Mit vier Kindern und einer Stelle als Primarlehrerin? «Weder noch», antwortet Nina Brunner auf die Frage, wo sie sich in acht Jahren sieht. Sie sitzt in einem Café in Steinhausen. Hier ist sie aufgewachsen, hier werden sie und ihre Beachvolleyballpartnerin Tanja Hüberli später an diesem Tag eine Ehrung erfahren.
Der örtliche Volleyballclub hat – mit Unterstützung der Gemeinde sowie privaten Gönnern – einen Anlass organisiert, um den Gewinn der Olympia-Bronzemedaille im Sommer zu würdigen. 300 Personen werden ins Gemeindezentrum kommen. Anschliessend werden Brunner und Hüberli eineinhalb Stunden lang Autogramme schreiben.
2016, vor acht Jahren also, sass Nina Brunner ebenfalls im besagten Café. Sie erzählte damals von ihrem begrabenen Traum einer Ausbildung zur Primarlehrerin zugunsten ihrer Sportkarriere. Mit Tanja Hüberli hatte sie gerade eine neue Partnerin erhalten. Was folgte, hätte sie nicht für möglich gehalten, sagt sie heute: sechs Schweizer Meistertitel, zwei EM-Titel, zwei Elite-Turniersiege, zig Medaillen, wovon eine heraussticht: die Olympiamedaille.
Das ist ein Rückblick im Schnelldurchlauf auf einen wahrscheinlich zu Ende gegangenen Lebensabschnitt, der in seiner Vereinnahmung einem eigenen Leben entspricht. Brunner hat sich vor kurzem dazu entschlossen, auf die Familien- statt auf die Turnierplanung zu setzen. «Ich weiss, dass ich mich so entschieden habe, aber ich fühle es noch nicht», erläutert die 29-Jährige offen. «Ich werde es wohl merken, sobald Tanja das Training ohne mich aufnimmt.» Hüberli setzt ihre Karriere an der Seite von Leona Kernen fort.
Brunner hat sich nicht leichtgetan mit diesem Schritt. «Nina ist eine Person, die lange braucht für eine Entscheidung. Aber sobald sie eine getroffen hat, ist sie überzeugt davon», sagt der Mensch, der sie am längsten kennt: ihre Mutter Christine. Nina Brunner wählt die gleichen Worte. «Ich weiss seit langem, dass ich Kinder will.» Der Entscheidungsprozess habe schon vor drei Jahren begonnen, nach den Olympischen Spielen in Tokio. Diese endeten in einer Enttäuschung. Brunner/Hüberli scheiterten im Achtelfinal an ihren Landsfrauen Heidrich/Vergé-Dépré.
Der kurz darauffolgende EM-Titel verlieh dem Duo neuen Schub. Dem Kinderwunsch nachzugeben, konnte noch etwas warten. Jetzt, nach der Olympia-Bronzemedaille und Siegen bei den zwei nachfolgenden Turnieren, hat sich ihr die rare Gelegenheit geboten, auf dem Höhepunkt und als Siegerin abzutreten. So haftet diesem Schritt nicht der Verdacht einer Ersatzhandlung an; er ist das Ergebnis einer Wahl aus freien Stücken. «Ich bin froh, das aus einer positiven Haltung heraus entschieden zu haben», drückt Brunner es aus.
Sie hat sich die Tür für ein Comeback offengelassen. In der Medienmitteilung zu ihrem Entschluss ist von einer «Pause vom Spitzensport» die Rede. Es gibt im Beachvolleyball ein prominentes Vorbild für das Gelingen des Wiedereinstiegs nach der Familiengründung: Die Deutsche Laura Ludwig gewann 2016 Olympiagold. Anschliessend gebar sie zwei Kinder und spielte bis zu ihrem Rücktritt diesen Sommer weiter auf Weltklasseniveau. «Stand jetzt kann ich mir vorstellen, wieder zu spielen», sagt Nina Brunner. «Doch mir ist auch klar, dass die Umstände zu Hause das erlauben müssten und ausserdem die sportliche Konstellation passen müsste.» Also eine geeignete Partnerin frei sein.
Diese Eignung geht über das Sportliche hinaus. In Tanja Hüberli fand Brunner nicht nur eine Spielpartnerin, sondern eine Freundin. Zuvor hatte sie acht Jahre ein Duo mit ihrer Steinhauser Jugendfreundin Nicole Eiholzer gebildet. In den Folgejahren mit ihrer neuen Partnerin lernte Nina Brunner etwas Grundlegendes, um im Leistungssport weiterzukommen: Auch unangenehme Dinge ehrlich anzusprechen. Das sei für beide zu Beginn nicht leicht gewesen, zumal sie «äusserst harmoniebedürftig» seien.
Eine Beachvolleyballpartnerschaft ist eine Zweierbeziehung von vollständiger gegenseitiger Abhängigkeit und grosser Nähe. Zudem ist das Ausleben von Emotionen an sich ein entblössender und somit intimer Akt. «Dem anderen gegenüber Schwäche zu zeigen, ist wichtig», weiss Nina Brunner, «das stärkt das gegenseitige Vertrauen.» Das habe sie ebenso gelernt, wie nach aussen hin genau das Gegenteil zu tun: Dominanz, Überzeugung, Unbesiegbarkeit zu demonstrieren.
Auch das entspreche eigentlich nicht ihrer Persönlichkeit, erläutert Nina Brunner, die Psychologiestudentin von unaufdringlichem Wesen. Doch auch das ist eine unerlässliche Eigenschaft, um erfolgreich im Sport zu sein. Gleiches gilt für das Ausblenden von Zweifeln, zumal in einer Sportart, in der sich Glück und Unglück im Minutentakt abwechseln. Ein Mentaltrainer habe ihr dabei geholfen, sagt Nina Brunner. Zuletzt hätten sie beide das verinnerlicht. Die Wiederauferstehung bei den Olympischen Spielen ist das beste Beispiel dafür. Nur einen Tag nach der Leere infolge des Halbfinal-Ausscheidens gewannen sie das Bronzespiel in eindrücklicher Manier.
Sie begaben sich nach dem Matchball schnurstracks auf die Tribüne zu ihrem scheidenden Trainer Christoph Dieckmann. Dort sassen auch Brunners Familie und ihr Mann, der Eishockeyprofi Damien Brunner vom EHC Biel. Sie sind seit über zehn Jahren ein Paar, vor drei Jahren heirateten sie. Half es ihr bei ihrer Entscheidung, einen Partner zu haben, der ebenfalls Leistungssport betreibt? «Er hatte keinen Einfluss darauf, das war meine Sache», sagt Nina Brunner lächelnd und ergänzt: «Damien hätte jede Entscheidung von mir unterstützt und verstanden, wenn ich mich dazu entschlossen hätte, weiterzuspielen.»
Wo sieht sie sich denn nun wirklich in acht Jahren? «Ich wünsche mir eine Familie. Und etwas zu finden, das mich erfüllt, wie der Sport es getan hat», sagt Nina Brunner abschliessend. Zunächst hatte sie geantwortet: «Spielen würde ich nicht mehr – obwohl: Unmöglich wäre das nicht mit 37.» Vielleicht hat sie tatsächlich nur eine Pause eingelegt. (riz/aargauerzeitung.ch)
Ich drücke die Daumen, dass es klappt. Ist ja schliesslich keine Selbstverständlichkeit.