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Estavayer 2016 ist ein Eidgenössisches der Rekorde. Das bisher grösste aller Zeiten mit einem Umsatz von knapp 30 Millionen Franken. Auf dem Militärflugplatz von Payerne ist die eidgenössische Festindustrie an ihre Grenzen gestossen. Noch grösser geht nicht mehr. Der Trend wird nun eher Richtung Optimierung und Perfektionierung gehen.
So gesehen steht eher Burgdorf 2013 als Estavayer 2016 für das neue Zeitalter des Schwingens. Zug 2019, das nächste Eidgenössische, wird daher nicht neue Umsatz- und Zuschauerrekorde erreichen – aber neue Standards für eine perfekte Organisation setzen.
Grösser zu werden ist sowieso nicht mehr nötig. Das Schwingen ist so populär wie nie seit der Gründung des Verbandes (1895). Nun können sich die Gralshüter des Schwingens darauf beschränken, den phänomenalen Erfolg ihres Sports zu verwalten, zu optimieren. Dabei dürfen sie durchaus selbstbewusst auftreten.
Ja, ein bisschen weniger Unterwürfigkeit und etwas mehr Selbstvertrauen bei den Verhandlungen mit unserem staatstragenden Fernsehen sind erforderlich. Dann werden sie viel mehr Geld verdienen und eine noch bessere TV-Abdeckung herausholen. Die Gralshüter des Schwingens haben noch gar nicht gemerkt, dass sie gerade in den Zeiten der politischen Diskussionen um die Rolle unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens nicht mehr auf das Fernsehen angewiesen sind – aber das Fernsehen auf das Eidgenössische angewiesen ist.
Estavayer 2016 hat gezeigt, dass das Eidgenössische der wirkungsmächtigste Sportanlass in diesem Land geworden ist. Es mag Schweizerinnen und Schweizer geben, die eine Fussball-WM ignorieren oder den Spengler Cup wegblenden. Aber am Eidgenössischen Schwingfest ist keine Eidgenossin und kein Eidgenosse vorbeigekommen.
Es gibt weltweit nur noch ein Ereignis, das in ähnlicher Weise Patriotismus, Sport und Kommerz so spektakulär vermischt. Der «Super Bowl». Das Endspiel um die US-Football-Meisterschaft. American Football, dieses pompöse Strategie- und Kriegsersatzspiel, ist so sehr auf die gewaltbereiten Amerikaner zugeschnitten, wie das Schwingen zu den wehrhaften, friedlichen Eidgenossen passt. Beim «Super Bowl» feiert sich das wahre Amerika zwischen Bible Belt und Wall Street. Sie wird geprägt durch Masslosigkeit, Arroganz und Cheerleader.
Beim Eidgenössischen feiert sich die wahre Schweiz. Es wird geprägt durch Stolz, Fairness, Friedfertigkeit, Toleranz und Ehrendamen. Heimische Siege sind beim «Super Bowl» und beim Eidgenössischen garantiert. Keine ausländische Macht mischt sich ein und verdirbt das vaterländische Fest.
Ja, das Eidgenössische hatte schon immer auch eine politische Bedeutung – und hat diese Bedeutung heute wie nie mehr seit den Zeiten der Bedrängnis in den 1930er- und 1940er-Jahren. Und ja natürlich, das Eidgenössische ist «Big Business» geworden und wir dulden die Krämer der Werbewirtschaft im Tempel des vaterländischen Spiels. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wir können dieses grandiose Eidgenössische, wenn wir denn wollen, als dynamische Gegenbewegung zu jenem faden Kulturpessimismus interpretieren, der in den 1990er-Jahren im unsäglichen Slogan «La Suisse n'existe pas!» gipfelte.
Stolz sein auf unsere Geschichte, auf unser Brauchtum, einen wunderbaren Sport nach unserer ganz besonderen Eigenart zelebrieren, und – anders als im Fussball – anständig sein und dabei auch noch ein bisschen Geld verdienen: diese Form von Patriotismus ist weder bedrohlich, noch unheimlich, noch bedenklich und braucht nicht ständig hinterfragt zu werden. «La Suisse existe!»
Wir brauchten an diesem Wochenende auf dem Militärflugplatz in Payerne rund um die Sägemehlringe keine Inquisitoren der «Policial correctness». Dieses Eidgenössische war ganz einfach über alle Parteigrenzen und politische Gesinnungen hinaus, für die Menschen aus den urbanen Zentren und vom Lande, für Deutsch und Welsch ein grandioses Fest. Beim Eidgenössischen gab und gibt es keinen «Röstigraben». Estavayer 2016 hat unserem Land, uns allen gut getan.
Und wir lernen aus Estavayer 2016 noch etwas: Es gibt Bestrebungen, den Alkoholausschank in Sportstadien gänzlich zu verbieten. Weil Alkohol angeblich die Gewaltbereitschaft fördere. Gegen Alkoholverbote ist nichts einzuwenden. Aber ganz offensichtlich ist es eine Illusion zu glauben, ohne Alkohol werde beispielsweise in Fussballstadien Anstand einkehren. Wäre Alkohol der Grund für Gewalt bei Sportanlässen, dann hätte das Eidgenössische 2016 in einer vaterländischen Massenprügelei geendet.
Estavayer 2016 war ein fröhliches und friedliches Fest. Ja, es wurden sogar Bier in Glasflaschen verkauft. Keine Tasche wurde beim Eingang durchsucht und die Sicherheitsleute waren nicht da, um Ruhe und Ordnung zu schaffen. Sie waren da, um den Weg zur nächsten Toilette oder zum nächsten Raclette-Stand zu weisen.
Entscheidend sind nicht Promille, Verbote und politische Ermahnungen. Entscheidend ist die Einstellung. Der Wille, anständig und fair zu sein, wie das Volk der Schwinger 2016 in Estavayer.
Und was bleibt als sportliche Erkenntnis? Dass das Schwingen stark ist wie vielleicht nie zuvor in seiner Geschichte. Die Titanen (Kilian Wenger, Matthias Sempach, Christian Stucki, Arnold Forrer) sind von einer neuen, von Armon Orlik angeführten Generation keck herausgefordert und beinahe gestürzt worden. Nur der schlaue Taktiker Matthias Glarner hat dem Ansturm der jungen Wilden standgehalten. Arnold Forrer, der König von 2001, ist ohne Kranz geblieben und Kilian Wenger, der König von 2010, schon am ersten Tag gescheitert.
Gewiss, wir haben auch in Estavayer von Taktik geprägte Gänge gesehen. Die wird es bei einem Eidgenössischen immer geben. Weil es um so viel geht. So ist es auch im Fussball oder im Eishockey, wenn das Resultat das Primat über das Spektakel hat.
Aber gerade der dramatische Schlussgang zwischen Armon Orlik und dem neuen König Matthias Glarner hat auf eindrückliche Art und Weise gezeigt, auf welch hohem Niveau das Schwingen heute steht. Da haben wir alles gesehen: Fairness, Respekt, Mut, variantenreiche Offensive, technisch perfekte Züge und Gegenzüge, Kraft, Dynamik, Wucht, taktische Schlauheit und eine Intensität des Kampfes, wie sie bei einem Schlussgang wahrscheinlich noch nie zu sehen war.