Einen Vornamen zu haben, den sonst nur wenige besitzen, kann ein unschlagbarer Vorteil sein. So wie es einst nur einen Pirmin gab, den Ski-Gott Zurbriggen, so gibt es in der Schweiz nur einen «Rotscher».
Roger Federer schaffte es, quasi zur Familie von uns allen zu gehören. Wenn die Mutter sagte, «dä Rotscher» komme gleich, wussten alle Bescheid. Es war kein Cousin, der zur Tür hineinschneite. Sondern Federer, der sich auf einem Tennisplatz irgendwo auf der Welt zum Service hinstellte und dem das Land vor dem TV sitzend die Daumen drückte.
Der Baselbieter begeisterte mit seinem Spielstil und seinen Erfolgen quer durch die Generationen. Er liess Schweizer zu Tennis-Fans werden, die vorher kaum Wimbledon von Methadon unterscheiden konnten. Es dauerte nicht lange, da ging die seltsame Zählweise dieses Sports – 15, 30, 40 – ins Blut über. Und was ein Tiebreak war, wusste man auch: Das war das, was am Ende fast immer «dä Rotscher» für sich entschied. Chum jetze!
Zeitpläne gerieten durcheinander, denn wer wollte – und wer konnte – auf den entscheidenden fünften Satz verzichten? Vor dem Fernseher, und über die Jahre manch einer im Stadion, fieberten wir mit. Wir freuten uns, wir litten. So wie es ganz normal ist, mit einem Familienmitglied mitzufühlen. Wenn «unser» Roger bei einer Siegerehrung seinen Gefühlen freien Lauf liess, stieg auch uns die eine oder andere Träne ins Auge.
Federer schien stets authentisch zu sein. Eine grosse Errungenschaft in einer Welt, in der jeder etwas von einem will und in der die Gefahr, abzuheben, riesengross ist. Der «Maestro» versteckte sich nicht. Er ging wandern, erfreute sich an der Schönheit seiner Heimat. Trotz der hunderten Millionen Franken auf seinem Konto, erspielt auf dem Court und überwiesen von Sponsoren, wirkte er geerdet.
Dennoch tauchten in den Kommentarspalten, je länger Federers Karriere dauerte, je häufiger er verletzt fehlte und je weniger oft er gewann, umso mehr negative Einträge auf. War es Frust von Menschen, die in ihrem Leben weniger auf der Sonnenseite standen? War es der in der Schweiz verbreitete Neid auf alle, die aus dem Mittelmass herausragen? Schwierig zu sagen. Aber das gibt es in jeder Familie, dass man sich auseinanderlebt und dass die einen nichts mehr mit einem anderen zu tun haben wollen.
Hat er mit dem Rücktritt zu lange zugewartet? Nach dem Krieg ist jeder Soldat ein General. Die Niederlagen in der Endphase der Karriere haben jedenfalls nicht am Lack gekratzt: Roger Federer ist der Schweizer Jahrhundertsportler. Keiner von uns wird in tausend Jahren noch da sein, aber womöglich wird «dä Rotscher» in ferner Zukunft auch als Jahrtausendsportler bezeichnet. Falls einmal ein Schweizer Fussballer kommt, der das Nationalteam zum WM-Titel führt, als überragende Figur seines Klubs sieben Mal die Champions League gewinnt und dabei viele hundert Tore schiesst wie Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, können wir noch einmal über Federers Status reden. Nur dann.
Und in der Welt des Tennis? Da geht Roger Federer eher nicht als «GOAT» in die Geschichte ein, als «Greatest of All Times». Seine Dauerrivalen Rafael Nadal und Novak Djokovic haben ihm die wichtigsten Rekorde abgejagt.
Doch manchmal ist das «Wie» entscheidender als das «Was». So unvergleichlich wie Roger Federer gespielt hat, wie er sein Racket geschwungen hat wie die grossen Meister der Renaissance ihre Pinsel, da schlägt dieser Ästhet den fleissigen «Djoker» und den nie aufgebenden «Stier aus Manacor». Bei Federer war Tennis tatsächlich ein Spiel.
Natürlich hat auch er im Training geschuftet wie verrückt. Zwei Jahrzehnte die Weltspitze zu sein, wäre sonst nie und nimmer möglich gewesen. Und doch liess er sein Spiel stets so locker aussehen, als wäre er als Kind wie Obelix in einen Kessel gefallen, in einen grossen Topf voll mit Tennistalent.
In Serbien, in Spanien und vielleicht auch anderswo mag die Antwort auf die Frage nach dem besten Tennisspieler der Geschichte anders lauten als «Roger Federer». Uns in der Schweiz juckt das nicht. Für uns ist und bleibt «dä Rotscher» der Grösste.
Darauf kann es nur eine Antwort geben.
Die GOAT Frage muss gar nicht diskutiert werden.