«Wollen wir das Interview auf der Tribüne führen?» Die Sonne wärmt, der Blick auf den Alpstein ist ungetrübt. Ja, wir wollen. Einzig der Rasenmäher trübt das Idyll. Aber Matthias Hüppi (59) scheint das nicht zu stören. Im Gegenteil. «Das ist Ivan, unser Greenkeeper», sagt er und zeigt nach unten auf den Mann mit dem Rasenmäher. «Eine absolute Kapazität. Er kennt jeden Grashalm unseres Rasens. Früher war er für den Golfplatz in Bad Ragaz verantwortlich.» Hüppi, der neue Präsident des FC St. Gallen, ist euphorisch.
Was haben Sie am Samstagmittag vor zwei Wochen gemacht?
Matthias Hüppi: Ich hatte eine Verwaltungsrats-Sitzung.
Kann der Präsident die Sitzungen nicht so terminieren, dass er die Kitzbühel-Abfahrt schauen kann?
Nein, der muss Rücksicht auf den Terminkalender der Kollegen nehmen.
Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie heute den Skirennsport?
Mit grossem Interesse. Obwohl ich über drei Jahrzehnte Skirennen kommentierte, habe ich mich bereits letzten Februar, nach meinem letzten Rennen, innerlich von der Aufgabe gelöst.
Keine Wehmut, keine nostalgischen Gefühle?
Nostalgie schon gar nicht. Wehmut im Sinne, weil ich das wahnsinnig gern gemacht habe. Als ich mich entschlossen habe, aufzuhören, hätte ich gerne weitergemacht, weil das Feuer nicht erloschen war. Aber der Entscheid war richtig und ich habe nie daran gezweifelt.
Ein Widerspruch. Einerseits hätten Sie gerne weiter Skirennen kommentiert, andererseits finden Sie es gut, aufgehört zu haben.
Da gebe ich Ihnen recht. Andererseits war es eine super Situation. Denn ich hatte bis zuletzt die Überzeugung, mit Leib und Seele Skirennen kommentiert zu haben. Den perfekten Moment, um etwas zu beenden, gibt es nicht. Aber es gibt bessere und schlechtere. Und ich habe einen besseren erwischt.
Monate später fällten Sie den nächsten einschneidenden Entscheid, als Sie das Schweizer Fernsehen verliessen und das Präsidentenamt beim FC St. Gallen annahmen.
Die wenigsten hatten Freude, dass ich gegangen bin. Als der Wechsel kommuniziert wurde, erhielt ich etwa 400 Nachrichten – zum grossen Teil von Kollegen. Bei der Weihnachtsfeier wurde ich dann offiziell verabschiedet und die Leute haben zweimal fünf Minuten applaudiert.
Das Schweizer Fernsehen ist unabhängig von Ihrem Abgang in einer delikaten Situation. Spüren Sie im Hinblick auf den 4. März, wenn über die No-Billag-Initiative abgestimmt wird, auch als Ehemaliger eine Anspannung?
Nein, ich schaue gelassen auf diesen Tag.
So siegessicher?
Ich bin nicht mehr Partei, auch wenn ich das SRF immer noch in meinem Herzen trage. Ein Ja zur Initiative wäre ein schwerwiegender Einschnitt. Ich habe mich bei vielen Veranstaltungen für das Wohl des Schweizer Fernsehens eingesetzt. Ich habe mich in dieser Angelegenheit aber nie plakativ über soziale Netzwerke in Szene gesetzt.
Wie kann es passieren, dass eine stark verankerte Institution wie die SRG um ihre Zukunft zittern muss?
Es wäre arrogant zu behaupten, die SRG hätte keine Fehler gemacht. Ich denke, ein Quantum Bescheidenheit würde dieser Institution guttun. Ich denke auch, dass man in der Vergangenheit bisweilen vom hohen Ross aus agiert, gewisse Dinge für selbstverständlich erachtet hat. Ich finde aber, dass ein Wandel stattgefunden hat, wie SRG und SRF heute auftreten. Man ist bescheidener und offen für eine Kurskorrektur.
Was erwarten Sie im Falle eines Nein zur Initiative von der SRG? In welche Richtung muss sie sich bewegen?
Transparenz ist wichtig. Die Zuschauer müssen wissen, wofür das Geld ausgegeben wird, wie teuer einzelne Sendungen sind. Bei einem Nein muss die SRG die Chance nutzen, alle Programminhalte zu überprüfen. Was brauchen wir? Was können und wollen wir uns noch leisten? Ich glaube nicht, dass bei einem Nein alles wie gewohnt weiterläuft.
Allein mir fehlt der Glaube, wenn ich registriere, dass die hohen Kader keinen Plan B in petto haben.
Das ist die Verantwortung der Bosse. Wie sie diese wahrnehmen, will ich nicht beurteilen.
Es gibt Sendungen am Montagmorgen, die richtig gut sind, aber nur 4000 Menschen schauen. Da frage ich mich schon: Braucht es ein 24-Stunden-Programm?
Diese Frage ist durchaus legitim. Als ich beim Fernsehen begonnen habe, wurde beispielsweise nach dem Meistercup-Final der Farbbalken eingeblendet mit der Aufschrift: ‹Danke, dass Sie uns zugeschaut haben. Wir sind am Sendeschluss›. Aber die grossen Sparbrocken findet man nicht im Morgenprogramm.
Einverstanden. Aber viele kleine Posten zusammen ergeben einen grossen Brocken.
Ja, das ist so. Und natürlich muss man sich in Zeiten, in denen man nicht mehr nur linear fernschaut, fragen, ob man den 24-Stunden-Service bieten muss.
Aus Sicht des Präsidenten des FC St. Gallen: Welche Konsequenzen hätte ein Ja zur No-Billag-Initiative?
Ich finde es enorm wichtig, dass der Fussball auch für jene erhältlich ist, die sich ein Pay-TV-Angebot weder leisten wollen noch leisten können. Ich finde es aber gut, dass das Schweizer Fernsehen kein Fussball-Monopol hat.
Sie sind in St. Gallen beinahe als Messias empfangen worden.
Das kann ich nicht beeinflussen.
Vielleicht schon.
Ich bin nicht mit dem Megafon durch die Stadt gegangen. Aber klar, jedes Lob steigert die Erwartungen.
Sie ernten Vorschusslorbeeren.
Dessen bin ich mir bewusst. Es ist aber keine One-Man-Show, die ich hier abziehe. Wahrscheinlich habe ich eine Gabe entwickelt, wie ich Menschen ansprechen kann.
Sie wissen, welche Knöpfe Sie drücken müssen.
Nein, ich drücke keine Knöpfe. Ich halte mich bei meinen Auftritten nie an ein Manuskript. Ich mache mir Gedanken über den Anfang und überlege, wie ich am Schluss den Kreis schliesse. Alles, was dazwischen ist, passiert spontan.
Das glaube ich Ihnen. Nur entfachen Sie in der Ostschweiz eine Euphorie der Worte. Und mit jedem öffentlichen Auftritt fliegen Sie höher, wird aber auch die Fallhöhe grösser.
Dieses Thema lasse ich nicht unbeachtet. An einem meiner ersten Tage bin ich durchs Stadion gegangen und habe in jedes Büro geschaut. Wenn jemand drin war, habe ich mich vorgestellt und gesagt, was ich hier mache. Und ich habe mich informiert, was die Aufgabe der jeweiligen Person ist. Das ist nicht gespielt. Es braucht alle. Wenn Ivan keinen super Job macht mit seinem Rasenmäher ... Man kann ihn sogar als Mitspieler bezeichnen.
Sie driften ab.
Entschuldigung. Ich bin voll im Feuer. Sie haben recht mit der Flughöhe. Aber wir alle im VR wollen dafür sorgen, dass das Publikum begeistert in den Kybunpark kommt, der ganzen Organisation Goodwill entgegengebracht wird.
Nur müssen Sie die Erwartungen bestätigen.
Das gilt für alle, die sich öffentlich exponieren. Ich spüre grossen Support in der Bevölkerung. Nicht, weil ich der Hüppi vom Fernsehen bin. Es sagt keiner mehr, du bist doch der Hüppi vom Fernsehen. Ich akzeptiere, wenn Sie sagen, ich sei ein Träumer. Aber das Vertrauen der Menschen ist glaubhaft. Und ich bin überzeugt, dass das, was ich sage, auch glaubhaft rüberkommt. Das ist schon mal eine super Ausgangslage. Aber sie allein garantiert keine sorgenfreie Zukunft. Der FC St. Gallen soll wieder fähig sein, zu Hause die Grossen zu ärgern. Wie früher im Espenmoos, wenn wir die reichen Grasshoppers mit einer Niederlage nach Zürich heimgeschickt haben. Das hatte etwas von Rebellentum. Und das gefällt mir.
Statt Rebellentum kann man es auch Minderwertigkeitskomplex nennen.
Nein, da bin ich anderer Meinung. Wir sollten vermehrt darauf hinweisen, welch sensationelle Region wir haben. Landschaftlich einzigartig. Kulturell hochstehend. Das Stadttheater feiert Weltpremieren. Es gibt ein hervorragendes Symphonie-Orchester. Und es gibt hochinnovative Unternehmen in dieser Region.
Sie könnten auch gleich noch das Standortmarketing übernehmen.
Das machen wir mit dem FC bereits. Vielleicht sind die Ostschweizer überproportional bescheiden. Aber sie haben sicher keinen Minderwertigkeitskomplex.
Sie sind die Antithese zum Ostschweizer, der sich schlechter verkauft, als er ist.
Ich bin immer noch nicht einverstanden. Haben Sie den Eindruck, hier gehen alle geduckt? Wenn man Klischees häufig genug bedient, glauben es irgendwann alle.
Der Support Ihnen gegenüber scheint auch von den neuen Klub-Besitzern ungebrochen. Letzte Saison verzeichnete man ein Minus von 2.5 Millionen. Auch diese Saison fehlen bis dato 1.5 Millionen. Trotzdem ersetzen Sie Mitarbeiter, was zusätzliche Kosten verursacht.
Da versuchen wir so kostenneutral wie möglich zu agieren.
Das ist die Quadratur des Kreises. Denn die entlassenen wie der Physiotherapeut, der Nachwuchs-Chef oder der Talentmanager haben laufende Verträge und die neuen arbeiten kaum gratis.
Das stimmt. Diese personellen Grundsatzentscheidungen muss man auch perspektivisch anschauen.
Offiziell sind Sie erst seit zwei Wochen im Amt. Die entlassenen hatten also gar keine Chance zur Bewährung.
Das ist nicht so. Die Entscheidungen basieren auf Beobachtungen und Analysen. Es ist doch legitim, wenn der neue Verwaltungsrat den Neustart auch personell untermauern will.
Ich frage mich: Was kann der Physio in zwei Wochen falsch gemacht haben, um entlassen zu werden?
Zu diesem Punkt kann und will ich keine Stellung nehmen. Keine dieser Entscheidungen ist gegen irgendjemanden gerichtet.
Dadurch destabilisieren Sie aber Trainer Giorgio Contini.
Das sehe ich anders. Für Contini ist die neue Ausgangslage eine grosse Chance, um sich als Chef dieser Mannschaft zu etablieren.
Aber Contini hat sich bei seinem Amtsantritt im Mai 2017 gegen jenen Physio ausgesprochen, den Sie ihm nun wieder ins Nest setzen.
Es gibt immer wieder Entscheidungen, mit denen ein Trainer leben muss. Wenn die Gesamtsicht ergibt, dass diese Person punkto Akzeptanz und Kompetenz die richtige ist, dann ist es unsere Verantwortung, diese Person ins Boot zu holen.
Die Spieler aber kennen die Vorgeschichte. Und sie kommen zum Schluss: Unser Trainer hat Leute im Staff, die er vor einigen Monaten nicht mehr wollte – also hat er im Klub nichts mehr zu sagen.
Das ist nicht so.
Contini ist chancenlos – aber lassen wir das. Erschrocken bin ich, als der neue Sportchef Alain Sutter an der GV sagte: «Ich messe meine Arbeit nicht daran, wie viel Geld wir mit Transfers verdienen. Ich will glückliche Kinder in der Nachwuchsabteilung sehen.» Diese Haltung ist realitätsfremd. Denn jeder Schweizer Klub ist darauf angewiesen, Spieler gewinnbringend zu verkaufen.
Alain hat vollkommen recht. Sie wissen so gut wie ich, dass nur ein kleiner Prozentsatz unserer Junioren einen Weg in den Profi-Fussball finden wird. Ich finde es einen super Zug von Alain, dass er jenen Beachtung schenkt, die es nicht schaffen. Auch wenn er es nicht so formuliert hat: Alain wird auch die andere, die Business-Seite seines Jobs berücksichtigen.
Aber Transfers sind das Kerngeschäft eines Sportchefs.
Das gehört auch dazu. Alain hat an der GV halt auf einen anderen Aspekt fokussiert. Wir haben an der GV auch sein Tor an der WM 1994 eingespielt. Ich weiss nicht, ob allen unseren Spieler bewusst war, dass Alain mal auf diesem Niveau gespielt hat. Jedenfalls haben sie reagiert wie die Fans damals im Stadion. Klar: Wir sind beide neu auf unseren Positionen. Man kann das als riskant betrachten. Aber ich bin überzeugt, dass es gut kommt. (aargauerzeitung.ch)