Soll wie im Fussball der VAR kommen? In der Schwinger-Familie wird mittlerweile nach fast jedem Sonntag über die Chancen und Risiken eines Videoschiedsrichters debattiert. Wobei die Fronten recht klar abgesteckt sind: Die wenigsten sind für eine technische Hilfe.
«Wir Schwinger machen nicht jeden Chabis-Trend mit und springen nicht auf jeden ersten Zug auf», sagte stellvertretend für viele der 67-jährige Mario John, bis 2014 Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbands in der «NZZ am Sonntag». Er machte seine Aussage, noch bevor es beim traditionellen Brünig-Schwinget einen gravierenden Fehler gab.
Der spätere Festsieger Adrian Walther profitiert im dritten Gang davon. Gegen den Entlebucher Ronny Schöpfer hat der aufstrebende Berner Mühe, es läuft auf einen Gestellten hinaus. Die Innerschweizer Fans jubeln bereits, als die sechs Minuten Kampfdauer abgelaufen sind. Doch der Kampfrichter lässt die Uhr weiterlaufen und nach rund sieben Minuten kann Walther seinen Gegner ins Sägemehl werfen. Auch die Platzkampfrichter, auf deren Tisch eine Uhr mitläuft, bemerken den Fehler offenbar nicht.
Wie wäre das Fest verlaufen, hätte Walther den Gang nicht gewonnen? Eine hypothetische Frage, denn der Sieg zählte. Die beiden Schwinger wurden laut der «Aargauer Zeitung» wenig später ins Einteilungsbüro bestellt, wo man ihnen dies mitteilte.
Der «Blick» schrieb von einem «Fiasko». Und er zitierte den Technischen Leiter des Schwingverbands, Stefan Strebel, der betonte: «Es gibt nichts schönzureden, das Ergebnis basiert auf einem klaren Fehlurteil.» Man müsse es akzeptieren, da es sich um einen Tatsachenentscheid handle. Aber Strebel kündigte an: «Ich werde ihn sicher nicht unter den Tisch wischen. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir solche Dinge in Zukunft verhindern können.»
Strebel ist einer, der sich Neuerungen gegenüber aufgeschlossener zeigt als andere Schwinger. Im Mai nahm er in einem Interview klar Position ein, als er zum Thema Videobeweis sagte: «Ich bin dafür. Doch momentan erhalte ich dafür überhaupt kein Gehör.» Dabei gab es zuletzt, auch dank der laufend besseren Kameratechnik, regelmässig sehr diskutable Entscheide.
Dem Technischen Leiter geht es um die Fairness. Es könne ja nicht sein, dass ein Zuschauer bereits nach wenigen Sekunden die Wiederholung sehe und der Kampfrichter nicht. Diesem will Strebel, da es derzeit nicht nach der Einführung des VAR aussieht, anders helfen. Strebel schweben Treffen mit Spitzenschiedsrichtern aus dem Fussball und Eishockey vor, von denen die Kampfrichter im Sägemehl profitieren sollen.
Für die meisten Spitzenschwinger, glaubt man der Berichterstattung der vergangenen Jahre, scheint die Tradition über der Fairness zu stehen. Fehlurteile würden sich über eine Saison ausgleichen, lautet der Tenor. Dass Christian Stucki beim letzten Eidgenössischen 2019 König wurde, obwohl sein Schlussgang-Gegner Joel Wicki nicht regulär auf dem Rücken lag, geriet rasch zur Fussnote. Zu populär ist König Stucki, zu verdient war der Erfolg des damals 34-Jährigen.
Brünig-Sieger Adrian Walther als jüngster Profiteur mochte sich nicht gross dazu äussern. «Ich dachte zwar schon, dass es etwas lang geht. Ich möchte es aber nicht weiter kommentieren. Der Sieg war sicher wertvoll für den weiteren Tag.»
Im Verlauf des Fests legte der 21-jährige Hüne (200 cm, 100 kg) auch seine nächsten Gegner ins Sägemehl, zuletzt im Schlussgang mit dem 19-jährigen Toggenburger Werner Schlegel ein anderes grosses Talent. Damit ist Walther, der in diesem Jahr bereits das Berner Kantonale für sich entscheiden konnte, endgültig in den Kreis der Topfavoriten für das Eidgenössische aufgerückt. In Pratteln wird am 27./28. August um den exklusiven Titel des Schwingerkönigs gekämpft.