Der argentinische Influencer Valentin «El Scarso» Scarsini entschloss sich Ende Dezember, den «Klub mit der kleinsten Fangemeinde der Welt» grosszumachen, und forderte seine über 250'000 Follower auf, dem FC Balzers auf der Plattform Instagram zu folgen. So nahm das Ganze seinen Lauf: Innerhalb weniger Tage hatte der kleine Verein aus dem Fürstentum Liechtenstein 426'000 Abonnenten auf Instagram – mehr als der grosse FC Basel.
Blickt man ein halbes Jahr später auf den Insta-Account von Balzers, sieht man, dass die Zahl der Abos zwar auf 346'000 gesunken ist, aber damit immer noch um mehr als 50'000 über dem Wert des Schweizer Meisters Basel liegt. Noch immer werden viele Beiträge auf Deutsch und Spanisch veröffentlicht, in den Kommentaren ist die spanische Sprache dominierend. Eines der letzten Bilder zeigt das Team auf Mallorca bei einem gemeinsamen Ausflug an den Ballermann.
Auch Kapitän und Marketingchef Sandro Wolfinger war in der Partymetropole dabei. «Langsam aber sicher bin ich aber ein wenig zu alt für den Ballermann», sagt der 33-Jährige lachend im Gespräch mit watson. Der 70-fache liechtensteinische Nationalspieler musste im letzten Januar spontan eine Woche Urlaub nehmen, um den plötzlichen Rummel rund um den FC Balzers zu bewältigen.
«Es wurde eine Euphorie entfacht. Das ist bei uns im Land manchmal noch recht schwierig, die Leute zu begeistern. Aber in diesem Fall haben wir es mit ‹El Scarso› wirklich geschafft», blickt Wolfinger zurück auf den plötzlichen Wirbel, welcher der FC Balzers auslöste.
Zu Beginn des Hypes gab es viele Anfragen zu Fanartikeln von Balzers, diese seien mittlerweile ein wenig gesunken. «Aber noch immer fragen uns Unternehmen oder Marken für Kooperationen an und es gibt immer noch viele Anfragen für Testspiele», erzählt Wolfinger. Auch für ein internationales Turnier wurde das Team aus der 2. Liga interregional eingeladen. «Es ist ein Turnier mit Amateurvereinen aus ganz Europa. Sozusagen eine eigene Amateur-Champions-League. Wenn wir nicht dieses Jahr teilnehmen, dann im nächsten», erklärt Wolfinger.
Sportlich lief es bei Balzers nach dem Internet-Hype überragend. Acht von neun Ligaspielen wurden zu Beginn der Rückrunde gewonnen und bis zum Schluss durfte der FCB vom Aufstieg träumen. Obwohl sich die Liechtensteiner im letzten Saisonspiel mit 5:0 gegen Chur 97 durchsetzten, verpasste der FCB den Aufstieg aber aufgrund der Strafpunkte. «Es war eine komische und bedrückte Stimmung, du gewinnst so hoch, aber du kannst dich nicht richtig darüber freuen», beschrieb Wolfinger die Gefühlslage.
Auch zeigte sich der Kapitän nicht als grosser Fan der Strafpunkteregel: «Wir hätten auch 20:0 gewinnen können und es hätte nichts gebracht, das ist schon ärgerlich.» Da für die neue Saison einige junge Spieler dazugekommen sind, sei es aus der Sicht des Liechtensteiners okay, nochmals eine Runde in der 2. Liga Interregional zu drehen.
Ein ähnliches Drama spielte sich im Liechtensteiner Cup ab. Gegen den grossen Favoriten Vaduz lag Balzers bis zur 65. Minute mit 2:0 in Führung. Das Team aus der Challenge League drehte den Final allerdings innerhalb von zwölf Minuten. Für den klaren Aussenseiter wäre es der erste Cupsieg seit fast dreissig Jahren gewesen.
«Natürlich wurmte es mich, dass wir diesen grossen Triumph verpassten, einmal von zwanzigmal kommt man wirklich so nah», gestand Wolfinger, fügte aber an: «Trotzdem waren wir sehr stolz, auch dass wir bis zur letzten Sekunde die Chance zum Ausgleich hatten. Es hätte mich mehr genervt, hätten wir gegen ein ebenbürtiges Team so verloren. Schliesslich sind es doch drei Ligaunterschiede zwischen uns und Vaduz.»
Mit «El Scarso» sei man noch immer im Kontakt. «Wir haben ihn angefragt, ob er beim Cupfinal vor Ort sein möchte, aber leider war er dann verhindert. Es wird sicher wieder zu einem Treffen kommen», klärt Wolfinger auf. Für den Argentinier war es im Januar die erste Reise in seinem Leben. Zuvor hatte er sein Heimatland noch nie verlassen. Dass der FCB nach Argentinien reisen wird, für ein Trainingslager oder Testspiel, schliesst Wolfinger aus.
Damit Scarsini damals nach Europa fliegen konnte, wurde der Provinzverein auch von Liechtenstein Marketing unterstützt. «Sie sagten mir, dass sie Scarsini gerne einladen würden. Ich fand das natürlich eine grossartige Idee. Doch es war zeittechnisch ein wenig eng, denn die Reise sollte schon am nächsten Tag für Scarsini starten», erzählte Geschäftsführer Mathias Ulrich gegenüber watson im letzten Januar.
Als ein verspätetes Weihnachtsgeschenk beschrieb Ulrich den plötzlichen Wirbel um den FC Balzers. «Ich denke, rückblickend darf man sagen, dass es ein schöner Moment war und auch eine gewisse Nachhaltigkeit hat für den FC Balzers, aber auch für ganz Liechtenstein.» Auch Ulrich ist weiterhin mit dem Fussballklub im Kontakt und schwärmt davon, dass der Verein immer wieder mit neuen Ideen und Anfragen kommt.
«Zwar bleibt Vaduz im sportlichen Bereich der grösste Klub im Ländle, doch auf der Sympathieseite ist Balzers durch diese Aktion in ein völlig neues Rampenlicht gestossen», sagt der Geschäftsführer von Liechtenstein Marketing, «sie haben das wirklich sehr sympathisch gemacht. Das sind super Botschafter.»
Auch die Bekanntheit des ganzen Landes konnte durch den Erfolg im Internet gemäss Ulrich gesteigert werden. «Durch die ganze Story hat Balzers sicher einen Leuchtturm gesetzt und auch ein halbes Jahr später wird die Geschichte immer noch wahrgenommen. Das zeigt auch, dass sich die ganze Geschichte länger als nur ein paar Tage oder Wochen halten konnte.»
Im touristischen Bereich sei es nicht messbar, wie sehr die Bekanntheit von Balzers eine Rolle spielt. Dennoch ist sich Ulrich sicher, dass die ganze Aktion auch für den Tourismus ein Erfolg sein wird und erinnert sich gerne zurück:
Die Wahrnehmung des Vereins hat auch bei den Gegnern zugenommen. «Wenn wir als Mannschaft an einem Event teilgenommen haben oder bei einem Auswärtsspiel waren, hat man die Leute immer wieder gehört, wie sie über unseren Hype sprachen», sind die Erfahrungen, welche Wolfinger in den letzten Monaten machte. Zwar seien ihm keine Fälle bekannt, dass extra Fans aus Lateinamerika nach Balzers reisten, doch es seien öfter Süd- oder Mittelamerikaner bei den Spielen, welche aber schon hier leben.
Wolfinger hat vor der neuen Spielzeit seinen auslaufenden Vertrag bei Balzers um ein Jahr verlängert und wird auch beim Saisonstart am 20. August das Team als Kapitän auf den Platz führen, wenn die Liechtensteiner im Auswärtsspiel auf Altstätten treffen werden.