Dieser Artikel entstand aus einem fiesen Seitenhieb, der während der Leichtathletikwettbewerbe der Olympischen Spiele von einem Sofa aus erfolgte. Während sich am Sonntag, den 4. August, Hochspringerinnen, die so schmal sind wie ihre Stangen, anmutig in die Luft schwingen, beginnt eine andere Gewichtsklasse ihr Finale bei den Männern: die Hammerwerfer. Dichte, breite, voluminöse Silhouetten tauchen im Stade de France vor unseren staunenden Augen auf.
Wir wollen uns nichts vormachen, ja, sie haben eine andere Statur als die Sprinter, die am anderen Ende der Bahn wie Zicklein herumspringen. Um ein Beispiel zu nennen: Der ungarische Koloss Bence Halász wiegt 116 Kilos und ist 188 Zentimeter gross. Das Wunderkind Ethan Katzberg dagegen 110 Kilo bei 201 Zentimetern. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Kameraden in ihrer Freizeit keine Teepartys machen.
Es braucht schon einiges an Masse, um diese Metallkugel, die an einem Stahldrahtgriff befestigt ist, zu heben. 7,26 kg für Männer, 4 kg für Frauen. Das Prinzip ist simpel: Man greift den Hammer mit beiden Händen und dreht ihn mehrmals, bevor man ihn fliegen lässt. Der Weltrekord der Männer liegt bei 86,74 Metern, der der Frauen bei 82,98 Metern.
Das Finale startet vor unseren verwunderten Augen. Die Hämmer fliegen, die Fragen sprudeln. Manchmal auch naive. Kann man wirklich ein professioneller Hammerwerfer sein? Braucht man einen Nebenberuf wie Holzfäller, Jäger oder Auftragskiller? Wie wird man in diese Disziplin eingeführt? In einem Wald in Sibirien oder Alaska?
Der 22-jährige Kanadier Ethan Katzberg, der die Goldmedaille gewonnen hat, ist ein «kleines» Genie. Gleich mit seinem ersten Wurf am Sonntagabend schoss der angehende Champion eine Rakete auf 84,12 Meter. Eine meisterhafte Leistung.
Man muss dazu sagen, dass Ethan schon als Kind in den Hammerwurf hineingezogen wurde. Dank seines Vaters Bernie, seinem ersten Trainer, und seiner älteren Schwester Jessica, die beide selbst Sportler waren. Lange Zeit betrachtete er den Sport übrigens als «zweitrangig» und widmete sich lieber anderen Hobbys wie Basketball.
Es ist vor allem seinem derzeitigen Trainer Dylan Armstrong zu verdanken, der 2008 in Peking die Bronzemedaille im Kugelstossen gewann, dass das Wunderkind Ethan Katzberg zu seiner vollen Grösse und seinen kiloschweren Muskeln heranwuchs. Im Angesicht dieses sehr langen und dünnen Teenagers, der immer noch nur 79 kg wog, hatte Dylan Armstrong schnell einen Plan.
«Dylan wusste, worauf er bei einem Sportler achtet. Ich hatte keine Ahnung, wie ein guter Körper für einen Hammerwerfer aussieht», lacht Ethan Katzberg nach seinem Sieg am Sonntag gegenüber CBC.
In der Tat. Um ein guter Werfer zu sein, reicht es nicht aus, Schultern wie ein Stier zu haben. Technik, Geschwindigkeit, Kraft, Flexibilität und Koordination sind die Schlüsselwörter, um eine perfekte Drehung der Eisenkugel zu erreichen. Um diese Geste zu beherrschen und ein erfolgreicher Werfer zu werden, muss man etwa zehn Jahre einplanen. Die olympische Hammerwerferin Gwen Berry erklärte dem Sportmedium «Self», dass das ultimative Ziel darin bestehe, die Drehbewegung so lange zu wiederholen, bis sie ins Fleisch und Blut übergeht.
Dylan Armstrong überzeugte Ethan und seinen Vater davon, dass der Junge die Sportart besser ernst nehmen sollte. Sobald er sein letztes Schuljahr beendet hatte, zog er nach Kamloops in der kanadischen Provinz British Columbia, in ein Trainingslager, das ganz dem Hammerwerfen gewidmet ist. Das Mekka der Disziplin in Nordamerika, welches es lange Zeit schwer hatte, mit der Konkurrenz aus Asien und Osteuropa mitzuhalten.
Das Camp in Kamloops wurde dank des legendären Trainers und Werfers Anatoliy Bondarchuk ins Leben gerufen – «Dr. B», um es kurz zu sagen. Der Ukrainer, der 1972 bei den Spielen in München die Goldmedaille gewann, trainierte seinen Bizeps in der ehemaligen UdSSR, bevor er nach Portugal und Kuwait ging und schliesslich Anfang der 2000er-Jahre nach Kanada auswanderte.
Das Gerücht verbreitet sich, die Pilgerreise nach Kamloops beginnt. Seitdem strömen Athleten aus Ontario, Florida, Pennsylvania, Ohio oder Kalifornien herbei, um sich mit der Methode von Dr. B vertraut zu machen. Oder besser gesagt: die Methoden. 32 zeitlich eingeteilte Modelle, die die Stimulation und Anpassung des zentralen Nervensystems an das Training berücksichtigen und auf jeden Athleten individuell zugeschnitten werden können.
Dieses individuell anpassbare Programm konzentriert sich nicht nur auf die Athletik, sondern auch auf den Lebensstil, die Ernährung oder auch den Schlaf, damit Sie Ihre Höchstform zum richtigen Zeitpunkt erreichen.
Um bei Ethan Katzbergs Beispiel zu bleiben – dessen Tag um 7 Uhr morgens startet und um 22 Uhr endet –, beginnt das erste Training mit 45 Minuten ununterbrochenen Übungen. Kraft und Disziplin, alles ist geplant. Die Trainingseinheiten finden jeden Tag zur gleichen Zeit statt. Wenig Platz für Freizeit oder Hobbys ausserhalb des Sports.
Während Katzbergs Leistungen für sich sprechen, bleiben die detaillierten Zahlen zu seinem Training ein gut gehütetes Geheimnis. «Wir haben ein Programm und einen Plan. Und wir reden nicht wirklich gerne über Zahlen», hält sich sein Trainer Dylan Armstrong gegenüber CBC kurz.
Ach, und um mit einer Legende aufzuräumen … Nein, Hammerwerfer fressen sich nicht zwischen zwei Trainingseinheiten voll, trotz ihrer «Big-Mac-Körper». Ihr Körperfettanteil und ihre Ernährung sind genauso kalibriert wie ihre Trainingseinheiten. Während die Franzosen Quentin Bigot und Alexandra Tavernier einen strikten Lebensstil pflegen, hat der Pole Pawel Fajdek ein Leben mit Fast Food und McDonald's gegen Spinat-Smoothies eingetauscht.
Es gilt schon anzumerken, dass die Staturen der Werfer in den letzten Jahren schmaler geworden sind, wie Gaëtan Bucki, französischer Meister im Hammerwerfen, erklärt. «Früher, vor allem im Kugel- und Hammerwerfen, hatten wir viele Jungs, die 2 m gross und 150 kg schwer waren, mit aussergewöhnlichen, fast unverhältnismässigen Körpergrössen. Sie hatten einen riesigen Bauch. Man hätte nie gedacht, dass diese Jungs olympische Medaillen gewinnen würden, man hatte eher den Eindruck, dass es sich um Barsäulen handelte, die mit Bier grossgezogen wurden.»
Eine weitere Frage: Kann man vom Kugelstossen gut leben? Die meisten werden antworten: Nein. Während ein Medaillengewinner wie Ethan Katzberg von Adidas gesponsert wird (er hat nicht bekannt gegeben, wie viel er dafür bekommt) und von einem kanadischen Leichtathletikunternehmen, das ihm seine Hämmer (1500 Dollar pro Stück) zur Verfügung stellt, leben viele Kugelstosser nicht von ihrem Sport.
Speer, Hammer, Diskus oder Gewicht leiden unter einem Mangel an öffentlichem Interesse und damit an Sponsoren. Die Sportler müssen sich oft mit einer beruflichen Tätigkeit nebenher durchschlagen.
In einer Ecke des Rasens zwischen Hochsprung, Sprint und Stabhochsprung bewegen sich die Hammerwerfer jedoch mit Leidenschaft und guter Laune. Riesig vielleicht, aber unauffällig.