Die Superlative scheinen für die Beschreibung von Mikaela Shiffrins Leistungen auszugehen – doch man muss sie vermutlich noch lange bemühen. Schliesslich ist die Amerikanerin erst 22 Jahre alt. Aber was hat sie schon alles gewonnen!
Shiffrin dominiert den Slalom seit Jahren. Doch in dieser Saison hat sie noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht, jenen hin zur Allrounderin:
Der Sieg gestern im Slalom von Kranjska Gora war Shiffrins 40. im Weltcup, womit sie zum legendären Walliser Pirmin Zurbriggen aufgeschlossen hat. Nur fünf Frauen haben noch mehr Rennen gewonnen als Shiffrin, die sich als nächstes Anja Pärson (42 Siege) schnappen wird und – wenn sie in diesem Tempo weitermacht – ebenfalls noch in diesem Winter Renate Götschl (46).
Bis zum Allzeit-Rekord von Ingemark Stenmark (86) ist es indes noch ein viel zu langer Weg, um Prognosen zu stellen. Schlicht deshalb, weil der Skisport (zu) viele Verletzte produziert. Wäre Shiffrins Landsfrau Lindsey Vonn (78) nicht oft schwer verletzt gewesen, hätte sie Stenmarks Rekordmarke wohl schon geknackt. So fehlen ihr dazu noch acht Siege.
Hinzu kommt, dass Mikaela Shiffrin unter Umständen eher früher als später die Lust verlieren könnte: Die deutsche Alles-Gewinnerin Katja Seizinger beendete ihre Laufbahn mit 27 Jahren und die unfassbar gute Petra Kronberger hörte schon mit 23 Jahren auf, weil sie alles gewonnen hatte, was man gewinnen kann. Die Tessinerin Michela Figini ist ein weiteres Beispiel einer Athletin, die Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Gesamtweltcupsiegerin wurde und früh zurücktrat; sie war 24 Jahre jung.
Momentan deutet jedoch nichts darauf hin, dass Shiffrin sich schon bald einmal über mangelnde Motivation beklagen wird. Ihr erster Sieg in einer Abfahrt hat ihr im Gegenteil gezeigt, dass sie auch in den Speed-Disziplinen gewinnen kann – die Ziele gehen der 22-jährigen also nicht so rasch aus.
Das sind schlechte Nachrichten für ihre Konkurrentinnen, besonders für Wendy Holdener. Sie stand gestern zum 14. Mal auf einem Slalom-Podest – zu einem Sieg hat es ihr dabei noch nie gereicht. Aber, und das ist das Gute, es gibt Hoffnung für die zweite Garde, bestehend aus Holdener, Petra Vlhova und Frida Hansdotter. Morgen steht der Nachtslalom in Flachau an und dort wurde Shiffrin in den letzten beiden Jahren jeweils «nur» Dritte. Die Amerikanerin tritt aber selbstredend auch im Salzburgerland als haushohe Favoritin an.
Annemarie Moser-Pröll hält den Rekord für die meisten Siege vor dem 23. Geburtstag, er steht bei 41 Erfolgen. Bis am 13. März hat Shiffrin noch Zeit, diesen Rekord zumindest einzustellen.
Tendenz: Moser-Pröll wird abgelöst.
Vreni Schneider gewann 1988/89 in einer Saison 14 Rennen – mehr als jede andere Frau und jeder andere Mann in einem Winter. Shiffrin hat noch je vier Slaloms und Riesenslaloms, zwei Kombinationen und ein Parallelrennen für fünf Siege. Oder sie gewinnt nochmals ein Speedrennen.
Tendenz: Schneiders Rekord wackelt.
Tina Maze stellte im Winter 2012/2013 einen Rekord auf, den man für nicht zu übertreffen hielt: Sie gewann den Gesamtweltcup mit 2414 Punkten.
Tendenz: 16 Rennen sind vorbei, 23 sind noch ausstehend. Behält Shiffrin ihre Kadenz bei, knackt sie den Rekord, denn sie hat schon über die Hälfte der nötigen Punkte im Sack. Dennoch wird es eng.
Marlies Schild benötigte lange, um Vreni Schneiders Bestmarke mit den meisten Slalomsiegen zu überbieten. Die Österreicherin gewann 35 Mal, Schneider 34 Mal. Shiffrin steht bei 29 Siegen.
Tendenz: Schild, die mittlerweile mit Benjamin Raich verheiratet ist, wird ihren Rekord nächste Saison verlieren.
Den Rekord für den grössten Vorsprung bei einem Slalom-Sieg hält Shiffrin schon seit zwei Jahren, als sie in Aspen sagenhafte 3,07 Sekunden schneller als die zweitplatzierte Veronika Velez-Zuzulova war. Im Riesenslalom – diese Prognose sei gestellt – wird sie den Rekord niemals knacken. Denn der steht seit 1979 bei 5,20 Sekunden. Mit diesem wahnwitzigen Vorsprung siegte die Ostschweizerin Marie-Theres Nadig damals im japanischen Furano vor Annemarie Moser-Pröll.
Wobei für Mikaela Shiffrin das Motto «Nichts ist unmöglich» zu gelten scheint. Der kürzlich zurückgetretene US-Superstar Bode Miller jedenfalls schwärmte zuletzt in den höchsten Tönen von ihr und bezeichnete sie als «besten Skirennfahrer, den ich je gesehen habe, sei es bei den Männern oder bei den Frauen».
Als Shiffrin 2017 in St.Moritz zum dritten Mal in Folge Slalom-Weltmeisterin wurde, meinte sie zur Zukunft befragt bloss: «Es gibt kein Limit.» Eine beunruhigende Vorhersage – für alle anderen. An den Olympischen Spielen in Pyeongchang kann Mikaela Shiffrin in einem Monat wohl in jedem Rennen, zu dem sie startet, eine Medaille gewinnen. Nur ihr Körper kann ihr mit einer Krankheit oder Verletzung einen Strich durch die Rechnung machen. Er ist momentan der grössere Gegner als der Rest der Welt.