Jannik Sinner blickt auf ein aufregendes Tennis-Jahr zurück. Im Januar gewann der 23-Jährige am Australien Open zum ersten Mal ein Grand-Slam-Turnier, im Juni erklomm er als erster Italiener überhaupt die Spitze der ATP-Weltrangliste.
Der Südtiroler hat sich in kurzer Zeit als einer der herausragendsten Spieler seiner Generation etabliert. In seiner bisherigen Karriere blieb er weitgehend von grösseren Kontroversen verschont, bis am Dienstag bekannt wurde, dass er in einen Dopingfall verstrickt ist.
Während des Masters-1000-Turniers in Indian Wells wurde Sinner im März zwei Mal positiv auf ein verbotenes anaboles Steroid getestet. Die International Tennis Integrity Agency (ITIA) gab den brisanten Fall zum Schutz des Athleten erst nach Abschluss der Untersuchungen bekannt. Die Weltnummer 1 wurde demnach positiv auf geringe Mengen der verbotenen Substanz Clostebol getestet.
Da Sinner nachweisen konnte, dass ihn keine Schuld trifft und damit kein Vorsatz gegeben war, wurde er nicht suspendiert. Laut einem Statement des Tennis-Stars kam die Verunreinigung mit Clostebol durch die Behandlung bei seinem Physiotherapeuten zustande, der für die Behandlung einer eigenen Wunde ein rezeptfreies Heilspray verwendete. Ein unabhängiges Gericht kam zum Schluss, dass kein Fehlverhalten Sinners festzustellen war.
Ganz ungeschoren kommt Sinner in der Angelegenheit allerdings nicht davon. Ihm werden die ATP-Punkte und das Preisgeld für das Turnier in Indian Wells aberkannt. Laut dem gut informierten Tennis-Journalisten Ben Rothenberg soll Sinner dadurch 400 Ranglistenpunkte und rund 300'000 Euro verlieren.
Dass Sinner trotz des positiven Dopingbefundes nicht gesperrt wurde, kommt nicht überall gut an. Der australische Tennis-Rüpel Nick Kyrgios schrieb auf X (vormals Twitter): «Lächerlich – ob es nun versehentlich oder geplant war.» Und weiter: «Er wird zweimal auf eine verbotene Substanz getestet. Er sollte für zwei Jahre gesperrt werden.»
Den Einwand eines Users, dass die geringe Menge der in Sinners Körper nachgewiesenen Substanz angeblich nicht für eine Leistungssteigerung ausreiche, wischte der frühere Weltranglisten-13. weg: «Warum haben sie ihm dann das Preisgeld und die Punkte aus Indian Wells weggenommen? Hat er etwas falsch gemacht oder nicht? Schliesslich haben sie gesagt, dass er zweimal positiv getestet wurde.»
Auch der Kanadier Denis Shapovalov äusserte sich auf X kritisch: «Unterschiedliche Spieler, unterschiedliche Regeln», meinte der frühere Top-Ten-Spieler. «Kann mir kaum vorstellen, wie sich andere Spieler jetzt fühlen, die wegen kontaminierter Substanzen gesperrt wurden.» Ein prominenter Fall ist jener von Simona Halep, die im Oktober 2022 nach einer positiven Doping-Probe als damalige Weltnummer 1 suspendiert wurde. Später wurde eine vierjährige Sperre gegen sie verhängt, der Internationale Sportgerichtshof reduzierte diese im März 2024 aber auf neun Monate, wodurch sie sofort wieder spielberechtigt war.
Für grosses Aufsehen sorgte im Jahr 2016 der Fall der norwegischen Langlauf-Olympiasiegerin Therese Johaug. Der nationale Skiverband erklärte damals, dass die Substanz Clostebol in einer Lippencreme enthalten war, die der Mannschaftsarzt für Johaug gekauft hatte. Nach dem positiven Befund wurde die Dominatorin für 18 Monate gesperrt.
Auch die ATP äusserte sich zum Fall. Sie gab in einem Statement bekannt, froh zu sein, dass bei Sinner keine Schuld oder Fahrlässigkeit festgestellt wurde: «Dies war eine schwierige Angelegenheit für Jannik und sein Team und unterstreicht die Notwendigkeit für Spieler und ihr Umfeld, bei der Verwendung von Produkten oder Behandlungen äusserste Vorsicht walten zu lassen. Integrität ist das A und O in unserem Sport.» (nih/sda)