Carlos Alcaraz ist Titelverteidiger in Wimbledon. Kürzlich gewann der erst 21-Jährige in Roland Garros. Der Spanier ist nun der jüngste Spieler der Geschichte, der auf Hartplatz, auf Rasen und auf Sand - und damit auf drei verschiedenen Unterlagen - ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat.
Der Mann des letzten Halbjahres aber heisst Jannik Sinner. Anfang Jahr hatte der Italiener die Australian Open gewonnen. Und vor drei Wochen löste der 22-Jährige Novak Djokovic an der Spitze der Weltrangliste ab.
Und doch dreht sich im Männertennis generell und in den letzten Wochen im Speziellen vieles, wenn auch nicht mehr alles um Novak Djokovic. 37-jährig ist der 24-fache Grand-Slam-Sieger, der Serbe führte während 428 Wochen das Ranking an. Djokovic ist damit der erfolgreichste männliche Tennisspieler der Dekade, der Geschichte, aber nicht mehr der Gegenwart.
Seit knapp acht Monaten wartet Djokovic schon auf einen Turniersieg, 2024 stand er noch nicht einmal in einem Final. Letztmals hatte es das vor 18 Jahren gegeben. Galt der Serbe lange als vom Erfolg besessen, ja von Ehrgeiz zerfressen, sagte er zuletzt, es gebe Wichtigeres als Tennis.
Die Gesundheit zum Beispiel. Bei den French Open hatte sich der Serbe vor seinem Viertelfinal zurückgezogen und sich danach in Paris operieren lassen. Grund dafür war ein Anriss des Meniskus im rechten Knie. Schon zuvor habe er mit der «maximalen Dosis» Schmerzmitteln gespielt.
Dass Djokovic nun, nur rund drei Wochen später, bereits wieder auf dem Platz steht und in Wimbledon seinen achten Titel anstrebt, bezeichnen die einen als «Wunderheilung». Andere wiederum unterstellen ihm, er habe nicht nur die Verletzung, sondern auch noch die Operation vorgetäuscht.
In die Welt gesetzt hat dieses Gerücht ein serbisches Nachrichtenportal von höchst zweifelhaftem Ruf. Es erzählt die Geschichte, wonach Bozidar Maljkovic, der Präsident des serbischen Olympia-Komitees, einen Onkel Djokovics angerufen habe. Dieser habe ihm beschieden, der Tennisspieler sei gar nicht operiert worden. Und wie es so ist mit Erzählungen – mit jeder Übersetzung, mit jeder Weitergabe wurde sie weniger hinterfragt.
Alles nur ein böser Schwindel also? Nein. Eine verheerende Verkettung von Fehlern, von Fehlschlüssen und Interpretationen von Halbwahrheiten. Novak Djokovic ist in dieser Geschichte das Opfer seiner Prominenz.
Denn der Bericht, der auf dem vermeintlichen Telefonat Maljkovics mit Djokovics Onkel Goran beruht, ist am Tag vor der Operation erschienen. Die Aussage ist damit zwar nicht falsch, aber aus dem Kontext gerissen.
Tatsache ist: Djokovic reiste bereits Anfang Woche nach London, trainierte zwei Mal mit tieferer Intensität und spielte am Donnerstag, am Tag vor der Auslosung, anderthalb Trainingssätze mit Jannik Sinner. Danach sagte der 37-Jährige, einer Wimbledon-Teilnahme stehe nichts im Weg. Am Dienstag trifft Djokovic auf den tschechischen Qualifikanten Vit Kopriva (ATP 123).
Ungeachtet der enttäuschenden Resultate in diesem Jahr tut Djokovic das wohl mit unverändert grossen Ambitionen. «Für viele mag das arrogant klingen. Aber alles andere als der Turniersieg wäre nicht befriedigend für mich», hatte er vor den French Open gesagt. Ein Turnier, das er «nur» drei Mal gewonnen hat. In Wimbledon steht Djokovic bereits bei sieben Siegen.
Im letzten Jahr erlitt er dort im Final gegen den Spanier Carlos Alcaraz die erste Niederlage seit 2015, die erste auf dem Centre Court seit zehn Jahren (!) und dem Final 2013 gegen Andy Murray. Gegenüber dem britischen TV-Sender BBC sagte Djokovic: «Ich trete nur dann an, wenn ich weiss, dass ich mein bestes Tennis spielen und um den Titel kämpfen kann.»
Gewinnt Novak Djokovic zum achten Mal in Wimbledon, zieht er mit dem bisherigen Rekordsieger bei den Männern gleich – aktuell heisst dieser Roger Federer. Das wäre zwar noch kein Wunder, angesichts der Umstände im Vorfeld des Turniers aber eine bemerkenswerte Leistung. Einmal mehr.