Eigentlich könnte sie mittendrin sein. Sie könnte eine der Athletinnen und Athleten sein, die an diesem freudigen Anlass über ihre Träume und Ziele sprechen. Sie könnte erzählen, warum sie davon träumt, eine Olympiamedaille zu gewinnen. Oder wie sie sich auf die Heim-WM im Mountainbike freut, die in diesem Jahr in Crans-Montana stattfindet, wo sie wohl bei den Juniorinnen gestartet wäre. Doch Muriel Furrer fehlt.
Es ist der offizielle Medienanlass von Swiss Cycling im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles. Für Muriel Furrer wären diese Spiele wohl noch zu früh gekommen, sie träumte aber von den Spielen 2032 in Brisbane. «Olympia war ihr grosser Traum», erzählt ihre ehemalige Trainerin Kathrin Stirnemann.
Doch dann kam die Heim-Strassen-Weltmeisterschaft, Muriel Furrer fuhr bei den Juniorinnen mit. Sie stürzte in einer Linkskurve, lag danach wohl rund eine Stunde unbemerkt und schwer verletzt im Wald, bevor sie von einem Angehörigen der Streckensicherheit entdeckt wurde. Am Tag darauf erlag Muriel Furrer den Folgen ihrer schweren Verletzungen. So endeten auch die Träume von einer vielversprechenden Karriere.
Furrer als grosses Talent auf dem Mountainbike war eine von Stirnemanns Schützlingen, die bis letztes Jahr den Nachwuchs betreute und neu die Elitetrainerin der Mountainbikerinnen ist. An der Strassen-WM war sie als Co-Trainerin der U19-Frauen im Auto von Swiss Cycling mit dabei. Stirnemann war es auch, die einen besorgten Anruf vom Vater erhielt, nachdem dieser bemerkt hatte, dass seine Tochter im Rennen nicht an ihm vorbeigekommen war.
Noch immer ist der tragische Unfall präsent in Kathrin Stirnemanns Alltag. Mit Tränen in den Augen sagt sie: «Es ist auch heute noch nicht einfach, zu akzeptieren, was passiert ist. Das Geschehene ist hart und etwas, womit wir leben müssen. Es wird immer schwierig bleiben.»
Viele ihrer anderen Schützlinge waren gute Freundinnen von Muriel Furrer und hatten mit der Situation gerungen. «Athletinnen hatten im letzten halben Jahr damit zu kämpfen, sich zu motivieren und sich für Abfahrten zu überwinden», erzählt die Trainerin. Zudem hätten sich manche Fahrerinnen dazu entschieden, vorerst keine Strassenrennen mehr zu fahren und stattdessen ganz auf das Mountainbike umzusteigen.
Im Trainingsalltag versucht Stirnemann, ihnen den nötigen Raum zu geben, wenn sie sich nicht bereit fühlen, irgendwo zu fahren. «Es ist wichtig, dass man den Athletinnen, die Überwindung brauchen, diesen Raum gibt. Sie dürfen auch mal sagen: ‹Ich fahre hier nicht runter.› Das ist über den Winter auch vorgekommen.»
Ebenfalls einer der Trainer an der Heim-WM in Zürich war der U19-Nationaltrainer und Bahnrad-Nationaltrainer Tristan Marguet. Bisher wollte er sich nie öffentlich äussern. Nun erzählt er, dass er einen Moment gebraucht habe, um das zu verarbeiten. Auch bei ihm im Alltag ist der Unfall von Muriel Furrer präsent. «Ich hatte zu Beginn grossen Respekt, wieder Strassentrainings mit den Juniorinnen durchzuführen», so Marguet.
Durch den Vorfall sei er vorsichtiger geworden. «Ich habe mehr Respekt als früher», sagt Marguet. Im Training sagt er den Fahrerinnen jeweils: «Geht keine Risiken ein.» Seit dem Unfall achte er zudem noch mehr darauf, Strecken auszuwählen, die weniger stark befahren sind.
Nach dem Unfall wurde viel darüber diskutiert, wie es sein konnte, dass Muriel Furrer nach ihrem Sturz so lange nicht gefunden wurde. Marguet sagt nun: «Wir sind viel vorsichtiger geworden und können leider nicht mehr ändern, was passiert ist.» Nun sei die Sicherheit aber erhöht worden.
Auch Kathrin Stirnemann fragt sich manchmal: «Was wäre gewesen, wenn man sie früher gefunden hätte?» In den Medien wurde teilweise auch die Schuldfrage gestellt. Damit kann Stirnemann wenig anfangen. Sie sagt: «Es wurde auch viel Müll geschrieben.» Sie mache weder sich selber noch sonst jemandem Vorwürfe. «Es ist unendlich traurig, aber es kann niemand etwas dafür. Es war ein tragischer Unfall, und leider ist sie jetzt nicht mehr hier.»
Und so bleibt von Muriel Furrer im Schweizer Radsport vor allem die Erinnerung. «Im Training denke ich manchmal: In diesem Grüppchen wäre sie jetzt auch mit dabei», sagt Stirnemann. Es sind Gedanken, die im Schweizer Radsport noch in vielen Situationen mitschwingen können. (aargauerzeitung.ch)