Britische Ski-Sensation wohnt in Basel – das ist Laurie Taylor
Bitterkalt ist es zwar. Um Schnee vorzufinden, müsste sich Laurie Taylor aber noch ein paar Kilometer weiter südlich Richtung Alpen bewegen. In wenigen Stunden wird er auch genau dies tun, um zum nächsten Weltcuprennen im österreichischen Gurgl (heute Samstag, 10.30 Uhr) zu fahren. Doch zuerst pedaliert er auf seinem Rennrad durch den Basler Morgenverkehr. In der einen Hand balanciert er einen Ski. Gewissermassen eine Berufskrankheit. Keine Gelegenheit lassen die Skiprofis aus, um ihren Skisponsor zu präsentieren.
Erst recht nicht, wer wie Laurie Taylor hartes Brot essen musste, ehe er an die Weltspitze gelangte. Drei Tage zuvor hat er nördlich des Polarkreises sein bestes Karriereergebnis herausgefahren. In Levi verpasste der Slalomspezialist das Podest mit dem vierten Rang denkbar knapp.
Basels bester Skifahrer ist Brite. Ausgerechnet. «Oder gibt es sonst einen Profiskirennfahrer aus Basel?», fragt Taylor am Kopf der Wettsteinbrücke rhetorisch und lacht. «I’m one of you!»
Er weiss sehr wohl: Wie alle seine Landsleute gilt er in dieser Sportart fast schon als Exot. Vor allem hierzulande, wo Tourismusbranche, Politik und Medien gern die Skination Schweiz beschwören.
Allerdings wird dabei die Geschichte des Skisports oft ausgeblendet. Britische Touristen der upper class prägten schon Ende des 19. Jahrhunderts den Skisport in der Schweiz. Zunächst dienten die Holzlatten lediglich als Fortbewegungsmittel. Die Schweizer Alpinisten entdeckten sie später für ihre Touren. Ski alpin als Sportart ist jedoch eine britische Erfindung – auf die Idee war Arnold Lunn im Wintersportort Mürren gekommen.
Auf der Plastikpiste mass er sich mit seiner Schwester
Als Laurie Taylor sechs Jahre alt war, fuhr er mit seinen Eltern und den beiden Schwestern erstmals in die Skiferien nach Bulgarien. Es war ein Luxus, den sich die Mittelstandsfamilie erlaubte. Vater Taylor arbeitet als Buchhalter, die Mutter als Lehrerin. «Meine Eltern waren keine Skifahrer, aber ich liebte es», sagt Taylor.
Das Skifahren lernte er jedoch nicht primär auf Schnee, sondern auf einer Plastikunterlage. Durch eine Kleinanzeige in der Zeitung entdeckte die Familie die Kunststoff-Skipiste in Aldershot, einem Städtchen im Süden Englands. Tausende Male kurvte Laurie Taylor auf Skiern den gleichen Hang hinunter. «Für einen Lauf brauchte ich neun Sekunden», erzählt er, «das ist also kein Vergleich zu dem, was ich heute mache.»
Seine ärgste Konkurrentin damals: Schwester Abigail. Bei einem Rennen in Christchurch habe sie ihren Bruder geschlagen, erinnert sich Vater Nigel Taylor. «Abigail war eine richtig gute Skifahrerin, aber sie mochte den Schnee und die Kälte nicht.»
Laurie Taylors gute Balance habe sich schon früh gezeigt, sagt sein Papa. «Schon als kleiner Bub sprang er einfach auf ein Rad und fuhr los.» Auch beim Eisschuhlaufen habe sich sein guter Gleichgewichtssinn gezeigt. Heute tanzt der Brite um die Slalomstangen.
Warum Briten erst spät Fahrt aufnehmen
Im finnischen Levi standen erstmals vier Briten bei einem Weltcup-Slalom am Start. Rund um den Ski-Ästheten und Star Dave Riding ist ein Team gereift. Der «Papa» des britischen Ski alpin-Teams feierte 2022 mit 35 Jahren in Kitzbühel den ersten Weltcupsieg eines Briten überhaupt. «Wir sind mit unseren Karrieren meist später dran, weil wir nicht die gleichen Möglichkeiten haben, auf Schnee zu trainieren», sagt der 29-Jährige. Er lacht und fügt an: «Meine Karriere startet erst jetzt so richtig.» Er hoffe, noch zehn Jahre im Weltcupzirkus mitmischen zu können.
Seit bald drei Jahren lebt Laurie Taylor am Rheinknie. Und er sagt über Basel, was eine Schweizerin oder ein Schweizer nie sagen würde: «Hier bin ich nah an den Bergen, nah am Schnee.» Alles ist relativ. Aus britischer Perspektive ergibt seine Aussage Sinn: An die Rennen in Val d'Isère oder eben Gurgl kann er bequem mit dem Auto fahren. Die Wettkämpfe in Adelboden und Wengen sind gefühlt vor der eigenen Haustür. «Für mich fühlen sich Rennen in der Schweiz wie Heimrennen an», sagt Taylor.
Nirgendwo sei die Atmosphäre so prickelnd wie am Chuenisbärgli. Den Zungenbrecher meidet Taylor lachend – «Adelboden», sagt er. Der Slalomhang von Wengen sei für ihn der technisch anspruchsvollste.
Am Basler Rheinbord legt er die Basis
Nicht wegen des Umzugs nach Basel habe seine Karriere neuen Schwung erfahren, erklärt er. Das Training ist nämlich gleich geblieben: In den Sommermonaten balanciert er jeweils auf den Gletschern von Saas Fee, im argentinischen Schnee von Ushuaia und im Kunstschnee der belgischen Indoor-Skihallen um die Slalomstangen. Im Winter gibt die Weltcup-Agenda den Takt und die Trainingsorte vor.
Den Wohnort hat er in erster Linie der Liebe wegen gewählt: Taylors Frau arbeitet beim Pharmakonzern Roche. Dank der geografischen Lage Basels könne er aber viel mehr daheim sein. Wenn er nicht auf Skiern steht, kehrt er ins Gellert-Quartier zurück.
In Basel absolviert er auch einen Grossteil seines Sommertrainings neben der Piste. Am liebsten tut er dies direkt unter den hohen Pfeilern der Wettsteinbrücke. Auf seinen Instagram-Videos zeigt er einem tausendfachen Publikum, wie er über das Geländer am Rhein balanciert, auf Stützmauern springt und Agilitätsübungen abspult. Auch vom Rheinschwimmen schwärmt er.
Erstmals lebe er in einer «City», erzählt Taylor. Aufgewachsen ist er in Basingstoke, 45 Zugminuten von London entfernt. Eine Stadt in Hampshire mit gut 100'000 Einwohnenden. Im Wirtschaftszentrum vor den Toren der Weltmetropole finden grosse Firmen günstige Räume vor. Basingstoke kurbelt gerade den Weihnachtseinkauf mit Gratis-Parkieren an. Die örtliche Gazette hat aber den grössten Erfolg ihres ausgezogenen Skihelden nicht vermeldet.
Als er zehn Jahre alt war, schickten seine Eltern ihn an die British Ski Academy. Von da an verbrachte er das Winterhalbjahr jeweils in den französischen Alpen. «Im Trainingslager habe ich im Hotel den Abwasch gemacht, weil uns der Leiter der Academy so einen günstigeren Preis gewährte.» Als Teenager begann er in Skiläden zu arbeiten, um die Skischule mitzufinanzieren.
Französisch lernte er während seiner mehrmonatigen Aufenthalte über zehn Jahre hinweg nie. «Sprachen sind eine meiner Schwachstellen», sagt er. Womit er ein Klischee erfüllt, mit welchem Briten oft konfrontiert sind. Taylor redet es nicht schön und sagt lachend: «Wir sind unfähig.» Mit Deutsch wolle er es trotzdem versuchen. Das Baseldytsch kann noch warten.
