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Alpenidyll, Beton, Kommerz und Gölä: So war das ESAF 2025 in Mollis

Die besten Bilder des ESAF 2025

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Die besten Bilder des ESAF 2025 in Mollis

Der neue Schwingerkönig: Armon Orlik posiert mit Siegermuni Zibu.

quelle: keystone / gian ehrenzeller
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Alpenidyll, Beton, Kommerz und Gölä: So war das ESAF 2025

Das Eidgenössische in Mollis war mehr als ein grandioses Schwingfest – es war ein Stück Schweiz. Echt. Widersprüchlich. Wunderschön. Und am Ende mit dem ersten «Erbkönig» der Geschichte.
31.08.2025, 20:5531.08.2025, 21:47
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Ein breiter Boulevard der Krämer auf dem betonierten Flugfeld neben der Arena. Eine Strasse der Verlockung, der Verführung, des geschickten Marketings, des Konsums und der kleinen wie grossen Ausschweifungen. Eine überdimensionierte nationale Gewerbeausstellung, durchzogen von Alphornklängen und Bratwurstduft.

Mit sozialen Gegensätzen: Ausgerechnet hier beim Schwingfest, wo alle per Du sind, gibt es VIP-Buden und der Zutritt ist dem Sennen und Büetzer ohne VIP-Bändeli verwehrt.

Tausende von Festbesucher stroemen in die Schwingerarena vor dem 1. Gang beim Eidgenoessischen Schwing- und Aelplerfest 2025 Glarnerland (ESAF), am Samstag, 30. August 2025, in Mollis. (KEYSTONE/Urs F ...
Zehntausende strömen am Samstagmorgen aufs Festgelände.Bild: keystone

Muni Max als Schutzpatron des nationalen Kommerzes

Bude reiht sich an Bude, ein Flickenteppich von Verkaufsständen, Werbetafeln und kulinarischen Versuchungen. Und über allem wacht der hölzerne Muni Max. Mit leerem Blick, unbewegt, als wäre er der Schutzpatrn des vaterländischen Kommerzes. Ein Mahnmal in Tannenholz, geschnitzt, stolz und stur. Scheinbar gebaut für die Ewigkeit. Dabei wird er schon bald hinüber in den Kanton Uri verfrachtet.

Das eidgenössische Schwing- und Älplerfest, einst ein Hochamt eidgenössischer Bodenständigkeit, wirkt auf den unbedarften Fremden auf den ersten Blick wie eine gigantische Chilbi. Laut, bunt, durchkommerzialisiert. Aber nur ein paar Schritte weiter, keine 50 Meter entfernt von dieser Strasse der Händler, öffnet sich eine andere Welt.

Der Holzmuni Max und der Gabentempel am Eidgenoessischen Schwing- und Aelplerfest 2025 Glarnerland (ESAF), am Freitag, 29. August 2025, in Mollis. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Muni Max, das begehrte Fotosujet.Bild: keystone

Plötzlich steht man nicht mehr zwischen Werbeständen, sondern inmitten einer Arena, die wirkt wie aus der Zeit gefallen. Bis zum letzten Platz gefüllt. 56'500 Frauen, Männer, Kinder – sie alle sind gekommen, um ein uraltes Ritual zu erleben.

Kein Gedränge, keine Hektik. Kein grelles Licht, keine LED-Wände. Keine elektronischen Anzeigen. Keine übertriebenen Sicherheitskontrollen, keine Flimmerreklame, keine Videowürfel, die das Geschehen in greller Farbigkeit aufzeichnen. Alles wirkt so ursprünglich, so echt, als sei es direkt aus dem Jahr 1895 herübergebeamt, dem Jahr des ersten Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes in Biel.

Es ist wie eine Zeitreise. 50, ja 100 Jahre zurück. Nur die Kamera-Kräne, die hoch hinter der Arena aufragen, erinnern daran, dass wir uns in der Gegenwart befinden. Sie wirken wie eiserne Mahnfinger: Tragt Sorge! Bewahrt dieses Kulturgut! Übertreibt es nicht! Stolze Berner, wahret Ruhe und Gelassenheit, auch wenn ihr auf den TV-Bildern Fehler der Kampfrichter entdeckt. Akzeptiert demütig die Entscheidungen der Unparteiischen im Kühermutz.

Der gegenseitige Pakt

Das Fest ist eine farbenfrohe, friedliche, fast schon magische Symbiose aus gegensätzlichen Welten. Eine Bühne, auf der das Schwingen, inmitten all des Geldes und Marketings seine Seele behalten hat. Vielleicht, weil sich beide Seiten brauchen: die Schwinger, die auf die Aufmerksamkeit und die Geldspeicher der Krämer und Sponsoren angewiesen sind, um dieses 40-Millionen-Spektakel zu finanzieren und die Händler, die in diesen unruhigen Zeiten keine bessere Plattform finden, um ihr Produkt, ihre Marke oder ihre Haltung zur Schweiz zu zeigen.

Es ist ein gegenseitiger Pakt. Ein Geben und Nehmen, bei dem erstaunlich viel Würde bewahrt wird.

Schon bei der Eröffnung am Samstag wird dieses Spannungsfeld sichtbar. Auf wundersame, ja fast melancholische Weise. Der Berner Marco Pfeuti, besser bekannt als Gölä, übernimmt den musikalischen Auftakt. Er singt die Nationalhymne. Gölä als eidgenössischer Leadsänger. Mit rauer, rauchiger Stimme, mit einer Präsenz, die polarisiert und mehr als 50'000 stimmen ein.

Der Schweizer Musiker Goelae und die Wiesenberger Jodler bei der Eroeffnung und dem singen der Schweizer Nationalhymne vor dem 1. Gang beim Eidgenoessischen Schwing- und Aelplerfest 2025 Glarnerland ( ...
Gölä und der Jodlerklub Wiesenberg singen die Nationalhymne.Bild: keystone

Puritaner murren. War das wirklich nötig? Muss dieser Troubadour des Proletariats hier auftreten, wo doch feierlicher Ernst gefragt ist? Doch halt! Gölä ist längst mehr als ein Bierzeltbarde. Er ist die helvetische Antwort auf Bruce Springsteen geworden. In seinen Liedern feiert und beklagt auch er die Freuden und Sorgen des einfachen Menschen. Er singt von Heimat, von harter Arbeit, von Herzschmerz – und trifft damit einen Nerv, der tief in der eidgenössischen Seele verankert scheint.

Moderne trifft Naturgewalt

Der Götze Max, die Strasse der Händler, die Rückblende in eine vergangene Zeit in der Arena, die Stimme von Gölä. All das formt ein wundersames Mosaik. Doch das wahre Wunder liegt noch woanders. Es ist der Ort selbst. Mollis 2025 ist mehr als nur ein Festplatz. Es ist eine Szenerie wie aus einem Heimatfilm. Umrahmt von hohen Bergen, die auf drei Seiten des Festgeländes majestätisch in den Himmel ragen und beim Schlussgang Schatten auf die Arena werfen.

Nur nach Norden hin öffnet sich die Landschaft in Richtung Linthebene. Wie ein Fenster in die Welt. Das Festgelände, ein ehemaliges Flugfeld, wirkt wie eine monumentale Bühne, eine Theaterkulisse der besonderen Art. Beton trifft Alpenidyll. Moderne trifft Naturgewalt.

Fragen über Fragen nach dem Fest

Noch nie wirkte ein ESAF-Austragungsort so bewusst inszeniert und gleichzeitig so organisch gewachsen. Nie zuvor war der Gegensatz zwischen Kommerz und Brauchtum, zwischen Konsum und Kultur, zwischen Geld und Gefühl, zwischen Stadt und Land so offensichtlich – und gerade deshalb so berührend. Es ist, als würde das Land sich in Mollis selbst befragen: Wer sind wir? Was wollen wir bewahren? Und wieviel Wandel ist erlaubt oder nötig?

Fragen, die in den nächsten Wochen vor allem im sportlichen Bereich heftig diskutiert werden: Braucht Schwingen Video-Richter? Es ist der Preis, den die Schwinger für die TV-Präsenz zahlen. Was früher fein gesponnen, kommt nun an die TV-Sonnen.

Vielleicht sind es nur die Glarnerinnen und Glarner, die diese Ambivalenz so selbstverständlich leben können. In einem Kleinkanton ungefähr mit der Bevölkerung der Stadt Chur. Nur 40 Autominuten von Zürich entfernt – dem Herz des globalisierten Kapitalismus – verteidigt und bewahrt er seine eigene Sprache, seine Eigenheiten, seine Ruhe und seine Bergwelt wie ein kostbares Geheimnis. Zwischen den hohen Bergen wie in einem Réduit des Urchigen. Hier, wo Gegenwart und Vergangenheit im Alltag unaufhörlich aufeinandertreffen, entsteht die Kraft, ein solches Fest der Gegensätze in perfekter Harmonie zu inszenieren und zu organisieren.

Mehr als nur ein Event

Und so ist Mollis 2025 nicht einfach ein weiteres Eidgenössisches. Mollis wird zu einem Erinnerungsort. Zu einem Symbol. Vielleicht werden wir in 30 Jahren wehmütig zurückdenken an diesen Spätsommer, an diesen Ort, an dieses Fest. Es war mehr als nur ein Event. Es war ein Stück Schweiz. Echt. Widersprüchlich. Wunderschön.

Obwohl der neue König Armon Orlik eigentlich bloss ein «Erbkönig» ist: Nicht im Schlussgang und nur mit der höchsten Punktzahl König, weil der Schlussgang zwischen Werner Schlegel und Samuel Giger ohne Resultat endete. Er hat den 1. Platz sozusagen geerbt.

Früher hätte es bei dieser Ausgangslage mit ziemlicher Sicherheit keinen König gegeben. Nur einen Erstgekrönten. Aber das Schwingen kann nicht mehr ohne König sein. Die Medien, die Werbeindustrie, das Volk der Schwinger brauchen heute einen König. Das ist am Ende eines wunderbaren Festes das einzige sportliche Zugeständnis der Gralshüter des Sägemehls an die moderne Zeit: Sie haben einen König ohne Schlussgang dem Geld und dem Volk zuliebe gekrönt.

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Alle Schwingerkönige der ESAF-Geschichte
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2025 in Mollis: Armon Orlik.

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26 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nickname "Nickname"
31.08.2025 21:14registriert Dezember 2018
Göla mit The Boss zu vergleichen kommt Gottesbeleidigung nah
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Tooto
31.08.2025 21:04registriert Mai 2016
„ Doch halt! Gölä ist längst mehr als ein Bierzeltbarde. Er ist die helvetische Antwort auf Bruce Springsteen geworden.“
Oh wow…. oh wow…
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Barracuda
01.09.2025 00:01registriert April 2016
Netter Text, wenn mir aber dem ESAF erwas gar viel Magie angedichtet wird. Spätestens beim Vergleich vom SVP-Haussänger mit Springsteen war ich raus.
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