Es war, als ob der Himmel Tom Lüthi nach einem Jahr Abwesenheit nun wieder in der Moto2-WM begrüssen wollte: die Wolken verziehen sich über Jerez de la Frontera und es wird ein wunderbarer Nachmittag mit einer schrägstehenden, goldenen Wintersonne. Die Piste trocknet ab. Zum ersten Mal können diese «Cowboys ohne Rinder» so richtig mit den nigelnagelneuen 2019er Moto2-Modellen Gas geben.
Alles beginnt ja neu. Nicht mehr 600er-Zweizylinder-Honda-Einheitsmotoren treiben jetzt die Moto2-Höllenmaschinen an. Sondern 750er-Dreizylinder von Triumph.
#Moto2 Tom Luethi Nach dem vierten Gang passiert nicht viel https://t.co/i4vBq4yKVv pic.twitter.com/ZrzbkBoQrK
— Speedweek (@SpeedweekMag) 23. November 2018
Die ganz grosse Frage, die alle umtreibt: Wo steht Tom Lüthi? Ist er nach einem missglückten MotoGP-Abenteuer (kein WM-Punkt in 18 Rennen) nach wie vor schnell genug um dort anzuknüpfen, wo er 2017 als WM-Zweiter aufgehört hat? Er ist der Star der Klasse. Der Pilot mit der ruhmreichsten Vergangenheit.
Optisch ist alles in bester Ordnung. Das Lederkombi seines neuen Arbeitgebers passt. 2019 und 2020 wird nun Tom Lüthi in den Farben des Deutschen «Dynavolt»-Teams fahren und sein Teamkollege heisst Marcel Schrötter (23).
Der Deutsche hat in mehr als 100 Moto2-Rennen erst einen einzigen Podestplatz herausgefahren und die Moto2-WM soeben auf dem 8. Rang beendet – seine beste Saison. Im Vergleich zu Tom Lüthi (45 Podestplätze, zuletzt 2016 und 2017 WM-Zweiter) nur ein Nasenbohrer.
Optisch ist also alles tipptopp. Und Tom Lüthi ist nach diesem ersten Tag zuversichtlich. Er strahlt Optimismus aus, ganz offensichtlich macht ihm die Rennfahrerei wieder Spass. Der Eindruck des neuen Teams sei nach einem Tag vorzüglich, die Zusammenarbeit sehr gut angelaufen. «Ich habe aber die ideale Sitzposition auf der Maschine noch nicht gefunden. Doch das bekommen wir noch hin.»
Die Tests werden am Samstag und am Sonntag fortgesetzt – dann ist absolute Testpause bis zum 31. Januar 2019. Der Eindruck aus diesen dreitätigen Tests bleibt also erst einmal über die ganze Winterpause bestehen.
Der optische Eindruck kann gelegentlich täuschen. Wenden wir uns den harten Fakten zu. Den gefahrenen Rundenzeiten. Keine Polemik. Nur schreiben was war.
Tom Lüthi muss wieder von vorne beginnen. Er hat die Vergangenheit eines Stars, aber die Gegenwart eines Aussenseiters, der ganz von vorne beginnt. Nach dem ersten Tag finden wir ihn in der Rangliste auf Position zwölf. Auch hinter seinem Teamkollegen Marcel Schrötter, dem Nasenbohrer (6.).
Ein Grund zur Sorge? Noch nicht. Tom Lüthi hat nach einer Saison «Prozessions-Fahren» praktisch ohne Überholmanöver den «Kampfmodus» der Moto2-Klasse noch nicht gefunden. Aber das ist logisch. Dank seiner immensen Erfahrung wird er «Kampfmodus» noch finden.
Und Dominique Aegerter (28)? Auch bei ihm ist der optische Eindruck tipptopp. Das schmucke Lederkombi seines neuen Arbeitgebers MV Agusta passt wunderbar. Auch er ist nach dem ersten Arbeitstag mit seinem neuen Team sehr zufrieden. Mit dem Italiener Mauro Noccioli hat er einen erfahrenen neuen Cheftechniker an seiner Seite. Ein Mann, der in seiner Karriere schon mit Max Biaggi, Tom Lüthi und Valentino Rossi gearbeitet hat. Nun schraubt er eben für den «Rohrbach-Rossi».
«Domi» schält sich aus dem Kombi und wirkt ein wenig bedrückt. Er komme mit der neuen Maschine gut zurecht. Sie wurde in Italien mit dem Knowhow von Eskil Suter gebaut. Wo MV Agusta draufsteht, ist im Grunde Hightech aus Turbenthal drin.
Dominique Aegerter erklärt den Chronisten ein paar technischen Details und Fahreindrücke. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Früher konnte er oft nur von Gefühlen beim Fahren reden. Nun scheint er die Technik besser zu verstehen. Und er ist ja erst einmal froh, dass er ein Team gefunden hat und seine Karriere in der Moto2-WM weiter geht. Sorgen macht ihm erst einmal die Finanzierung der Saison 2019.
«Ich habe fünf Sponsoren verloren und im neuen Team habe ich weniger Werbefläche, die ich verkaufen kann.» Auch wenn es nicht offiziell verkündet wird – er muss Geld in die Teamkasse bringen. Die erste Hälfte der Summe habe er beisammen. Die zweite noch nicht. Er ist jetzt eben ein «Bezahlfahrer». Einer, der bezahlen muss, damit ihn ein Team fahren lässt. Im Gegensatz zum bezahlten Fahrer Tom Lüthi, dem ein Team Geld zahlt, damit er fährt.
Und was sagen die Fakten, die unerbittlichen, bei Dominique Aegerter? Platz 21 unter den 30 Piloten am ersten Testtag. Auch ihm bleiben nun noch zwei Tage Zeit, den Frust dieser Saison (er hat die Moto2-WM soeben als 17. beendet) aus der Seele zu fahren.
Eines zeichnet sich so oder so ab: Tom Lüthi und Dominique Aegerter werden nicht zu den Titelanwärtern gehören. Das kann gerade für Tom Lüthi nur gut sein. Er hat sich mit der Favoritenrolle schon immer schwergetan.