Lange hat Matthias Flückiger nach seinem positiven Dopingtest geschwiegen. Jetzt äussert er sich zum ersten Mal – und seine Aussagen haben Sprengkraft.
In einem Communiqué hält der Berner fest, dass er unschuldig sei. Flückiger begründet das mit dem in seinem Urin gemessenen Wert der verbotenen Substanz Zeranol. Laut Flückiger betrug dieser Wert nur 0,3 Nanogramm pro Milliliter. Er liegt damit ein Vielfaches unter dem neuem Grenzwert von 5 ng/ml. Allerdings heisst das noch nicht, dass Flückiger unschuldig ist, sondern dass vertiefte Abklärungen notwendig sind.
Es sind diese Zahlen, mit denen Flückiger seine Unschuld beweist. In seinen Augen hätte der Fall nie an die Öffentlichkeit gebracht werden dürfen. Laut dem 5. Wada-Protokoll, das per 1. Januar 2021 in Kraft trat, darf eine positive Probe nur als offizieller Dopingfall gemeldet werden, wenn der Grenzwert überschritten wird.
Swiss Cycling hatte die positive Dopingprobe Flückigers am 19. August, am Vorabend des EM-Rennens in München, öffentlich gemacht. Der Mountainbiker verweist zu seiner Entlastung auf zwei negative Proben – eine negative Trainingsprobe in der Woche der Schweizer Meisterschaften, an der er später positiv getestet wurde, sowie eine negative Wettkampfprobe beim Weltcup in Leongang in der Woche darauf. Zudem hat er eine Haaranalyse machen lassen, die ebenfalls zu seinen Gunsten ausfällt.
Flückiger fühlt sich von Swiss Sports Integrity – vormals Antidoping Schweiz – ungerecht behandelt, weil er zu spät über das Resultat informiert worden sei und ihm dieses zudem als positive Probe kommuniziert worden sei.
Im Gegensatz zum Steroid Trenbolon wird die Substanz Zeranol, welche sich im Urin des Mountainbikers befand, als Dopingmittel sehr selten nachgewiesen. Gerade einmal zehn Fälle weltweit zählte die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) in den vergangenen 20 Jahren. Aus Europa sind vor Flückiger überhaupt keine positiven Zeranol-Proben bekannt. Entsprechend ist man selbst bei der Schweizer Antidoping-Behörde nicht ganz schlüssig, was vom Flückiger-Fall zu halten ist.
Zeranol wird hauptsächlich in der Tiermast eingesetzt, ist aber in Europa seit über 30 Jahren verboten. Auch bei den Stichproben von importiertem Fleisch durch die Lebensmittelkontrolle wird die Substanz im Gegensatz zu anderen Anabolika-Rückständen praktisch nie nachgewiesen.
Hoffnungen kann sich der 33-jährige Oberaargauer auch machen, weil es in mehreren Zeranol-Fällen letztlich zu einem Freispruch kam. Einerseits hat die Wada vor 18 Monaten wegen der Gefahr eines unabsichtlichen Dopings durch kontaminierte Lebensmittel eine Mindestmenge für einen positiven Fall von 5 ng/ml eingeführt. Wer mit einer tieferen Konzentration im Urin erwischt wird, löst zwar ebenfalls Untersuchungen aus, aber wird nicht automatisch gesperrt.
Dass selbst ein Szenario mit einem leicht überschrittenen Grenzwert letztlich zu einem Freispruch führen kann, beweist der Fall der US-Leichtathletin Ajee Wilson aus dem Jahr 2017. Wie der Schweizer Mountainbiker blieb sie bei einer Wettkampfprobe hängen – mit 8 ng/ml Zeranol im Urin. Die amerikanische Antidoping-Behörde glaubte ihr die Version des Konsums von verunreinigtem Rindfleisch. Auch, weil die Sportlerin nur eine Woche zuvor eine negative Dopingprobe abgegeben hatte.
Ebenfalls zu einem Freispruch kam es bei der chinesischen Hammerwerferin Zhan Wenxiu im Jahr 2014. In ihrem Fall konnten Antidoping-Wissenschaftler nachweisen, dass ein Pilz aufgrund von angeschimmeltem Getreides das Zeranol erst im Magen der Sportlerin hat entstehen lassen. Da bei diesem Prozess weitere Substanzen entstehen, kann die Laboranalytik inzwischen ein solches Szenario dank aufwändigen Zusatzabklärungen bestätigen oder ausschliessen – im Fall von Flückiger das Letztere.
Nicht alle Zeranol-Fälle kamen so glimpflich davon wie Wilson und Wenxiu. Die jamaikanische Bodybuilderin Diedre Lewis erhielt im bisher neusten Fall eine Sperre von 2 Jahren aufgebrummt. Auch sie plädierte auf unschuldig. Nicht gut endete der Fall auch für den südafrikanischen Rugby-Profi Mahlatse Ralpelle. Er ging im Prozess zum Gegenangriff über und stellte die Analyse und den Umgang mit seiner Dopingprobe infrage.
Mit wenig Erfolg: Weil der Nationalspieler bereits den dritten positiven Anabolika-Test – jedes Mal mit anderen Substanzen – in seiner Karriere ablieferte, wurde er 2019 zu einer achtjährigen Sperre verurteilt. Zumindest dies kann Matthias Flückiger definitiv nicht passieren.
Bin gespannt, wie das weitergeht!