Gut und gerne 400'000 Besucherinnen und Besucher. Mehr als 40 Millionen Franken Budget. Der grösste Einzelsportanlass im Land. Na und? Das Eidgenössische ist einfach ein grosses Sportfest. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. So wird der eidgenössische Hosenlupf zu Pratteln allerdings nicht gesehen. Wortmächtig beschwören Politikerinnen und Politiker, Kommentatorinnen und Kommentatoren, ja Dichterinnen und Dichter die politische, die kulturelle, die vaterländische Bedeutung des Eidgenössischen. Mit einer ähnlichen emotionalen Bedeutung wie der Rütlischwur. Die bäuerlich-vaterländische-konservative Romantik will einfach nicht weichen. Sie scheint immer grösser zu werden.
Seit Anbeginn der Zeiten ist Schwingen politisch aufgeladen wie kein anderer Sport. Das ist seit 1805 so. Schwingen wird beim ersten Unspunnenfest von den alten Berner Patriziern als konservative Gegenbewegung zu den Dämonen der Französischen Revolution lanciert, als heile Gegenwelt in politisch aufgewühlten Zeiten positioniert und bleibt in diesem Geiste bis ins 21. Jahrhundert hinein. Noch in den 1970er Jahren lässt Obmann Ernst Marti Schwinger mit langen Haaren vom Hosenlupf ausschliessen, weil die Frisur Ausdruck einer unpatriotischen Gesinnung sei.
Erst mit Doppelkönig Ernst Schläpfer beginnt die Perestroika (Umgestaltung, Erneuerung). Rückblickend ist er der Gorbatschow des Schwingens: Erst mischt er mit der Einführung von weltlichen Trainingsmethoden des Spitzensportes die Szene auf (König 1980 und 1983). Später sorgt er als Obmann für die kapitalistische Öffnung und ermöglicht den Bösen Werbeeinnahmen. Dass er nebenher für die SP politisiert (der König ein Sozialist) steht für den Marsch des Schwingens durch die Institutionen. Heute haben auch die Linken die Kultur des Schwingens vereinnahmt und erfreuen sich am urmännlichen Kampf viriler Mannsbilder. Keine Festrednerin und kein Festredner aus dem linken Lager muss Pfiffe aus dem Publikum befürchten wie SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss noch 1995 in Chur.
Es ist diese Öffnung für Werbung, Geld und die moderne Medienwelt der Television, die das Schwingen zum Sport für alle sozialen Schichten und politische Lager gemacht hat. Solange kein Geld im Spiel war, das Fernsehen das Schwingen nicht entdeckt hatte, blieb die Zwilchhosen-Szene tatsächlich ein Hort konservativer Politik und konnte es sich leisten, die Langhaarigen zum Coiffeur zu schicken.
Mit der von Ernst Schläpfer initiierten Perestroika haben die Geldströme nach und nach die Kanten und Ecken abgeschliffen, Wohlverhalten und politisch korrektes Reden der Funktionäre und Schwinger herbeigeführt. Kurzum: Das Schwingen entpolitisiert und in die Welt des Sportes integriert. Dort hat das Schwingen einerseits ein enormes Potenzial, andererseits die gleichen Schwierigkeiten wie so viele andere publikumswirksame Sportarten auch. Das Potenzial liegt in der Faszination des Zweikampfsportes, in einem genialen Regelwerk und einer reichen Tradition. Die Schwierigkeiten in den Begleiterscheinungen des Sportkapitalismus, Doping inklusive.
Zwar ist Werbung nur ausserhalb der Arena erlaubt. Aber spätestens seit Frauenfeld 2010, dem ersten durch und durch modernen Eidgenössischen, sind die Schwinger nicht mehr die Sennen in der Tradition von Unspunnen 1805. Das böse Dutzend (im Schwingen sind die Bösen die Guten) kassiert inzwischen sechsstellige Werbeeinnahmen und verhält sich nicht anders als andere Sportstars auch.
Sie leisten sich Manager, die mediale Auftritte orchestrieren und streben nicht mehr nur nach Ruhm. Sondern auch nach Geld. König Christian Stucki ist der perfekte moderne Schwinger: Ohne ein einziges Fest zu bestreiten hat er diese Saison mit der in den Medien wie eine Papstwahl begleiteten Frage, ob er wohl in Pratteln dabei sein werde, mehr Präsenz erzielt als jeder andere Böse. Seine Werbepartner, die ihm pro Jahr eine gute halbe Million überweisen, freut es sehr.
Die Öffnung hat dazu geführt, dass das Eidgenössische heute nicht viel mehr mit konservativer Politik zu tun hat als der Spengler Cup, die Swiss Indoors zu Basel oder ein Fussball-Länderspiel. Das Eidgenössische ist im Geiste dem Spengler Cup näher als dem Rütlischwur.
Die Schwinger und ihre Macher haben das Sägemehl aus den Kühermutz geklopft und fühlen sich in TV-Studios, zwischen Kaviar und Schampus so daheim wie bei Berner Platte und Kaffee Träsch. Die Funktionäre haben sich von Sägemehl-Ajatollahs zu geschickten und bisweilen bauernschlauen Machern gemausert und verwalten die vaterländische Romantik gewitzt. So kommt es, dass das Hochamt des Schwingens, die zwei Tage des Eidgenössischen, alle drei Jahre die wahren Nationalfeiertage geworden sind, obwohl es eigentlich nur noch ein Sportfest ist. Allerdings ein grandioses.