Ski Alpin gegen Biathlon, 464 zu 305, so lautet die einfache Rechnung. Wer die Instagram-Profile der Stars beider Sportarten vergleicht, erhält dieses Verhältnis. 464'000 Leute folgen Marco Odermatt, 305'000 dem norwegischen Seriensieger Johannes Thingnes Bö. Der Blick auf weitere Profile der Profis bestätigt das Bild: Wer den Berg hinunterrast, hat mehr Follower.
Damit ist aber nicht alles gesagt. Denn auf einem anderen Gebiet kann der Biathlon mehr als nur mithalten: bei den TV-Quoten. Da haben die Alpinen einen gewichtigen Nachteil.
«Alpin ist gross in den kleinen Ländern, aber klein in den grossen Ländern.» So sagt es Jürg Capol, der CEO der Biathlon-WM in der Lenzerheide, die am Mittwoch startet. Der Bündner, der im April Nordisch-Direktor bei Swiss-Ski wird, versprüht Biathlon-Begeisterung. «In fast allen Ländern hat Biathlon im Fernsehen die grössere Reichweite als Ski Alpin, Ausnahmen sind die Schweiz und Österreich.»
Als Beispiel diene der Vergleich zwischen Abfahrts-Klassikern und Biathlon-Rennen, sagt Capol. Zwar ist das Spektakel in Wengen ein Quotenhit in der Schweiz, 2025 mit einem Marktanteil von über 80 Prozent und gut 800'000 Zuschauenden. Nur schon der deutsche TV-Markt lässt aber die Verhältnisse kippen. Während sich 2,7 Millionen Deutsche das Abfahrtsrennen auf der Streif in Kitzbühel ansahen, sind es bei Biathlonrennen oft das Doppelte. Etwa fünf Millionen Deutsche werden bei WM-Rennen zuschauen, so war es zumindest in anderen Jahren. Und auch wenn dies nur einem Marktanteil von gut 20 Prozent entspricht, überragt es halt die Alpin-Zahlen aus der Schweiz.
«Der mit Abstand beliebteste Wintersport im deutschen Fernsehen bleibt Biathlon», schrieb das ZDF kürzlich auf seiner Website. Mithalten können nur die Springen der Vierschanzentournee. Nicht aber die Alpinrennen. Was auch damit zu tun hat, dass Deutschland Zugpferde verloren hat – und sich nach Namen zurücksehnt wie Markus Wasmeier, Regine Mösenlechner, Felix Neureuther oder Maria Höfl-Riesch.
Dass Biathlon TV-Topwerte verzeichnet, hat auch mit der Entwicklung in Frankreich zu tun. Ein Überflieger stand dort am Anfang des Aufstiegs. Martin Fourcade, fünffacher Olympiasieger, klopfte 2012 eigenhändig bei Fernsehsendern an, wie «Le Monde» kürzlich berichtete: «Ich war davon überzeugt, dass mein Sport Potenzial hat. Es war ein Hit in Norwegen, Deutschland und Russland, warum also nicht in Frankreich?»
Plötzlich schauten sich bis zu zwei Millionen Menschen im Land Biathlon-Rennen an. Der französische Aufschwung lag an Fourcade, aber auch an den Strukturen, die schon zuvor gelegt worden waren, wie Capol erklärt. «Frankreich schaffte es, Skiclubs von Biathlon zu überzeugen.» Gleiches wolle man in der Schweiz schaffen. Die WM soll helfen. Möglichst mit Schweizer Medaillen.
Sowohl an der Ski- wie auch an der Biathlon-WM werden rund 20 TV-Stationen vor Ort sein, Sender wie Eurosport decken sehr viele Länder ab. Der Vergleich der über die ganze WM addierten TV-Zahlen ist schwierig und lässt sich nur an vergangenen WM festmachen. Die alpine Ski-WM verfolgen rund 100 Millionen Leute, heisst es seitens Infront, des TV-Vermarkters der Alpinen, wobei hier nur die wichtigsten 20 Märkte berücksichtigt seien. Die Biathlon-WM in Pokljuka 2021 sahen gemäss der WM-Veranstalter kumuliert ganze 610 Millionen Menschen.
Immerhin sieht es in Sachen Fans vor Ort anders aus. Saalbach-Hinterglemm rechnet für die elf Renntage mit 250'000 Fans, die Lenzerheide budgetiert für die zwölf Rennen an neun Tagen mit deren 55'000. Eine bescheidene Zahl – an der Biathlon-WM in Oberhof vor zwei Jahren waren 150'000 zugegen. «Noch fehlt die Biathlon-Tradition im Land», erklärt Capol. Er hofft auf ausländische Fans, auf Skitouristen, die den Weg ins Stadion finden. Und auf die ansteckende Faszination Biathlon.
Vier Tage der Ski- und Biathlon-WM werden sich kommende Woche überschneiden. Dass die Grossanlässe gleichzeitig stattfinden, sei Tradition und abgesprochen, heisst es beim Biathlon-Weltverband IBU. Denn Skirennen finden meist am Vormittag, Biathlon-Wettkämpfe am Nachmittag statt. Im TV können sich die Anlässe Publikum zuschanzen, ist Capol überzeugt. Und die IBU schreibt: «Das Programm der alpinen Ski-WM und der Biathlon-WM kollidiert in keiner Weise, sondern lässt sich komplementär zu einem für den Fan lückenlosen Wintersport-TV-Tag vereinen.» Heisst aus Schweizer Sicht: Wenn die Alpinen am Morgen ohne Medaille bleiben, bleibt am Nachmittag immerhin die Hoffnung auf eine Überraschung in Lantsch. (aargauerzeitung.ch)