In der Nacht auf Montag duellieren sich die Philadelphia Eagles und die Kansas City Chiefs im Superbowl. Es wird wieder ein Fest des Gigantismus, atemlos werden Rekorde für Ticketpreise, Werbesekunden und verzehrte Chickenwings heruntergebetet werden. Die Sängerin Rihanna gibt in der Halbzeitpause ihr Comeback. Der Superbowl ist auch bei seiner 57. Austragung ein gesellschaftliches Massenereignis, seine Strahlkraft ist ungebrochen, er ist ein bis zur letzten Facette ausgeleuchtetes Medienspektakel.
Die National Football League (NFL) ist eine Gelddruckmaschine, gerade hat sie mit ihren Medienpartnern einen neuen Vertrag abgeschlossen, der innerhalb von elf Jahren 110 Milliarden Dollar einbringt, inzwischen mischen auch Facebook, Twitter und Amazon mit.
Die NFL ist Quotengarant, die Königin der Aufmerksamkeit. Die Begeisterung ist längst nach Europa geschwappt, nach Deutschland, England und auch in die Schweiz, wo im Sommer die Helvetic Guards den Spielbetrieb in der paneuropäischen «ELF» aufnehmen werden. Millionen von Menschen können ihren Blick von dieser Liga, diesem Sport nicht mehr abwenden. Vielleicht auch gerade wegen seiner Rigorosität und Rasanz, dieser fast archaischen Gewalt, die wie aus der Zeit gefallen wirkt.
Doch es mehren sich die Stimmen, die nicht in den Kanon der atemlosen Begeisterung einstimmen wollen. John Oliver, der scharfzüngige Moderator der sehr sehenswerten HBO-Produktion «Last Week Tonight» sagte im Oktober nach einer weiteren Kontroverse um Hirnerschütterungen: «Es fühlt sich wirklich so an als sollte es diesen Sport nicht geben».
Efe Obada, ein britischer Defensivspieler der Washington Commanders, sagte vergangene Woche dem «Guardian», ein Tackling im American Football sei von der Wucht her damit zu vergleichen, wie wenn man in einen Autounfall verwickelt sei. Etliche Ex-Profis sagen, sie würden es ihren Kindern aus gesundheitlichen Bedenken nicht erlauben, den Sport auszuüben. Und im Januar wurde sogar der US-Präsident Joe Biden gefragt, ob Football nicht zu gefährlich sei. «Es ist gefährlich, das muss man sich bewusst sein», sagte Biden.
Wie gefährlich der Sport wirklich ist, hat diese Woche das Zentrum für chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE) an der Boston University zurück ins kollektive Gedächtnis gerufen. Das Institut untersuchte die Gehirne von 376 verstorbenen Ex-Profis und diagnostizierte bei 345 davon CTE, 92 Prozent, eine der schädlichsten und gefährlichsten Krankheiten überhaupt, bei der man Schritt für Schritt den Verstand verliert.
Es gibt unzählige Schauergeschichten, was sich an CTE leidende Spieler alles angetan haben. Einer versuchte, seine ausfallenden Zähne mit Sekundenkleber zu befestigen. Ein anderer nahm sich das Leben, weil er keinen anderen Ausweg aus seinen durch CTE ausgelösten Depressionen mehr sah. Ann McKee, die zuständige Direktorin am CTE-Zentrum sagte in einem Interview: «Die NFL hat nichts Substanzielles unternommen, um CTE zu diagnostizieren und die Risiken zu verkleinern. Das Risiko ist und bleibt hoch.»
Für manche Spieler ist es ein kalkuliertes Wagnis: Sie opfern die Jahre ihres körperlichen Zenits für lukrative Verträge. Patrick Mahomes, der Quarterback der Chiefs und nach dem Rücktritt von Tom Brady das wahrscheinlich zugkräftigste Aushängeschild der Liga, verdient 45 Millionen Dollar pro Jahr. Aber das Minimum liegt bei 11500 Dollar pro Woche, knapp 200000 für eine Saison. Minus Steuern.
Eine durchschnittliche NFL-Karriere dauert nur wenig mehr als drei Jahre. Dann ist es am nächsten, seine Knochen hinzuhalten. Die grossen Profiteure sind in jedem Fall die Teambesitzer, fast ausnahmslos ältere, weisse, konservative Milliardäre, die keine Gelegenheit auslassen, sich die Taschen weiter zu füllen. 2022 wechselten die Denver Broncos für die Rekordsumme von 4.65 Milliarden Dollar den Besitzer – Rekord, bisher. Der anstehende Verkauf der Washington Commanders dürfte die Summe noch toppen.
Die Spirale dreht unentwegt in der NFL – und es mangelt nicht an willigen Kandidaten, die auf dem Rasen für ein paar Dollar und der Chance auf Ruhm ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Ein bisschen ist es wie der linke deutsche Liedermacher Hannes Wader schon 1980 in seinem grossen Anti-Kriegs-Hit «Es ist an der Zeit» sang: «Ja auch dich haben sie schon genau so belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun. Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.»
Es sind Schattenseiten und unbequeme Wahrheiten, die zumindest für ein paar Stunden in den Hintergrund gedrängt werden, wenn in der Nacht auf Montag kurz nach Mitternacht Schweizer Zeit die grosse Superbowl-Schau beginnt und Kampfjets über das Stadion in Glendale donnern werden. So ist das in der NFL: Einmal in ihrem Bann, vermag sich kaum jemand ihrer Faszination zu entziehen. So toxisch ihre Begleiterscheinungen auch sein mögen. (aargauerzeitung.ch)