Lieber Roger
Ich hoffe, es ist okay, dass ich dich duze. Ich habe ja den allergrössten Respekt vor dir. Gleichzeitig fühle ich mich dir so verbunden, so persönlich nahe, dass es schon komisch wäre, wenn ich dich siezen würde.
Also, lieber Roger, ich habe gerade deine Doku «Federer: Twelve Final Days» gesehen. Sie zeigt die Tage kurz vor und nach deinem Rücktritt, aber auch die Jahrzehnte davor, wie du auf dem Tennisplatz standest und dein magisches Spiel vorführtest. Wie krass deine Verletzung 2016 war – und wie unfassbar deine Rückkehr, wie kolossal dein Australian-Open-Triumph 2017.
Es ist wohltuend, dich wieder im Tennis-Trikot zu sehen. Wir sehen dich aber auch mit deiner Frau Mirka – die quasi erstmals ihr Schweigen bricht –, wie vertraut ihr euch seid, wie du mit deinen Kindern kuschelst. Und wie du mit deinen Emotionen rund um deinen Abschied haderst und dir genau überlegst, wie du die Nachricht deinen Fans übermitteln kannst, damit sie dich verstehen. Wie du mit deinen einstigen Rivalen plauderst und mit ihnen weinst. Die Doku bringt uns den Roger zurück, den wir seither kaum gesehen haben.
Dabei leide ich doch seit deinem Rücktritt unter Herzschmerz.
Roger, du hast das Tennis in mein Leben gebracht. Dank dir habe ich als Teenie mit dieser wunderbaren Sportart angefangen, dank dir spiele ich heute alle Jahre Interclub (2. Liga, R8-Klassierung, aber es ist der Spass, der zählt). Wegen dir habe ich über 20 Jahre lang Emotionen erlebt, die ich sonst im Sport nur annähernd so durchmache, wenn die Schweiz im Penalty-Schiessen gegen Frankreich gewinnt. Wegen dir, Roger, habe ich als 11-jähriges Mädchen nachts den Wecker gestellt, damit ich keine Sekunde deines US-Open-Finals verpasse. Ich lernte, was «poetry in motion» bedeutete. Und wegen dir steckt noch heute ein Stachel in meinem Herz, weil du damals, 2008 und 2019, so brutal den Wimbledon-Final verloren hast.
Und dann dieser Abschied vom Profisport! Ich hatte Tränen in den Augen, habe deine Emotionen gespürt, als würde ich mich selbst von meiner eigenen Karriere und gleichzeitig von einem guten Freund verabschieden. Da waren Trauer, Freude, Respekt, Dankbarkeit, Liebe und Freundschaft dabei. Es war bittersüss.
Doch danach passierte es. Langsam, aber stetig höhlte der Tropfen des Argwohns. Zu Beginn verteidigte ich dich noch vehement. Ich hielt gegen die Kommentare auf der Redaktion, die dich schlechtreden und die deine aussergewöhnliche Karriere so schnell wieder vergessen machen wollten. Der Fedi, der muss und schuldet uns gar nichts, sagte ich jeweils. Er wird auch immer der GOAT sein, egal, was Djokovic noch alles erreicht. Weil nicht nur Tennis-stilistisch, sondern vor allem menschlich, kein anderer Spieler nur annähernd an dich, Roger, herankommen wird.
Dann sah ich Bilder von dir an der Met Gala in New York, dessen Co-Gastgeber du 2023 warst. Du standst da, zwischen all den Stars und Milliardären, und schautest lässig durch deine Sonnenbrille in die Kamera. Das gab es früher auch schon, ich weiss. Aber damals sah ich dich wenige Tage später wieder auf dem Court, in Tenniskleidung, pur und nur mit deinem Racket und deiner Grazie.
Dann kamen die Oscars in diesem Jahr. Und du, Roger, wieder mittendrin und mit Sonnenbrille, unterschiedest dich kaum noch von der glitzernden Beverly-Hills-High-Society auf dem roten Teppich. Man kann sich dich vorstellen, wie du dich mit deiner guten Freundin Anna Wintour, und vielleicht sogar mit den Kim Kardashians dieser Welt, ohne Probleme verstehst. Ihr sprecht dieselbe Sprache, aber es nicht mehr meine Sprache, die von uns Normalos.
Immer wieder lesen wir zudem von deinem riesigen Haus, das den Nachbarn Probleme bereitet. Weil das Bootshaus noch hinmuss, oder dir dein Garten zu klein ist, oder was weiss ich. Kritik an den Geschäften der Credit Suisse liessest du unkommentiert. Bis zuletzt warst du aber Werbebotschafter der Grossbank, die wenige Monate nach deinem Rücktritt ihr Ende erleben musste. Und die über die Jahre immer wieder mit Schmutzgeschäften Schlagzeilen machte – unter anderem auf dem Kontinent, den du mit deiner Stiftung seit zwanzig Jahren unterstützt und dessen Entwicklung dir am Herzen liegt.
Manchmal wirkst du auf mich wie ein Freund, der sich verändert hat. Der jetzt zu den Coolen gehört und der die gemeinsamen Witze und Insider nicht mehr so lustig findet. Weil jetzt eben anderes wichtiger ist. Und du mit uns aber nicht über dieses «andere» reden willst. Du trittst immer mal gerne an Veranstaltungen in der Öffentlichkeit auf. Aber was die Öffentlichkeit bewegt – vielleicht mal das Klima, vielleicht mal die Gleichstellung der Geschlechter, oder der Krieg in der Ukraine –, darüber schweigst du.
Deine Unterstützung für die Firma On, in die du schon länger investiert hast, ist unerschütterlich. Obwohl sie immer wieder Furore macht, mit extrem hohen Margen und tiefen Produktionskosten, obwohl sich die Gründer ein Millionensalär auszahlen und sich an der Wall Street feiern lassen. Obwohl du eine Firma hättest unterstützen können, die nicht auf ungezügelten Kapitalismus, sondern vielleicht auf Nachhaltigkeit und Fairness setzt. Aber auch die Causa On liessest du unkommentiert.
Klar, du hast immer auch lustige Auftritte, bei denen du plauderst, zum Beispiel mit Trevor Noah, bei dem du in der Show warst, mit dem du aber auch zeitgleich eine Werbung für Schweiz Tourismus am Start hattest. Am College Dartmouth in den USA hieltest du vor Kurzem eine tolle Rede, dabei ging es um Abschied und Neuanfang. Vielleicht ist es Zufall, aber wenige Tage danach erscheint deine Doku – zum Thema Abschied und Neuanfang.
Vieles wirkt heute bei dir so orchestriert, so durchdacht. Nicht so wie damals, als du hemmungslos auf dem Platz losweintest und so einer Generation von Männern die Angst vor dem Gefühlsausbruch nahmst. Oder als du mit Rafa, deinem grössten Rivalen und besten Freund auf der Tour, vor der Kamera spontan in Gelächter ausbrachst.
Roger, deine Doku «Twelve Final Days» ist bittersüss. Süss, weil sie dich als einzigartigen Tennisspieler und mit dir wunderschöne Erinnerungen zurückbringt. Weil sie deine Menschlichkeit, deinen Witz, deinen Charme zeigt. Bitter, weil diese gemeinsame Zeit – du auf dem Platz, ich vor der Glotze – vergangen ist und du für mich heute einfach der berühmte Mann mit der krassen Hütte, dem Business-Plan und dem etwas zu coolen Look bist.
Lieber Roger, auch du bist nur ein Mensch, du schuldest uns nichts, du kannst machen, was du willst, kannst werben, für wen du willst, und die teuersten Kleider und Sonnenbrillen tragen. Ich trage derweil unsere gemeinsame Zeit im Herzen und arbeite weiter tapfer daran, den seelischen Schmerz zu überwinden. Über deinen Abgang vom Tennis. Und deinen Abschied vom gottgleichen Ideal, das du einmal für mich warst.
Die Doku «Federer: Twelve Final Days» gibt es ab Donnerstag, 20. Juni 2024, auf Amazon Prime zu sehen.
Daher....
Das diese Doku anfänglich nur für private Zwecke gedreht wurde, mögen unverbesserlich naivlinge glauben. Ich denke es ist knallhartes Marketing