Nach der Ankündigung, dass er nach seinen Operationen am rechten Knie im kommenden Sommer in Wimbledon kaum wird spielen können, stellt sich für Roger Federer wieder die Grundsatzfrage: Wie lange noch? Seit Monaten befindet sich der Baselbieter in einem Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Für Roger Federer, der im August 40 wurde, geht es inzwischen vor allem darum, die Türe in diesem Kapitel seines Lebens selbstbestimmt zu schliessen. Angst habe er keine, sagte er kürzlich. Dennoch tut er sich schwer damit, einen Schlussstrich zu ziehen.
Das hat wohl viel mit seinem Selbstverständnis zu tun, das ihm nun im Weg zu stehen droht: Roger Federer ist es seit jungen Jahren gewohnt, in allen Lebensbereichen die Kontrolle zu haben und Entscheidungen zu treffen. Selbstredend wünscht er sich das auch für das Ende der Karriere, das «nicht kitschig» sein müsse. Er hat konkrete Vorstellungen, wie es nicht sein soll. Doch wie sein Traumszenario aussieht, skizziert er nur sehr schwammig, wenn er sagt: «Wir alle wünschen uns, dass ich mich auf meine Weise und auf einem Tenniscourt verabschieden kann.»
Federer äussert sich diesbezüglich teilweise widersprüchlich: Zwar sagt er, er sei «ziemlich entspannt», wenn es darum gehe, welches Bild die Leute von ihm in Erinnerung behalten werden. Andererseits ist er offenbar auch in seinem Stolz verletzt, wenn die Viertelfinal-Niederlage in Wimbledon gegen Hubert Hurkacz, wo er den letzten Satz gleich mit 0:6 verloren hatte, sein letztes Spiel gewesen sein sollte. Federer sagt «Meine Fans haben Besseres verdient als das Bild, das meine Rasensaison hinterlassen hat.» Was er damit eben auch sagt: Ich habe ein anderes Ende verdient.
Federer hat sich in den letzten beiden Jahren drei Mal am rechten Knie operieren lassen, zuletzt im August am Meniskus. Bei dieser Gelegenheit wurde auch der Knorpel behandelt. Eingriffe, die unumgänglich geworden waren und die er habe vornehmen lassen, weil er in Zukunft mit seinen Kindern Ski fahren und mit Freunden Fussball oder Tennis spielen wolle.
Das soll nicht herabsetzend verstanden werden, aber der inzwischen langen Verletzungsgeschichte ist geschuldet, dass Federer im Prinzip schon länger Tennisrentner ist. In zwei Jahren spielte er nur 19 Partien.
Federer sagt, es spiele keine Rolle mehr, ob er mit 40 oder mit 41, in einem oder erst in zwei Jahren zurückkehre. Doch die Frage stellt sich: Macht er sich damit nicht etwas vor? Auch er weiss, dass sein Körper nicht mehr mit dem eines 25-Jährigen zu vergleichen ist und er nicht mehr schneller wird – und je länger die Absenz anhält, desto illusorischer wird eine Rückkehr.
Dennoch befruchtet Federer die Fantasien seiner Anhänger, wenn er sagt, daran zu glauben, dass er bei Grand-Slam-Turnieren wieder brillieren könne: «Das ist mein ultimativer Traum. Es wäre ein grosses Wunder. Aber ich glaube an diese Art von Wunder. Ich habe sie schon erlebt.» Doch dieser wird wohl unerfüllt bleiben. Mehr noch: Es wäre schon ein kleines Wunder, sollte er noch einmal bei einem Grand-Slam-Turnier antreten.
Inzwischen würde es aber auch nicht mehr überraschen, wenn er in den nächsten Monaten zur Erkenntnis gelangt, dass er doch nicht mehr bereit ist, die Opfer zu erbringen, die ihm eine Rückkehr abverlangen werden.
Der Übergang vom Spitzensport in das nächste Kapitel seines Lebens ist ein schleichender Prozess, bei dem es dem bestverdienenden Sportler der Welt, der jährlich 100 Millionen Franken verdient, nicht um Geld, sondern um ein Ende in Würde geht. Denn mit Schaukämpfen rund um den Globus könnte Federer schon längst weit mehr verdienen als im Turnierzirkus.
Einen Vorgeschmack darauf haben wir in den letzten Monaten erhalten. Federer beim Heimspiel des FC Basel, in einem T-Shirt seines japanischen Ausrüsters Uniqlo, mit Schuhen der Marke On, wo er Werbeträger und Teilhaber ist, was ihm mit dem Börsengang Anfang September einen dreistelligen Millionenbetrag eingebracht haben dürfte. Federer an einem «Kochduell» für die «Schweizer Illustrierte», gekleidet in eine schwarze Kochschürze mit einem weissen Stern für die Automarke, für die er wirbt.
Wie auch immer Federers Karriere als Sportler enden wird – vielleicht hat sie das bereits – aus der Öffentlichkeit wird er sich nicht zurückziehen. Ob sein letzter Traum in Erfüllung geht, ist dafür völlig unerheblich.
Wenn man über 20 Jahre dabei ist, will man vielleicht nicht aufgrund einer Verletzung still gehen müssen. Das ist doch verständlich. Er will bewusst sein letztes Spiel spielen, um den Schlussstrich setzen zu können. Hat er mehr als verdient.