«Ich habe Neuigkeiten für dich», sagt Stephen Barrett, Trainer von AG2R Citroën Team, zu seinem Fahrer Ben O’Connor. Das Team bereitet sich in einem Trainingslager in Tignes auf die Tour de France 2023 vor, O’Connor ist soeben vom Rad gestiegen. «Es geht um Gino.» O’Connor: «Ist er?» «Ja.» O’Connor sackt in sich zusammen und sagt: «Er war so ein guter Kerl.» Es ist der 16. Juni 2023, der Todestag von Gino Mäder. An der Tour de Suisse ist er am Vortag fürchterlich gestürzt, später erliegt er mit nur 26 Jahren seinen Verletzungen.
Die Szene stammt aus der Netflix-Erfolgsserie «Tour de France – im Hauptfeld». In der zweiten Staffel nimmt Mäder dort eine Hauptrolle ein. In der ersten Episode erhält O’Connor, ein guter Freund von Gino Mäder, die Todesnachricht, später wird Tourdirektor Christian Prudhomme gezeigt, der verkündet, dass Mäders eigentliche Startnummer nicht vergeben wird – und zu einer Schweigeminute lädt. Die vierte Episode heisst «For Gino». Sie handelt davon, wie seine Teamkollegen bei Bahrain Victorious den Todesfall verarbeiten. Gino Mäder hätte 2023 zum ersten Mal überhaupt an der Tour de France starten sollen.
«Sein Tod war ein Schock», erzählt O’Connor in der Serie. «Er hat uns klargemacht, wie verletzlich wir alle sind.» Julian Alaphilippe ergänzt: «Wir wissen, der Sport ist gefährlich. Manchmal muss man Risiken eingehen, wenn man mitfahren will, wenn man dabei sein will, im Kampf um die grossen Siege.»
Die Netflix-Serie zeigt die Zerrissenheit in jener Zeit im Radzirkus. Mit der Tour de France steht die grösste Rundfahrt der Welt auf dem Programm. Risiken einzugehen, gehört dabei dazu. Gleichzeitig aber hat der Tod des guten Abfahrers Mäder gezeigt, wie gross die Gefahr ist – und dass es jeden treffen kann. Sein Teamkollege Matej Mohoric sagt: «Wir hatten eine harte Zeit nach der Tour de Suisse. Aber es hat uns zusammengeschweisst und uns entschlossener gemacht.»
Wie beliebt Mäder innerhalb seines Teams war, wird in der vierten Episode deutlich. Pello Bilbao gewinnt für Bahrain eine Etappe. «Es kamen so viele Emotionen hoch», erzählt Mohoric. «Wir hatten nicht nur einen Etappensieg zu Ehren von Gino geholt, sondern der Sieger war auch ausgerechnet Pello. Pello und Gino standen sich sehr nahe. Ich hoffe, er ist stolz, wenn er uns aus dem Himmel zuschaut.» Im Siegerinterview sagt Bilbao: «Ich habe mich daran erinnert, warum wir diesen Sieg wollten. Für einen besonderen Menschen. Für Gino.» Bei der Siegerehrung zeigt sein Zeigefinger in den Himmel.
Gino Mäders Mutter Sandra hat die Serie auch eingeschaltet. Gleich zweimal schaut sie sich die Szene an, wie O’Connor die Todesnachricht über ihren Sohn erhält. Sie ist berührt.
Später, als sie selber kurz zu sehen ist, wie sie den Schweizer Topfahrer Stefan Küng am Todestag von Gino Mäder umarmt, erschrickt sie. Erinnerungen kommen hoch. Sie schaltet kurz aus, einige Minuten später schaut sie weiter. Die Folge, die Gino direkt gewidmet ist, ist ihr dann aber zu viel.
«Vielleicht werde ich mir irgendwann alles anschauen können», sagt Sandra Mäder. Dass die Serie den Todesfall von Gino Mäder thematisiert, findet sie gut. «Der Tod gehört zum Leben dazu. Und auch zum Radsport», sagt sie. «Ich finde es deshalb wichtig, dass man auch solche Aspekte des Radsports zeigt. Es ist ein riesiges Spektakel, bei dem man sterben kann. Eine solche Dokumentation darf die Gefährlichkeit dieser Sportart auch aufzeigen.»
(aargauerzeitung)