Keine Nation holte mehr Medaillen – so fällt die Schweizer Bilanz der Rad-WM aus
Ein Jahr nach dem sportlich mageren Abschneiden an der Heim-WM in Zürich wusste das Schweizer Team in Kigali zu überzeugen. Mit vier Medaillen, darunter Gold für Marlen Reusser im Einzelzeitfahren, zeigt man sich bei Swiss Cycling zufrieden – auch wenn mit etwas mehr Rennglück noch mehr als nur ein Regenbogentrikot möglich gewesen wäre.
«Natürlich überwiegt das Positive», bilanziert Thomas Peter, der Geschäftsführer des nationalen Verbandes, am Sonntag im SRF-Interview mit Blick auf die erste Rad-WM auf afrikanischem Boden. «Vier Medaillen hätten wir im Vorfeld nie erwartet. In praktisch allen Rennen – ob Zeitfahren oder Strassenrennen – waren wir präsent, waren wir bei den Leuten.»
Chancen liegen gelassen
Trotz der erfreulichen Gesamtbilanz bleibt die Erkenntnis, dass das Potenzial im Elitebereich nicht voll ausgeschöpft wurde. Im Mixed-Teamzeitfahren lag die Schweiz auf Goldkurs, doch eine defekte Schaltung am Velo von Marlen Reusser und ein darauf folgender taktischer Fehlentscheid warfen das Team zurück. Am Ende resultierte «nur» Bronze; zum dritten WM-Titel in der noch jungen, erst 2019 eingeführten Disziplin fehlten nur gerade zehn Sekunden.
Auch im Strassenrennen der Frauen wäre eine Medaille möglich gewesen. Das starke Schweizer Team blieb jedoch unbelohnt. Elise Chabbey musste sich mit dem undankbaren 4. Rang begnügen.
Nächste Generation rückt nach
Ein Blick auf den Medaillenspiegel zeigt: Keine Nation hat mehr Medaillen geholt als die Schweiz. Dass sie hinter den Niederlanden, Grossbritannien und Frankreich auf dem starken 4. Platz aufscheint, ist auch den zwei Podestplätzen im Nachwuchsbereich zu verdanken.
Der 20-jährige Fricktaler Jan Huber gewann Silber im U23-Strassenrennen, die 16-jährige Luzernerin Anja Grossmann Bronze bei den Juniorinnen. Sie hätten nicht nur sportlich überzeugt, sondern auch gezeigt, dass das Schweizer Fördersystem greift, findet Peter. «Diese Medaillen bedeuten uns sehr viel. Sie zeigen, dass unsere Strukturen funktionieren. Wir haben in fast allen Kategorien Talente, die vorne mitfahren.»
Auch bei den Frauen sei die Entwicklung ermutigend. «Wenn man schaut, wer bei der Elite alles mitgehalten hat, obwohl einige noch nicht auf dem höchsten Profiniveau fahren, ist das stark. Es zeigt, wie breit wir mittlerweile aufgestellt sind.»
Diese positive Entwicklung lässt sich nicht nur an Medaillen festmachen. Beeindruckend war auch das Auftreten junger Gesichter. Ob Ginia Caluori bei den Frauen oder Jan Christen bei den Männern – beide setzten bei ihrem Elite-Debüt an einer Strassen-WM Akzente. «Das ist für uns sehr wichtig», sagt Peter. «Früher hatten wir ein eher älteres Team. Jetzt kommt die nächste Generation – und sie ist bereit.»
2026 Montreal, dann Super-WM
Im kommenden Jahr wird die Strassen-WM in Montreal ausgetragen – dort, wo 1974 diese Veranstaltung erstmals ausserhalb Europas stattgefunden hat. Am Rande der Titelkämpfe in Kigali wurden die Strecken für die 13 Medaillenentscheidungen vorgestellt. Während die Strassenrennen erneut in hügeligem Gelände gefahren werden, gilt das Terrain für die Zeitfahren als vergleichsweise flach.
2027 findet im französischen Département Haute-Savoie zum zweiten Mal nach Glasgow 2023 eine Super-WM statt. Bei diesem Grossereignis werden zahlreiche Weltmeisterschaften verschiedener Disziplinen wie Strasse, Bahn, Mountainbike und BMX unter einem Dach vereint.
Auch die darauffolgenden vier Austragungsorte der Strassen-WM sind bekannt. 2028 wird Abu Dhabi Gastgeber sein, gefolgt von Kopenhagen (2029), Brüssel (2030) und der italienischen Region Trentino (2031).
Nach der WM ist vor der EM
Eine grosse Verschnaufpause gibt es nach der WM in Ruanda nicht. Mit den Europameisterschaften in Südfrankreich geht die Medaillenjagd bereits diese Woche in die nächste Runde. Am Mittwoch fallen in der Region Drôme-Ardèche rund um Valence in den Zeitfahren die ersten Entscheidungen. Als Weltmeister sind Reusser und Evenepoel in der Favoritenrolle. Aufgrund des deutlich flacheren Profils dürfen sich bei den Männern auch Stefan Küng, Europameister 2020 und 2021, und Stefan Bissegger, Europameister 2022, Medaillenchancen ausrechnen.
In den Strassenrennen am Wochenende hat das Schweizer Team eine Scharte auszuwetzen. Seit die EM-Trikots 2016 erstmals vergeben worden sind, hat es weder eine Schweizerin noch ein Schweizer aufs Podest geschafft. Gut, dass mit Reusser, Chabbey und Rüegg bei den Frauen sowie Hirschi, Schmid und Jan Christen bei den Männern die potenziell stärksten Schweizer WM-Teilnehmer auch für die EM aufgeboten sind. (nih/sda)