Viktorija Golubic und die Grand Slams: Bis zu diesem Jahr war das ein veritables Trauerspiel. Ausser in Wimbledon (ein Viertelfinal) gab es nur Pleiten, Pech und Pannen. Bilanz am Australian Open: sieben Teilnahmen, sieben Mal in der 1. Runde out. Beim US Open: sechs Mal gespielt, sechs Mal das Auftaktspiel verloren. Und in Paris: ein Sieg, acht Jahre her, bei sechs Turnieren. Nun macht sich die Zürcherin aber daran, diese Horrorbilanz zu verbessern.
In Melbourne erreichte sie im Januar erstmals die 3. Runde und nun in Paris gewann sie zumindest mal ihre Auftaktpartie – gegen Barbora Krejcikova, die Championne von 2021. Für Golubic sind die Erfolge in erster Linie eine Kopfsache. «In anderen Jahren habe ich vielleicht auch vieles gut gemacht», stellt die 30-jährige Zürcherin fest. «Aber dann war ich in den entscheidenden Momenten vielleicht zu verkrampft oder nicht entschlossen genug.» Mit einer gewissen Erfahrung und Reife habe sie da nun einige neue Fähigkeiten entwickeln können.
Golubic erinnert daran, dass sie in ihrem Spiel ja nicht die drei, vier Gewinnschläge habe, sondern eher durch ein Gesamtpaket Matches gewinnen könne, in dem sie ihre Gegnerinnen dazu zwingt, Fehler zu machen und nicht an ihrem Optimum zu spielen. «Da muss man intuitiv das Richtige machen, und da ist die mentale Stärke natürlich essenziell.» Es gebe nicht einen bestimmten Punkt, an dem sie gearbeitet habe, vielmehr habe sich das über die Zeit entwickelt.
«Es ist nicht wie im Märchen, wo etwas gleich sofort passiert», erklärt die Team-Weltmeisterin von 2022 und Olympia-Zweite im Doppel ein Jahr zuvor. «Man darf jeweils nicht nur einzelne Spiele anschauen, sondern muss über einen längeren Zeitraum dranbleiben.» Und bei den Grand Slams sei halt jede noch ein wenig mehr parat als sonst, hat sie festgestellt.
Von einem Klick will auch Stan Wawrinka nicht sprechen, der am Sonntag in der 1. Runde gegen Andy Murray sein bestes Spiel des Jahres zeigte - und mit dem erst vierten Saisonsieg belohnt wurde. Der Roland-Garros-Sieger von 2015 hatte immer wieder betont, dass er im Training sehr gut spiele, es aber einfach nicht schaffe, dies in die Matches zu übertragen. «Ich wusste, dass das Niveau da ist, aber ich verlor viele Spiele, bei denen ich führte und dann zu zögerlich wurde.» Gegen Murray korrigierte er dies und strich die Bedeutung des mentalen Aspekts hervor.
Als es erneut gut lief, musste Wawrinka die Erinnerungen an die Dämonen der letzten Monate aus dem Kopf bringen. «Ich muss die Nervosität akzeptieren», sagt der Routinier mit 924 Spielen auf der ATP Tour (571 Siege) auf dem Buckel. «Ich muss jedes Mal wieder neu fokussieren und konzentriert bleiben. Gegen Murray habe ich das sehr diszipliniert gemacht.»
Die gute Form, die sowohl Golubic als auch Wawrinka zum Auftakt des French Open unter Beweis stellten, kommt angesichts der letzten Wochen doch etwas überraschend. Golubic schlug sich nach ihrem viel versprechenden Saisonstart mit Beschwerden im Fuss herum, die auch ihren Einsatz im Billie Jean King im April in Biel verhinderten. Nun spüre sie aber keine Beeinträchtigung mehr, so Golubic.
Weitere Siege würden beiden helfen, die Aussichten für eine Olympia-Teilnahme zu verbessern und zu verhindern, dass in sieben Wochen an gleicher Stelle nicht ein olympisches Turnier ohne Schweizer Beteiligung über die Bühne gehen wird. Wawrinka (ATP 98) hat auf dem Papier die einfachere Aufgabe. Er trifft am Mittwoch auf den Russen Pawel Kotow (ATP 56), der zwar nach einem Viertelfinal letzte Woche in Lyon und einem Auftaktsieg gegen den als Nummer 32 gesetzten Cameron Norrie gut in Form ist, aber noch nie die 3. Runde eines Grand-Slam-Turniers erreicht hat. Für Wawrinka wäre es das 43. Mal.
Golubic (WTA 76) wird einmal mehr mentale Stärke und taktische Cleverness brauchen, wenn sie im dritten Anlauf erstmals gegen die Russin Anastasia Potapowa (WTA 41) gewinnen will. «Sie spielt extrem flach und schnell und trotzdem solide», weiss die Schweizerin. «In der Vergangenheit habe ich aber auch das Zepter nicht gut genug in die Hand genommen.» Das soll am Mittwoch anders sein. «Ich muss druckvoll und mit Variation spielen. Sie hat durchaus auch ihre Schwächen.» Am Mentalen soll es bei Golubic und Wawrinka jedenfalls nicht mehr scheitern. (sda)