Die Meinung des britischen Tennisverbandes LTA hat sich nicht geändert. «Es war der richtige Kurs», steht man auch heute noch zum Ausschluss der russischen und belarussischen Tennisspieler vom wichtigsten Turnier des Jahres. Dennoch erfolgte vor drei Monaten die Kehrtwende. Die Akteure aus dem Land, das in der Ukraine Krieg führt, und dessen grössten Unterstützers dürfen in diesem Jahr im Südwesten Londons wieder antreten – nicht zur Freude der Veranstalter, wie man klar durchblicken lässt.
Aber die «erheblichen Strafen» durch die mächtigen Spielervereinigungen ATP und WTA inklusive der «realen Aussicht auf eine Beendigung unserer Mitgliedschaft» im Fall eines erneuten Ausschlusses hätten dem Veranstalter fast keine andere Wahl gelassen. Wie die BBC berichtete, wurde die LTA von der WTA mit einer Busse von 750'000 Dollar und von der ATP mit einer Strafe von einer Million Dollar belegt.
Tennis ist eine der wenigen Einzel-Sportarten, in denen die (bela-)russischen Spieler uneingeschränkt antreten dürfen, einfach unter neutraler Flagge. Die grosse Ausnahme war Wimbledon, das eigenmächtig entschied, diese auszuschliessen – sehr zum Missfallen der internationalen Verbände, die die Gleichbehandlung sämtlicher Mitglieder höher bewertete. Deshalb gab es im letzten Jahr in Wimbledon keine ATP- und WTA-Punkte zu gewinnen.
Nun passt sich das Traditionsturnier an. Beendet sind die Diskussionen damit aber keineswegs. Das Thema war zuletzt am French Open ein Dauerbrenner, und in Wimbledon wird es nun erst recht hochkochen. Vor allem die Australian-Open-Siegerin und Weltnummer 2 Aryna Sabalenka aus Minsk wurde immer wieder nach ihrer Haltung zum Krieg im Nachbarland gefragt. Zunächst boykottierte sie zweimal die eigentlich obligatorische Medienkonferenz nach ihren Spielen und monierte, sie fühle sich da «nicht sicher». Nach dem Viertelfinal stellte sich die Belarussin wieder den Fragen und machte klar: «Ich unterstütze diesen Krieg nicht.»
Sie dürfte damit auch eine wichtige Bedingung Wimbledons erfüllen. Die Veranstalter knüpften die diesjährige Teilnahme der russischen und belarussischen Profis an Bedingungen. So müssen die Athleten eine Neutralitätserklärung unterschreiben. Weiter dürfen sie keine Unterstützung für die Invasion Russlands in der Ukraine bekunden, im Zusammenhang mit der Teilnahme dürfen sie keine finanziellen Mittel vom Staat erhalten. In der Regel sind Tennisprofis finanziell nicht abhängig von staatlichen Fördersystemen und gelten aufgrund der vielen Reisen als Weltbürger, so lautet die Argumentation von ATP und WTA.
Besonders schwierig ist die Situation für ukrainische Spielerinnen. Sie verweigern den (Bela-)Russinnen den sonst üblichen Handschlag am Ende eines Spieles, in Paris wurde Jelina Switolina dafür sogar vom Publikum ausgebuht, weil Sabalenka – absichtlich oder nicht – deutlich sichtbar am Netz auf das Handshake wartete. In Indian Wells trat die Ukrainerin Lessia Zurenko nicht zur Partie gegen Sabalenka an und begründete dies später mit einer Panikattacke wenige Minuten vor dem geplanten Start.
«Ich denke, es ist nicht leicht für die ukrainischen Spieler, an Wettkämpfen auf der Tour teilzunehmen», sagte die polnische Weltnummer 1 Iga Swiatek, die sich stets als starke Unterstützerin der Ukraine zeigte. «Ich möchte mich mehr darauf konzentrieren, ihnen zu helfen.»
Andere äussern klare Unterstützung für die Teilnahme der Russen. Er sei «froh» darüber, sagt der dreifache Wimbledon-Champion Boris Becker und begründet: «Das sind alle keine Befürworter des Kriegs, sie haben sich alle dagegen ausgesprochen. Sie spielen für sich und nicht für ihr Land.» Ähnlich sieht es der beste deutsche Spieler Alexander Zverev. Er sei «kein Politiker». «Ich glaube, gerade Andrej (Rublew, Nummer 7 der Welt) hat sich sehr, sehr oft gegen den Krieg ausgesprochen», betont Zverev. «Ich finde, man kann ihn nicht dafür bestrafen, dass er in ein Land geboren wurde, das jetzt Krieg führt.» Tatsächlich schrieb der Russe nach seinem Turniersieg im Februar vor einem Jahr, wenige Tage nach dem Einmarsch in der Ukraine, auf die TV-Kamera: «No War Please.»
Sein Wunsch wurde von seinem Staatspräsidenten nicht erhört – und deshalb wird die Frage zum Umgang mit Sportlern aus Russland und Belarus auch in den nächsten zwei Wochen in Wimbledon die Gemüter erhitzen. (nih/sda/dpa)