Als er im Herbst 2022 nach London reiste, um Roger Federer beim Laver Cup zu verabschieden, da ging das Rafael Nadal besonders nahe. «Für mich war Roger immer derjenige, den es zu schlagen galt. Mit ihm geht ein wichtiger Teil meines Lebens», sagte er. Wohl auch deshalb flossen beim Spanier die Tränen, weil ihm, wieder einmal, die eigene Vergänglichkeit und das nahende Ende seiner eigenen Karriere vor Augen geführt wurde.
Nun, am Donnerstag, 10. Oktober, verkündete der 38-jährige Rafael Nadal: Nach dem Davis-Cup-Final in Malaga Ende November tritt er zurück.
Während zweier Jahrzehnte prägte Nadal mit Roger Federer und Novak Djokovic eine goldene Ära des Männertennis. Federer gewann 20 Grand-Slam-Titel, Nadal 22, der letzte Verbliebene aus dem Trio, Novak Djokovic, steht bei 24 Major-Titeln. Federer war der Ästhet, dessen Spiel geprägt von Poesie und Eleganz geprägt war. Rafael Nadal der Kämpfer, der bei jedem Ballwechsel den Eindruck erweckte, es gehe um Leben und Tod. Djokovic der Inbegriff von Beharrlichkeit, Ausdauer und Widerstandsfähigkeit.
Anders als Federer und Djokovic ging Nadal nie mit dem Selbstverständnis auf den Platz, der Beste zu sein. Nicht einmal in Paris.
Djokovic, Federer und Nadal befruchteten das Tennis mit ihrer Rivalität, mit ihren Charakteren und ihren völlig unterschiedlichen Spielstilen. Sie schenkten ihm unvergessliche Momente wie den Wimbledon-Final 2008, als Nadal Federer in dessen Reich die erste Niederlage seit 2002 zufügte.
«Ich hatte immer gehofft, dieser Tag möge nie kommen. Was für eine Karriere, Rafa. Danke für die unvergesslichen Erinnerungen and alle deine unglaublichen Errungenschaften im Spiel, das wir lieben. Es war mir eine Ehre», sagt Roger Federer, kurz nachdem Nadals Rücktritt bekannt wird.
Jedes der vier Grand-Slam-Turniere gewann Nadal mindestens zwei Mal. Mit seinen 14 French-Open-Titeln geht er als Sandkönig in die Geschichte ein. Vor zwei Jahren gewann er in Paris auch seinen letzten von 92 Titeln. 63 Turniersiege feierte er auf einem Sandplatz. Während 209 Wochen führte Rafael Nadal die Weltrangliste an. Dazu gewann er 2008 in Peking Olympia-Gold im Einzel und 2016 in Rio de Janeiro auch noch im Doppel.
Obwohl Rafael Nadal als einer der erfolgreichsten Spieler in die Geschichte eingeht, schwebt über ihm eine Frage: Was, wenn er nicht so oft verletzt gewesen wäre? Die Verletzungen, die ihn zu Pausen zwangen, umfassen praktisch das gesamte Spektrum der Anatomie. Mal war es das Knie, mal der Rücken, mal das Handgelenk, und immer: der linke Fuss.
Nadal leidet am Müller-Weiss-Syndrom, einer Knochenkrankheit, die zu einer Deformation des Kahnbeins im Mittelfuss und zu Schmerzen führt. Bei seinem letzten Grand-Slam-Titel spielte Nadal mit betäubtem Fuss.
Oft sah man Familienmitglieder mitleidend flehen, er möge das Handtuch werfen und aufgeben. Doch das war für ihn nur selten eine Option. Nadal war wohl auch deshalb so erfolgreich, weil es ihm gelang, jedes Spiel mit der Haltung zu bestreiten, dass es sein letztes sein könnte. Einst sagte der Spanier: «Ich liebe den Wettkampf, nicht nur im Tennis, sondern überall im Leben. Vielleicht liebe ich es mehr, zu kämpfen, als zu gewinnen.»
Praktisch das ganze Jahr 2023 verpasste Nadal, auch 2024 bestritt er nur sechs Turniere. Wie Roger Federer hätte er am liebsten nie mit dem Tennis aufgehört. Doch wie sein Rivale musste er letztlich die Hoffnungslosigkeit seines Unterfangens und die Grenzen seines Körpers anerkennen.
So erwartbar der Abschied war, so schmerzhaft ist er für Nadal. Weil das Tennis nicht nur ein Sport, sondern ein Spiel und für viele eine Kunstform ist. Maler führen den Pinsel, Skulpteure formen Plastiken, Architekten kreieren Bauwerke bis an ihr Lebensende. Nicht selten erreichen sie den Zenit ihrer Schaffenskraft im hohen Alter. Tennisspielern aber wird das Ende aufgezwungen, weil der Körper irgendwann nicht mehr zulässt, was er zuvor Tausende Male ermöglicht hat und im Kopf abgespeichert ist.
Rafael Nadal, der lange von seinem Onkel Toni trainiert und oft von seiner Schwester und seinen Eltern begleitet wurde, ist inzwischen Vater eines Sohnes und mit seiner Jugendfreundin Maria Francisca Perello verheiratet. Ende November geht seine bemerkenswerte Karriere zu Ende. Rafael Nadal wird in Malaga einmal tun, was er immer tat, aufrecht und ehrlich, mit offenem Visier: Tennis spielen und kämpfen, bis zum Schluss. (aargauerzeitung.ch)