Nur weil ein Sport die Massen bewegt, ist er noch lange kein Massensport. Das ESAF in Pratteln hat die Massen bewegt, so wie in diesem Jahrtausend alle Eidgenössischen die Massen bewegt haben. Nun wird das Schwingen den Platz im Rampenlicht wieder anderen Sportarten hergeben müssen.
Das Schwingen ist ein Randsport, der es wie viele «Artgenossen» nur ab und zu in den Fokus der breiten Öffentlichkeit schafft. Dann aber gewaltig: Das Eidgenössische ist ein Anlass der Superlative. Nicht bloss vom sportlichen Gesichtspunkt her, sondern auch vom gesellschaftlichen. Dass die Wettkämpfe Schwingfest heissen, nicht Schwingmeisterschaft oder Schwingcup, kommt nicht von ungefähr: Nicht nur das Schwingen ist wichtig, sondern auch das Fest.
Längst ist das Eidgenössische so gross geworden, dass sich über das Fachpublikum hinaus weite Teile der Bevölkerung dafür interessieren. Oder sie wollen zumindest wissen, wer neuer König im Land ist und wie sein Erfolg zustande kam. Das macht aus dem Eidgenössischen mehr als bloss einen Wettkampf unter starken Männern.
Unzählige Sportarten kämpfen um die Aufmerksamkeit der Zuschauer ausserhalb der angestammten «Blase». Sie hoffen darauf, sich einen Teil des Zeitbudgets des Konsumenten zu ergattern. Bei vielen frisst der Fussball als mit Abstand populärster Sport einen Grossteil davon auf.
Das Schwingen erinnert an die Rolle von Sportarten wie Curling oder Skicross. Bei Olympischen Spielen stehen diese, auch weil die Schweiz regelmässig Medaillen gewinnt, im Fokus. Man staunt über die Präzision auf dem Eis, ist fasziniert von der Action auf Buckelpisten und in Steilwandkurven, und man nimmt sich fest vor, künftig öfter einzuschalten bei diesen Sportarten.
Die Realität sieht dann in aller Regel so aus, dass der Winter bald vorbei ist – und wenn der nächste ansteht, sind die guten Vorsätze vergessen. Nach dem Motto: Macht nichts, es läuft ja ein Haufen anderer Sport zur Unterhaltung. Und bald ist wieder Olympia.
Insofern hat das Schwingen mit seinem Eidgenössischen gegenüber den olympischen Curlern und Skicrossern einen Vorteil: Sein Anlass der Superlative ist nicht alle vier Jahre, sondern alle drei. Diese Seltenheit ist zugleich ein wesentlicher Grund für den Erfolg.
Wäre das Eidgenössische jedes Jahr, würde es den Königstitel entwerten – weil es viel mehr Träger geben würde. Zudem würde vermutlich kaum jährlich ein solches Riesenfest auf die Beine gestellt werden, wie es nun alle drei Jahre der Fall ist. Und schon rein aufgrund dieser Grösse erweckt das Fest auf Aussenstehende den Eindruck, so wichtig zu sein.
Das Schwingen braucht es nicht zu kümmern, dass es in den Augen der breiten Öffentlichkeit nun bis zum ESAF 2025 in Mollis wieder etwas an Bedeutung verliert. Innerhalb der Szene ist der Boom zu spüren. Die Feste finden fast immer vor sehr gut gefüllten oder ausverkauften Rängen statt. Und das Fernsehen überträgt mehr und mehr Feste.
Die TV-Kameras decken aber nicht nur die Kämpfe ab, sondern auch Schwächen auf. Zuletzt gab es einige hitzige Diskussionen über Fehlurteile, weil die Zeitlupe diese als solche entlarvte. Auch das Eidgenössische war davon betroffen.
Die Mehrheit der Schwingerfamilie lehnt einen Videoschiedsrichter ab. Lieber werden falsche Urteile in Kauf genommen, so bitter sie für den einzelnen Athleten auch sind.
Die Schwinger wissen: Dass ihr Sport so populär ist, liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass er bewusst «anders» ist und dass Traditionen noch wichtiger sind als anderswo. Dazu gehört auch die Einteilung der Gänge, die oft umstritten ist.
Schwingen ist ein Randsport, aber es ist so beliebt wie vermutlich noch nie. Das ist es geworden, weil es so ist, wie es ist. Und darum wird es so bleiben, wie es ist.