Sie galt als eine der Favoritinnen auf den Titel im Zeitfahren an der Rad-WM. Nach der ersten Zwischenzeit gab Marlen Reusser dann aber überraschend auf. Über die Gründe war zunächst nichts bekannt, nun hat die 31-jährige Bernerin gegenüber SRF Stellung bezogen.
«Ich wollte in diesem Moment aufgeben», sagte Reusser einige Stunden nach dem Rennen. Es habe kein mechanisches Problem gegeben, sie habe aber den Hunger nicht gespürt, erneut an ihr Limit oder gar darüber hinauszugehen. «Als der Moment kam, in dem ich hätte anziehen sollen, hatte ich keinen Bock», so die Olympia-Zweite von Tokio. Das fehlende Feuer habe Reusser bereits seit einigen Wochen gespürt. «Nach der Tour de Suisse bin ich etwas in ein Loch gefallen, weil ich keine Pause hatte, um auch mal aufzuatmen.»
Die Rundfahrt in der Heimat hatte Reusser gewonnen, auch an der Tour de France glänzte sie mit starken Leistungen. Das Zeitfahren entschied sie für sich und als Helferin unterstützte sie Teamkollegin Demi Vollering beim Gesamtgewinn. «Vielleicht hätte ich schon früher aussetzen sollen. Ich habe mich dann aber versucht zusammenzuraffen – wegen meiner Sponsoren, meines Teams, Swiss Cycling und natürlich auch wegen meiner guten Form. An der Tour de France hat das ja gut geklappt, jetzt habe ich aber gemerkt, dass es zu weit gegangen ist.» Nun brauche sie Zeit, um etwas anderes zu machen und wieder etwas Hunger zu bekommen.
Dass sie mental erschöpft ist, liegt auch an der schwierigen letzten Saison, in der sie lange mit Krankheiten und Verletzungen zu kämpfen hatte, wodurch die ohnehin kurze Pause zwischen zwei Saisons für sie ganz wegfiel. «Ich fahre mit viel Leidenschaft, richte mein ganzes Leben danach aus und bin mit viel Enthusiasmus dabei. Aber das kostet auch Energie.» Als sie nun während des Rennens gemerkt habe, dass sie nicht bereit dafür sei und dies gar nicht fahren wolle, «habe ich einfach angehalten».
Dass dies bei einigen für Unverständnis sorgen könnte, verstehe sie, «ich war ja selbst von mir überrascht». Das Wichtigste sei aber, dass es für sie stimme und sie mit der Entscheidung leben könne. Trotzdem ist es ihr wichtig, ihre Beweggründe mitzuteilen, da auch Spitzensportlerinnen nicht immer in einer Glanzwelt leben. «Ich weiss, dass ich privilegiert bin, und vielleicht sagen jetzt einig, dass ich eine Jammertante bin, aber ich bin keine Maschine. Ich kann nicht immer Lust haben aufs Velofahren.»
Dennoch ist Reusser überzeugt, dass die Lust und der Hunger zurückkommen werden, wenn sie sich die Zeit gibt, um sich zu erholen. «Ich will mehr auf mich und meinen Körper hören, dann bin ich sicher, dass ich wieder Velofahren will und auch schnell Velofahren werden.» Wann dies sein werde, wisse sie derzeit nicht. Auch nicht, ob die WM für sie mit dem heutigen Rennen beendet ist. «Erst einmal etwas essen und ein bisschen schlafen, dann sehe ich weiter.» (nik)
Wäre cool, wenn sie sich für das Strassenrennen aufraffen könnte. Der Kurs wäre was für sie. Go Marlen!