Als der Verband Swiss Cycling vor einem Jahr zu einem Medientreffen lud, kamen viele Athlet:innen mit dem Velo dorthin. Gino Mäder kam mit Pello. Mit seinem Hund.
Der Mischling war in Spanien auf der Strasse gefunden worden, er wäre dort getötet worden. Durch eine Tierschutzorganisation kam er zu Mäder und wurde von ihm nach seinem Teamkollegen Pello Bilbao getauft.
Es ist nur eine von vielen Anekdoten, die aus Gino Mäder einen etwas anderen Profisportler machten. Er wirkte nicht nur oft nachdenklich, er war es auch. Bevor er sich eine Antwort zurechtlegte, nahm er sich einen Moment Zeit, um diese gut zu formulieren. Er las viel und galt als ein Sportler, der über den Tellerrand hinausblickte.
Zum Radsport kam Mäder durch die Familie – und Profi wurde er, weil diese Familie nicht mehr war, was sie einmal war. Als der Vater dem 16-Jährigen eröffnete, dass er sich von der Mutter trennen und ausziehen werde, fasste der Jugendliche einen Plan. Er wollte Profi werden, weil er hoffte, dass seine Eltern dann gemeinsam am Streckenrand stehen.
Gino Mäder schaffte es tatsächlich, das Velofahren zu seinem Beruf zu machen. Schon als Junior feierte er Erfolge, gewann Medaillen auf der Bahn, holte wertvolle Resultate auf der Strasse. Als Marc Hirschi 2018 in Innsbruck U23-Weltmeister wurde, hatte Teamkollege Mäder einen grossen Anteil daran; er selber wurde Vierter.
An einem regnerischen Donnerstag im Mai 2021 schlug Mäder erstmals im ganz grossen Stil zu. Am Giro d'Italia setzte er sich bei einer Bergankunft von seinen Gefährten in einer Fluchtgruppe ab, wehrte sich gegen die heranstürmenden Gesamtersten und feierte einen Solosieg.
Genau einen Monat später triumphierte er bei der Königsetappe der Tour de Suisse. Gino Mäder war eine der grossen Zukunftshoffnungen des Schweizer Radsports. Wahrscheinlich hatte das Land seit den Zeiten von Tony Rominger und Alex Zülle keinen so talentierten Rundfahrer mehr.
Im Herbst des gleichen Jahres liess er dieses Talent ein erstes Mal bei einer dreiwöchigen Rundfahrt aufblitzen. An der Vuelta in Spanien wurde er Gesamtfünfter und er entschied die Nachwuchswertung für sich. Gleichzeitig sorgte Mäder dabei auch mit einer anderen Aktion für Aufsehen – einer Aktion, die für ihn typisch war.
Vor der Spanien-Rundfahrt hatte Mäder angekündigt, Geld für einen wohltätigen Zweck zu sammeln. Er spendete auf jeder Etappe einen Euro pro Fahrer, den er hinter sich liess. Nach 21 Renntagen überwies er 4500 Euro an eine Organisation, die in Afrika den Saharastreifen begrünt. «Die gepflanzten Bäume sollen helfen, die Erderwärmung zu reduzieren und den Klimawandel aufzuhalten», sagte Mäder.
Das war neben dem Radsport das andere Thema, mit dem er sich stark beschäftigte. Mäder musste dabei auch den Widerspruch aushalten, dass sein ökologischer Fussabdruck als Veloprofi bedingt durch die vielen Reisen gross war. «Für ein einziges Rennen bin ich nach Japan an die Olympischen Spiele geflogen. Das gibt mir ein schlechtes Gewissen», gab er zu. Er versuche, sich gut zu informieren und zu verstehen, was er beitragen könne. Eine Konsequenz, die er zog, war, dass er Vegetarier wurde.
Mit Gesamtrang 5 bei Paris–Nizza in diesem Frühling zeigte Mäder ein weiteres Mal, über welches Potenzial er verfügte. Vor der Tour de Suisse tappte er im Ungewissen, was seinen Formstand betraf. Er hatte sich für den Giro d'Italia vorbereitet, doch wegen einer Corona-Erkrankung konnte er in Italien nicht antreten. Mit guten Leistungen an der Schweizer Landesrundfahrt hätte er sich vielleicht für einen Start an der Tour de France aufdrängen können.
Daraus wird nichts. In einer Kurve auf der Abfahrt des Albulapasses stürzte Gino Mäder schwer. Einen Tag nach dem Unfall hörte sein Herz auf zu schlagen. Er wurde 26 Jahre alt.
Nachdem ich diesen Text gelesen habe, sind meine Augen von Tränen gefüllt. Denn, es ist noch viel trauriger wenn man etwas Einblick in das Leben des Menschen erhält, der gehen "musste"..
R.I.P Gino Mäder. Viel Kraft der Familie und seinen Freunden in dieser brutalen Zeit...