben von emotionalen Menschen.​

Wie haben Sie das in den ersten drei Monaten gespürt?
Ich wusste, dass der FCZ in der Schweiz ein grosser Klub ist. Aber dass die Begeisterung so gross sein würde, hat mich überrascht. Die Leute standen vor dem Klubmuseum mehrere Hundert Meter Schlange, um hineinzukommen, als wir da Autogramme schrieben. Ich habe viel Respekt für die Kraft, welche von dieser Passion ausgeht.​

Die FCZ-Fans beim Auswärtsspiel in London:

Video: watson/Twitter/FBAwayDays

Zurück zu Ihren ersten Wochen als Trainer beim FC Zürich: Die Mannschaft war sieglos Letzter und nach einem Monat begann schon die Winterpause. Hätten Sie nicht besser erst im neuen Jahr übernommen?
Als Coach wünschst du dir, dass du viel Zeit auf dem Platz verbringen kannst, um mit der Mannschaft zu arbeiten. Aber diese Zeit hatte ich im Herbst nicht, weil wir alle drei Tage ein Spiel absolvierten. Ob das ein Nachteil war? Es könnte auch ein Vorteil gewesen sein. Wir hatten ein paar Niederlagen, aber wenn du verlierst, ist es vielleicht besser, grad wieder spielen zu müssen. Dann hast du keine Zeit, nachzudenken, welche Fehler du gemacht hast.

«Die Resultatkrise hat mir geholfen, die Spieler besser zu verstehen.»

Dieser Absturz vom Meistertitel auf den letzten Platz. Die Mannschaft muss in einem schlimmen Zustand gewesen sein.
Ob du im Fussball Erfolg hast oder nicht, entscheidet sich zu 90 Prozent im Kopf. Also muss ich schauen, dass sich die Spieler wohlfühlen. Wenn sie an ihren Chef glauben und an ihre Mitspieler, dann stehen sie am Morgen glücklich auf und arbeiten besser. Deshalb musste ich als Erstes die Spieler als Menschen kennenlernen und herausfinden, woran sie glauben. Diese Resultatkrise des FCZ, das konnte eigentlich nicht sein. Aber sie hat mir auch geholfen, die Spieler besser zu verstehen. Denn den wahren Menschen erkennst du, wenn es nicht gut läuft, wenn er kein inneres Gleichgewicht hat.

Jetzt haben Sie nach einer wochenlangen Vorbereitung und dem Trainingslager in der Südtürkei die Mannschaft noch besser kennengelernt. Ist sie wieder aufgestanden?
Ich habe ein gutes Gefühl. Wir haben gute Laune. Ich sehe tolle Dinge bei den Spielern, sie haben mehr Vertrauen in sich und in die Kollegen. Aber das grosse Selbstvertrauen kommt erst zurück, wenn du Dinge versuchst und siehst, dass sie klappen. Und dazu brauchen wir jetzt erfolgreiche Spiele in der Meisterschaft.​

Sie sagen, dass sich 90 Prozent im Kopf entscheidet. Wie sehen beim FC Zürich die restlichen 10 Prozent aus, die rein fussballerischen?
In der Defensive waren wir ziemlich gut. In der Meisterschaft spielten wir taktisch nur zwei schlechte Partien: gegen Grasshoppers (1:4) und in Lugano (0:2). Wobei gegen Lugano war es eigentlich auch okay, da hatten wir drei Tage zuvor gegen Arsenal gespielt. Wir hatten keine richtige Vorbereitung, es kamen die Reisen hinzu, zurück aus London und dann ins Tessin. Aber ich will keine Entschuldigungen für die Niederlagen suchen.

Und die Defizite?
Vorne haben wir zu wenig gemacht. Wir haben zu wenige Chancen kreiert und dann abgesehen vom Sieg gegen Servette auch nicht effizient gespielt. Wir brauchen ganz klar mehr Tore, in der dritten Zone müssen wir besser werden. Da brauchen wir mehr Klarheit im Kopf – Sie sehen, wieder der Kopf.​

FC Zuerichs Aiyegun Tosin bejubelt sein Tor zum 4:1 im Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen dem FC Zuerich und Servette FC am Sonntag, 13. November 2022 im Letzigrund Stadion in Zuer ...
Aiyegun Tosin war mit vier Toren der beste Torschütze beim FCZ.Bild: keystone

Nehmen Sie im Hinblick auf die Rückrunde taktische Änderungen vor, um das Problem zu beheben?
Wir haben Stürmer mit Qualität, mit Afriyie und Simic sind nochmals zwei dazugekommen. Dass wir zu wenige Tore erzielten, betrifft aber auch nicht nur die Stürmer. Es stehen auch die Verteidiger und die Mittelfeldspieler in der Verantwortung. Wir spielen mit nur einem Sechser, somit haben wir mehr Möglichkeiten, weitere Spieler in den Abschluss zu bringen. Daran arbeiten wir im Training.​

Apropos Arbeit im Training: Sie waren zuvor Coach von Midtjylland, einem Klub, der Vorreiter war darin, datenbasiert zu trainieren und Spieler zu rekrutieren.
Heute fliesst die Datenanalyse in jedem Klub in die Arbeit auf dem Trainingsplatz ein. Solche Statistiken sind überall zu checken. Von wo erzielt ein Team die meisten Tore? Von wo kommen die Assists, wo muss der Ball erobert werden, damit die Chance auf einen Treffer erhöht wird? Die Datenanalysten zerlegen ein Spiel in Tausende von Teilen, die man überall nützen kann.

«Ich muss einem Profi nicht beibringen, wie er Fussball spielen oder wie er einen Pass schlagen soll. Aber ich kann ihm aufzeigen, wo sein Pass Sinn macht.»

Können Sie ein Beispiel nennen, wie Sie als Trainer konkret mit den Erkenntnissen aus diesen Daten arbeiten?
In Midtjylland arbeiteten wir mit dem Algorithmus von «Smart Odds» (diese englische Wettfirma gehört dem Briten Matthew Benham, der auch Mehrheitsaktionär von Midtjylland ist; Red), der Tausende und Abertausende von Spielen analysiert. Damit erfahren wir, dass 90 Prozent der Tore im Strafraum fallen. Also müssen wir herausfinden, wie wir am schnellsten in den Strafraum kommen, nachdem wir den Ball erobert haben. Und dann wiederum, wo die Balleroberung am meisten Sinn macht. Meine Aufgabe als Trainer ist es, so zu arbeiten, dass die Spieler im Spiel eben rasch in diese Positionen kommen, wo sie den Ball erobern, den Assist machen und das Tor schiessen können.

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Selbst Einwürfe, wie hier von Adrian Guerrero, werden anhand von Daten analysiert.Bild: keystone

Plaudern Sie doch noch ein bisschen mehr aus dem Nähkästchen.
Allzu viel will ich nicht verraten. Aber ein weiteres Beispiel ist der Einwurf: Wird dieser nicht innerhalb von sieben Sekunden ausgeführt, wird das Risiko, den Ball zu verlieren, zehnmal grösser. Oder: Ich will, dass meine Stürmer die Pässe im Strafraum schlagen. Sie sollen nicht mit dem Ball zur Cornerfahne laufen. Denn ein letzter Pass, der im Strafraum geschlagen wird, erhöht die Chance auf einen Treffer im Vergleich zu einer Flanke von ausserhalb um 60 Prozent.

Da stellt sich die Frage, ob die Spieler mit einer solchen Flut an Informationen nicht überfordert sind. Die Intuition spielt doch auch eine wichtige Rolle.
Klar, Fussball soll Spass sein, man soll auch Freiheiten haben auf dem Platz. Und letztlich sind die Spieler Menschen, die Entscheide treffen, auch falsche. Mein Job ist es, dass die Spieler nicht zu viele, aber die richtigen und entscheidenden Daten bekommen. Ich muss einem Profi nicht beibringen, wie er Fussball spielen oder wie er einen Pass schlagen soll. Aber ich kann ihm aufzeigen, wo sein Pass Sinn macht.

Muss ein Trainer nun eher Mathematiker sein oder Psychologe?
Wie gesagt, das Taktische, das macht vielleicht 10 Prozent aus. Dank der Datenanalyse sind es vielleicht fünf Prozent mehr. Der Rest ist hier (er tippt sich an die Stirn; Red). Ich sage zu einem Spieler: Wie kann ich dir helfen. Und nie: Du musst das oder das machen. Es ist ein permanenter, psychologischer Prozess. Du musst als Trainer die Spieler fühlen, ihnen Energie geben, Kraft und Glaube in die eigenen Stärken vermitteln.

Le defenseur zurichois Adrian Guerrero, fete la victoire avec l'entraineur zurichois Bo Henriksen lors de la rencontre du championnat de football de Super League entre le FC Sion et le FC Zurich  ...
Henriksen baut auf eine enge Bindung zu seinen Spielern.Bild: keystone

Sie reden oft von dieser Energie, von Gefühlen, von Vertrauen. Trifft es einen Trainer wie Sie härter, wenn er entlassen wird, so wie Sie im Sommer in Midtjylland?
Wenn du Trainer bist, weisst du, dass dieser Tag irgendwann kommt. Ich habe alles gegeben, ich kann in den Spiegel schauen. Die Resultate waren gut. Wir waren Zweiter und Cupsieger. Aber der FC Kopenhagen hat halt zehnmal mehr Geld zur Verfügung. Ich habe auf meine Art gearbeitet, und am Ende wollten sie in Midtjylland etwas anderes. Das ist okay.

«Der FCZ ist ein Klub mit grossen Visionen. Aber fürs Erste müssen wir demütig sein. Der Abstiegskampf wird hart.»

Sie haben mal gesagt, Sie hätten in allen Klubs die geforderten Resultate übertroffen. Verraten Sie uns bitte, was FCZ-Präsident Ancillo Canepa von Ihnen fordert!
Der FCZ will irgendwann wieder in den Europacup. Das ist ein Klub mit grossen Visionen. Das liebe ich, denn auch ich will gewinnen. Aber fürs Erste müssen wir demütig sein. Um dahin zu kommen, wo es etwas zu gewinnen gibt, müssen wir zuerst unten rauskommen. Der Abstiegskampf wird hart. Keiner hat den FCZ dort erwartet. Vier Punkte Rückstand auf Winterthur, acht auf die Teams auf Platz 8 – das ist schon eine Hypothek.

Echt jetzt? Niemand glaubt ernsthaft daran, dass der FCZ absteigen könnte.
Fakt ist: Wir sind Letzter, wir sind das schlechteste Team. Wir müssen uns darauf fokussieren, was jetzt ist, hart arbeiten und alles daransetzen, diesen Platz schnellstmöglich zu verlassen. Ich hoffe, dass wir für die restlichen 20 Spiele die Nummer vier sind oder die Nummer fünf oder sogar die drei. Und daran glaube ich auch. Aber wir müssen demütig sein. Du darfst im Leben nie glauben, dass du zu gut oder zu stark bist, dass etwas passieren könnte. Wenn du nicht demütig bist, bist du irgendwann verloren.

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