Alexis Pinturault, der Gewinner der grossen Kristallkugel im Frühling 2021, hat die Abfahrt zu seinem neuen Ziel gemacht. In Beaver Creek, auf der gefürchteten «Birds of Prey»-Piste, wird er an diesem Wochenende die Spezialisten der Königsdisziplin um Weltmeister Marco Odermatt herausfordern.
Auch wenn er in naher Zukunft in der Abfahrt glänzen will, bleibt Pinturault klar. Er sieht seine erste volle Saison in dieser Disziplin als eine neue Herausforderung, die es anzugehen gilt, und er startet vor allem in einen Dreijahreszyklus, der ihn bis zu den Olympischen Spielen 2026 in Mailand-Cortina führen soll.
Der Franzose ist der einzige Skifahrer, der in sechs Disziplinen gewonnen hat (Slalom, Riesenslalom, Super-G, Kombination, City Event und Parallel), und er möchte bis zum Ende seiner Karriere auch noch einen Abfahrtssieg erringen. Damit würde er mit Mikaela Shiffrin gleichziehen, aber vor allem würde er sich in die Reihe der fünf männlichen Skifahrer (Marc Girardelli, Pirmin Zurbriggen, Günther Mader, Kjetil-André Aamodt und Bode Miller) einreihen, die in jedem der traditionellen Weltcup-Rennen – Slalom, Riesenslalom, Super-G, Abfahrt und Kombination – mindestens einen Sieg errungen haben.
Die Herausforderung ist gross, aber Alexis Pinturault setzt alles daran, sie zu meistern. Der Athlet aus Courchevel hat seine Entscheidung nicht aus einer Laune heraus getroffen. Er hatte seit zwei Jahren darüber nachgedacht und sich viel mit seinen Coaches und seinem Umfeld ausgetauscht.
Um sicherzugehen, dass er die richtige Wahl trifft, sprach Pinturault auch mit einem der besten Abfahrer in der Geschichte des Skisports. Der Neuenburger Didier Cuche gewann 2007, 2008, 2010 und 2011 die kleine Abfahrtskugel und ist wie er von eher kleiner Statur.
«Ich hatte viele Fragen in Bezug auf mein Gewicht und meine Grösse. Didier Cuche war einer der grössten Abfahrer in der Geschichte unseres Sports und er hat mir viele Antworten gegeben. Er hat nicht versucht, mich zu überzeugen, sondern er hat sich in die Debatte und in die Diskussion eingebracht», schildert Pinturault. «Letztendlich ist es ziemlich natürlich, von den technischen Disziplinen zu den Speed-Disziplinen zu wechseln. Viele Athleten sind vom Slalom, Riesenslalom zum Super-G und zur Abfahrt gewechselt.»
Alexis Pinturault war schon immer von der Königsdisziplin des alpinen Skisports angezogen, ja sogar fasziniert. Aber er suchte nach Antworten, um herauszufinden, ob er nicht «verrückt» ist, wie er in der Dokumenation «Pinturault: le goût du risque» sagt. Der Weltmeister in der Kombination hat sich seit Ende der letzten Saison mit neuen Trainern umgeben, um alle Chancen auf seiner Seite zu haben. So wurde Martin Sprenger zum Referenztrainer für die persönliche Zelle von Alexis Pinturault.
Im österreichischen Verband war Sprenger für mehrere Speed-Spezialisten zuständig, die sich auch im Riesenslalom wohlfühlen. «Wir sind am Ende der Saison alle zusammen zum Training gegangen, die alten und die neuen Trainer. Das war, um eine gewisse Form der Übergabe zu machen. Das hat dem Übergang viel Sinn und einen gewissen Fluss verliehen.»
Seinen Sommer verbrachte «Pintu» im Kraftraum. Dort arbeitete er an seinen Defiziten, vor allem an den Hüften, die in der Position, in der er nach Geschwindigkeit sucht, eine wichtige Rolle spielen und für die Stabilisierung des Körpers unerlässlich sind. In dem Dokumentarfilm, den «L'Equipe» ihm widmet, sieht man, wie er sich körperlich vorbereitet, um die Sprünge und die Unebenheiten der Piste zu verkraften. Pinturault spricht vom Bild eines Panzers, einer Hülle, die ihn vor Schlägen, Landungen und Stürzen schützen soll. Sein Betreuer, der Österreicher Martin Hager, wollte aus ihm einen echten «Panzer» machen.
Während seiner Sommervorbereitung legte Pinturault fast 4 Kilo Muskelmasse zu. Die Waage schwankt nun um die Zahl 88, damit ist er leichter als seine Hauptkonkurrenten, wie er weiss. «Das Durchschnittsgewicht liegt bei den Abfahrern bei 95 Kilogramm, davon bin ich noch weit entfernt.»
Dennoch strebt der Franzose keine radikale Veränderung an, denn auch wenn er nicht mehr im Slalom startet, möchte er seine Fähigkeiten im Riesenslalom behalten und muss dafür eine gewisse Explosivität bewahren, die er mit einem «schwereren» Profil verlieren würde. Eine komplexe Situation, denn wie er «Eurosport» nach Tests in Zermatt anvertraute, gleitet er zwar gut, er hat aber im Vergleich zu den «Grossen» immer noch Defizite.
Der Skifahrer ist sich bewusst, dass er die Gesetze der Physik nicht überlisten kann. Er weiss aber, dass er an anderer Stelle seine Stärken ausspielen kann, insbesondere «auf den technischen und strategischen Abschnitten, wo man so viel Geschwindigkeit wie möglich in die Flachstücke mitnehmen muss». Dieser Meinung ist auch Didier Cuche, der im Dokumentarfilm mehrfach zu Wort kommt.
Pinturault erklärte, dass er sich von einem anderen Schweizer, nämlich Marco Odermatt, inspirieren lässt, dessen Körperbau dem seinen ähnelt. Er wolle seinem Beispiel folgen, «relevante Anhaltspunkte nehmen», die ihm helfen würden, «schneller, weiter, höher» zu werden.