Aus Schweizer Sicht war der vergangene Winter fantastisch: Lara Gut-Behrami und Marco Odermatt gewannen den Gesamtweltcup. Aus internationaler Sicht dürfte vor allem Odermatts Dominanz nicht nur bemerkenswert, sondern auch etwas ermüdend gewesen sein.
Da kommt es der Ski-Welt wie gerufen, dass Lucas Braathen sein Comeback gibt. Ein Jahr, nachdem er sich wegen eines Streits mit dem norwegischen Skiverband zurückgezogen hatte, kehrt der Slalom-Künstler mit dem Ruf, ein Paradiesvogel zu sein, zurück. Neu nennt er sich Lucas Pinheiro und neu startet er für Brasilien, die Heimat von Mutter Alessandra.
«Ich bin ein Showman. Wir sind hier, weil es Entertainment ist», sagte Pinheiro am Donnerstag hoch über Sölden, auf dem Gaislachkogl auf 3048 Metern über Meer. «Man ist naiv, wenn man glaubt, dass das Skifahren allein, dieses Umkurven von Toren aus Plastik im Mittelpunkt steht. Was zählt, ist die Story dahinter.»
Wer dies längst begriffen hat, ist sein Hauptsponsor Red Bull. Jeder weiss: Wenn der Energydrink-Hersteller etwas anpackt, dann macht er das richtig. Und so wird bei Pinheiro mit der grossen Kelle angerichtet.
Das Privatteam des Brasilianers umfasst neun Leute. Die «Aargauer Zeitung» erinnerte dabei daran, dass Gut-Behrami, die ebenfalls stets auf eigene Faust trainierte, nie mehr als fünf Personen beschäftigt habe. Im Braathen-Clan werde der Schätzung, wonach sich der Aufwand auf über eine Million Franken im Jahr belaufe, nicht widersprochen.
Braathen, der im Winter 2022/23 die kleine Kristallkugel als bester Slalomfahrer gewann, hat gleich drei Ski-Trainer. Einer davon ist Mike Pircher, der langjährige Erfolgstrainer von Marcel Hirscher. Von Odermatt stiess Kurt Kothbauer, der fürs Konditionstraining zuständig ist, hinzu, und für die Medienarbeit ist das der Brite Charlie Raposo, letzte Saison noch Weltcupfahrer.
Als Manager arbeitet Björn Braathen, der Vater des 24-Jährigen. Auf der Lohnliste stehen zudem eine Physiotherapeutin und ein persönlicher Fotograf. Den Servicemann stellt, wie bei den Stars der Szene üblich, der Hersteller, in diesem Fall die Skimarke Atomic.
«Wir stellen keine Leute ein, um ihnen zu sagen, was sie tun sollen, sondern wir stellen sie ein, damit sie uns sagen, was wir tun sollen», meinte Pinheiro laut der österreichischen Zeitung «Der Standard». Als Ein-Mann-Skiverband muss er sich am Berg oft mit anderen zusammentun, um zu trainieren. Unter anderem war der Rückkehrer auch mit dem Norweger Henrik Kristoffersen auf der Piste. «Er war nicht langsam. Aber ich auch nicht», sagte Kristoffersen, der das Heu mit dem norwegischen Verband schon seit langem nicht auf der gleichen Bühne hat und deshalb ebenfalls solo unterwegs ist.
Lucas Pinheiro will schaffen, was Lucas Braathen schon fünf Mal schaffte: Weltcup-Rennen gewinnen. «Ich stoppe nicht, bevor ich ganz zuoberst bin», kündigt er an. Aber die sportlichen Erfolge sind nur eine Facette. Ihm geht es auch darum, mit seinem Comeback ein Vorbild zu sein. «Ich will allen zeigen und vorleben: ‹Du kannst werden, was immer du willst, egal wer du bist, wie du aussiehst, woher du kommst.›»
Am Sonntag beginnt für Lucas Pinheiro der zweite Teil seiner Karriere. 2020 gewann er in Sölden erstmals überhaupt auf höchster Stufe. Noch dürfte der Sieg ausser Reichweite liegen, schliesslich muss der Brasilianer mit einer Startnummer jenseits der 30 antreten. Aber im Verlauf des Winters könnte mit dem Rückkehrer zu rechnen sein.
Vielleicht sitzen dann auch Millionen von Brasilianern vor dem Fernseher, denen bislang höchstens Wasserskifahren ein Begriff war. Seine Grossmutter könne ihn erstmals in Aktion sehen, freut sich Pinheiro. Es ist eine Anekdote in dieser Story, die der Showman gerade schreibt. Wie sie enden soll, ist ihm sonnenklar: