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So ändern die Zeiten in nur einem Monat. Die Moto2-WM 2016 beginnt am 20. März im Morgenland mit einem Paukenschlag. Tom Lüthi gewinnt den GP von Katar. Sein bester Saisonstart bestätigt, dass er zurecht als Titelkandidat gehandelt wird. 2016 kann sein Jahr werden. Elf Jahre nach dem Titelgewinn in der 125er-Klasse (2005) kann er auch die zweitwichtigste Töff-WM gewinnen.
Nun ist der GP-Zirkus nach Europa zurückgekehrt. Und nach nur vier Rennen stellen wir die Frage, ob unsere Töffhelden nur noch Mittelmass sind. Wie kommt das?
Vor dem GP von Spanien in Jerez ist Tom Lüthi nach drei Rennen immer noch Titelkandidat. Sein Rückstand auf WM-Leader Sam Lowes beträgt lediglich vier Punkte. Das ist nichts in einem Dauerwettbewerb über 18 Rennen. Und doch: Tom Lüthi ist kein Fahrer, der pro Saison fünf, sechs Rennen gewinnt und so einen grösseren Rückstand wettmachen kann. Seine Stärke ist die Konstanz auf hohem Niveau. Will er mit dieser Konstanz den Titel holen, dann sollte er in jedem Rennen unter die besten 5 fahren.
Im zweiten und dritten Rennen reichte es in Argentinien und Texas «nur» zu zwei 7. Plätzen. In Jerez braucht Tom Lüthi eine Spitzenklassierung. Sonst ist der Titelkampf fast gelaufen bevor er richtig angefangen hat. Der GP von Spanien in Jerez ist von ganz besonderer Bedeutung.
Nach dem Rennen sitzt Tom Lüthi am Sonntag kurz nach 13 Uhr sichtlich gezeichnet im Teambus und versucht zu erklären, was passiert ist. «Nur» Rang sechs – aber wenigstens im Sattel geblieben. Aus der zweiten Reihe (4.) ist ihm ein guter Start geglückt. Aber bereits in der ersten Kurve rutscht die Maschine weg («Ich musste zu lange in Schräglage bleiben»). Er kann sie in letzter Sekunde auffangen und sich im Sattel halten.
Er habe viel Glück gehabt, dass es ihm gelungen sei, einen Sturz zu vermeiden. «Aber dabei ging die Verschalung zu Bruch und die Aerodynamik in den schnellen Kurven stimmte nicht mehr.» Den Rhythmus habe er nicht mehr gefunden. «Das soll keine Ausrede sein. Auch ohne diesen Zwischenfall wäre ich nicht dazu in der Lage gewesen, um den Sieg zu fahren.»
Tom Lüthi ist verärgert. Eigentlich ist ein 6. Platz in der zweitwichtigsten Töff-WM für einen Schweizer ein tolles Resultat. Aber Tom Lüthi will mehr. Er hat alles um Weltmeister zu werden. Aber in Jerez haben ihn einmal mehr die Probleme eine Spitzenklassierung gekostet, die er seit Jahren nicht lösen kann: die optimale Abstimmung der Maschine. Sie gelingt ihm auch mit dem neuen Cheftechniker Gilles Bigot nicht regelmässig.
Fast trotzig sagt Tom Lüthi: «Ich kann so nicht zufrieden sein.» Und letztlich bleibt ihm nur die Antwort, die allen Rennfahrern in einer solchen Situation bleibt: Man müsse die Probleme analysieren, Lösungen suchen, hart weiterarbeiten und nach vorne schauen. «Es sind 14 Rennen zu fahren und viele, viele Punkte zu vergeben.» Aber letztlich sind das Erklärungen der Verlierer.
Jerez hat auch gezeigt: Der Sieg zum Saisonauftakt wird für Tom Lüthi zur Belastung. Dieser Sieg hat bestätigt, dass er ja alles hätte, um Weltmeister zu werden. Aber er hat in der Moto2-WM noch nie alles konstant für eine längere Zeit auf eine Reihe gebracht. Deshalb ist er noch nie Moto2-Weltmeister geworden.
Die Erwartungen sind seit dem Startsieg hoch. Doch die Jagd nach dem WM-Titel wird nun nach dem Rückschlag in Jerez eine Jagd nach einem verlorenen, beinahe unerreichbaren Schatz. Tom Lüthi ist viel zu gut, um Mittelmass zu sein, um Mittelmass akzeptieren zu können. Das ist das Problem. Tom Lüthi lässt sich zur Jagd nach der Taube auf dem Dach provozieren. Aber er hat nur dann eine Chance, wenn er sich nicht zu Hektik und Fehlern verleiten lässt wie soeben in Jerez.
Sonst könnte am Ende der Saison gar Teamkollege Dominique Aegerter besser dastehen. Er steht diese Saison weniger unter Druck. Anders als vor einem Jahr erwartet in seinem Umfeld niemand mehr von ihm, besser zu sein als Tom Lüthi. Er muss nicht siegen und nicht ein Titelkandidat sein. Er kann sich sozusagen darauf beschränken, den Spatz in der Hand zu halten.
Tom Lüthi und Dominique Aegerter sind immer noch zu gut um zu polemisieren. Aber zu wenig gut um zu jubilieren. Es wäre falsch und ungerecht, mit Kritik «draufzuhauen».
Es gibt nach Jerez, nach 4 von 18 Rennen, nämlich noch eine Sichtweise: die guten Leistungen der Schweizer sind inzwischen selbstverständlich geworden. Seit 2010 fahren Tom Lüthi und Dominique Aegerter in der zweitwichtigsten WM und in jedem Rennen können sie eine Spitzenklassierung erreichen. Tom Lüthi hat bereits 30 Podestplätze (davon 6 Siege) herausgefahren. Auch Dominique Aegerter ist siebenmal aufs Podest geklettert (ein Sieg).
Wir haben uns daran gewohnt, dass zwei Berner zu den besten Töffrennfahrern der Welt gehören. Vor 20 Jahren wäre es eine riesige Sensation gewesen, wenn überhaupt ein junger Mann aus dem Bernbiet im GP-Zirkus hätte fahren dürfen, im Fernsehen zu sehen und regelmässig in den nationalen Medien ein Thema gewesen wäre. Ja, es wäre schon ein Thema an den Wirtshaustischen gewesen, wenn nur jemand Zutritt zum GP-Fahrerlager gehabt hätte.
Es gibt weltweit zehntausende von jungen Fahrern, die von einem Platz im GP-Zirkus träumen. Dominique Aegerter und Tom Lüthi haben es geschafft. Einer vom oberen Rand und einer vom unteren Rand des Emmentals. Aber kein Zürcher oder Basler oder Stadtberner oder Bündner oder Tessiner schreibt Schlagzeilen im internationalen Töffgeschäft.
Eigentlich sollten in Rohrbach und in Linden an jedem Sonntag, wenn Dominique Aegerter und Tom Lüthi irgendwo auf diesem Planeten an den Start geht, die Kirchenglocken läuten. Und wenn sie heimkehren, sollten beide von der dörflichen Musikgesellschaft mit klingendem Spiel erwarten werden – unabhängig davon, welchen Rang er herausgefahren haben.