Auf Teneriffa wird geschuftet. Ein Grüppchen von Spitzenschwingern aus verschiedenen Verbänden, angeleitet vom Berner Schwingerkönig Adrian Käser, bereitet sich auf der Kanarischen Insel auf die Saison vor. Sie stemmen üppig beladene Hanteln und rennen ellenlange Treppen hoch. Es steht eine besondere Saison bevor, weil im August 2025 ein Eidgenössisches Schwingfest stattfindet. Es gibt nichts Wichtigeres im Schwingsport – Unspunnen, Kilchberg und Jubiläumsschwinget in Ehren.
Joel Wicki beschäftigt sich tagtäglich mit dem Eidgenössischen. «Das ist immer präsent. Auch beim Einschlafen», sagt er. Jede Kraftübung, jeder Schwung gilt dem Saisonhöhepunkt. Aber die Realität sieht eben auch so aus: Wicki kann nicht rund um die Uhr ein Schwingfest vorbereiten. Er ist Landwirt, er ist Unternehmer. Selbst auf Teneriffa holt ihn das berufliche Leben ein. Einmal meldet sich die Freundin mit einem Anliegen per Telefon, sie managt den heimischen Hof in Sörenberg, wenn er nicht da ist. An diesem Tag will der Traktor nicht anspringen. Wicki kann das Problem aus der Ferne lösen.
Als er die Episode erzählt, sagt er auch: «Das sind eigentlich keine Sorgen.» Natürlich hat er recht. Doch die Geschichte zeigt, wie viel Platz der berufliche Alltag selbst im Leben eines Schwingerkönigs einnimmt. Er hat abseits des Sägemehls berufliche und private Ziele. Er sagt Sätze wie: «Sicher will man eines Tages auch eine Familie haben.» Oder: «Ich möchte nicht erst mit dem Schwingen aufhören, wenn ich ein körperliches Wrack bin.»
Deshalb spekulierte der Boulevard jüngst, ob Wicki nach dem Eidgenössischen in Mollis seinen Rücktritt vom Schwingsport geben würde. Es gäbe Gerüchte, hiess es. «Da wurde vieles dazu gedichtet», sagt Wicki jetzt. «Ich werde nach Mollis mit meinem Trainer zusammensitzen und schauen, wie es weitergeht.» Das Ergebnis scheint tatsächlich offen zu sein. Und wahrscheinlich ist auch das Resultat am Eidgenössischen mitentscheidend.
Eigentlich befindet sich Joel Wicki noch nicht in einem Alter, in dem sich Rücktrittsgedanken aufdrängen. Im vergangenen Februar ist er 28-jährig geworden. Es gibt aus der jüngeren Geschichte des Nationalsports prominente Schwinger, die älter waren, als sie ihren Höhepunkt erreichten. Matthias Glarner wurde 2016 mit knapp 31 König, Christian Stucki schaffte den Triumph 2019 gar mit 34.
Was bei Joel Wicki allerdings in Vergessenheit gerät: Er ist schon länger als andere an der absoluten Spitze dabei. Bereits zehn Jahre ist es her, als er in die Elite aufstieg. Im Alter von 18 Jahren gewann er das prestigeträchtige Bergkranzfest auf dem Schwarzsee. Es passierte nicht oft in der jüngeren Vergangenheit, dass Schwinger in diesem Alter solche Grosstaten vollbrachten. Der letztjährige Saisondominator Fabian Staudenmann war bei seinem ersten Kranzfestsieg 21 Jahre alt.
«Bei mir dreht sich eigentlich seit 20 Jahren alles ums Schwingen», sagt Wicki. Und die Kampfsportart hat selbstredend ihre Spuren hinterlassen. Er muss beispielsweise viel mehr investieren, um die Beweglichkeit beizubehalten. «Früher musste ich nicht einmal dehnen», sagt er. Heute hilft er sich mit Biokinematik. Einfach erklärt, wird mit gezielten Bewegungsübungen das Zusammenspiel von Muskeln und Gelenken gefördert. Damit er Bewegungen ohne Schmerzen ausführen kann.
Solche Inputs kommen von seinem Trainer Daniel Hüsler, der ein enorm wichtiger Faktor in Wickis Karriere ist. Der ehemalige Luzerner Topschwinger geht immer wieder neue Wege in den Trainings und holt sich unter anderem auch Impulse aus dem Ringen. Doch es geht nicht nur um Neues, es müssen auch vorhandene Stärken gepflegt werden. Wicki wurde nicht zuletzt dank seiner unvergleichlichen Explosivität Schwingerkönig vor knapp drei Jahren. Jetzt arbeiten sie wieder an dieser Explosivität. Das sieht dann etwa so aus: Alle 28 Sekunden jagt Wicki Gewichte in die Höhe, als würde sein Körper explodieren. So lange sind durchschnittlich die Pausen, bevor die Schwinger im Sägemehl neu zusammengreifen müssen.
Die Vorbereitung ist das eine, der Saisonverlauf das andere. Wahrscheinlich ist, dass auch Wicki nicht ganz ohne Blessuren durch den Sommer kommt. Deshalb hat er bloss zwei Bergkranzfeste in der Agenda (Stoos, Brünig), obwohl er an deren drei teilnehmen dürfte. Je nach Gesundheitszustand zieht er auch eine Teilnahme auf der Schwägalp in Betracht. Zum Start der Kranzfestsaison fehlt er am Sonntag beim Zuger Kantonalen in Neuheim. Wicki wird dann beim Schwyzer Kantonalen in Einsiedeln (11. Mai) ins Geschehen eingreifen.
Es geht in dieser Saison schlicht um zu viel, als das man sich vor dem Eidgenössischen verausgaben könnte. Denn der Saisonhöhepunkt soll besser werden als im vergangenen Jahr. Damals gehörten die Innerschweizer Schwinger beim Jubiläumsschwinget in Appenzell zu den Geschlagenen. Wicki verlor im 6. Gang gegen den Berner Überraschungssieger Fabio Hiltbrunner und beendete den Wettkampf auf Rang 7c. Er sagt: «Das hat mich schon geärgert. Wir haben als Team nicht gut abgeschnitten. Aber wir haben Massnahmen ergriffen. Ich bin zuversichtlich.»
Bei den letzten beiden Eidgenössischen landete er jeweils auf dem 1. Platz, einmal als Erstgekrönter, einmal als König. Es würde deshalb nicht verwundern, wenn er auch in Mollis auf den Punkt genau bereit ist. Die Trainingskollegen aus Teneriffa werden dann seine Gegner sein. (riz/bzbasel.ch)