Die EU hat sich mit Grossbritannien auf eine Verlängerung der Austrittsfrist geeinigt. Doch das ist nur ein technisches Detail. In London sind die beiden feindlichen Lager so tief in ihre Schützengräben eingegraben wie einst die Soldaten in Flandern im Ersten Weltkrieg. Wie damals wird der Politkrieg mit jeder Schlacht sinnloser. Auf der Insel gibt es nur Verlierer.
Nicht so auf der geopolitischen Bühne. Dort stehen zwei Sieger bereits fest: Donald Trump und Wladimir Putin. Der amerikanische und der russische Präsident haben ihr Ziel erreicht: Die EU ist massiv geschwächt.
Theresa Mays Tage als Premierministerin sind gezählt. Offen ist einzig noch der Zeitpunkt ihres Rücktritts – Sommer oder Herbst – und wer ihre Nachfolge antreten wird. Die Wettbüros kennen den Sieger bereits: Boris Johnson.
Trotz seines unglaublichen Opportunismus ist der ehemalige Bürgermeister von London bei den Basis der Konservativen nach wie vor beliebt. Er hat daher gute Chancen, sein Lebensziel zu erreichen, in der Downing Street 10 einziehen zu können.
Die Aussicht auf einen Premierminister Johnson stellt Brüssel vor beinahe unlösbare Probleme. Derzeit verhandelt May zwar noch mit der oppositionellen Labourpartei über einen möglichen Soft Brexit. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sie dabei eine Lösung erzielen wird, und selbst wenn es ihr gelingen sollte: Wer kann die Garantie geben, dass sich ihr Nachfolger auch daran halten wird?
Die Vorzeichen stehen schlecht. Bei einer Verlängerung der Frist muss auch das Vereinigte Königreich die Europawahlen im kommenden Mai durchführen. Formal gehören die Briten dann immer noch zur EU. Doch die harten Brexit-Anhänger haben deutlich gemacht, dass sie sich nicht an die Spielregeln halten werden.
Jacob Rees-Moog, der Chefideologe des Brexit-Lagers, tweetete bereits vor Tagen: «Sollten wir wegen einer grossen Verlängerung in der EU stecken bleiben, werden wir so viel Ärger wie möglich machen. Wir werden gegen jede Budgeterhöhung das Veto einlegen, uns gegen eine europäische Armee zur Wehr setzen und Macrons integrationistische Pläne durchkreuzen.»
Kein Wunder also, herrscht gerade in Paris mässige Freude darüber, dass der «perfidious albion» (alter Ausdruck für «hinterhältige Engländer») weiter der EU angehören soll. Weil es jedoch geopolitische und vor allem sehr gewichtige wirtschaftliche Interessen gibt, wird man es wohl noch einmal mit den Briten versuchen, allerdings nicht, ohne Sicherungen einzubauen.
Als Bedingung für eine Verlängerung verlangt Brüssel, dass die Briten davon absehen, EU-Institutionen zu behindern, und sich so verhalten, wie es sich für jemanden gebührt, der den Club verlassen will. Konkret bedeutet dies, sich nicht an Wahlen im Europaparlament zu beteiligen und für keine Ämter zu kandidieren.
Theresa May scheint gewillt zu sein, diese Bedingungen zu akzeptieren. Ob Boris Johnson oder andere mögliche Nachfolger – genannt werden Dominic Raab und Michael Gove, beides Brexit-Hardliner – sich daran halten werden, ist ungewiss. «Die Vorstellung einer ‹Boris-Sicherung› ist lächerlich erklärt ein altgedienter konservativer Abgeordneter gegenüber der «Financial Times». «Das Parlament kann den Nachfolger nicht in die Pflicht nehmen, unabhängig davon, was die Premierministerin mit der Labourpartei oder der EU aushandelt.»
Ähnlich düster sieht es bei der Opposition aus. Labour-Chef Jeremy Corbyn ist ein Steinzeit-Sozialist, der geistig noch in den 70er Jahren lebt. Er hasst die Nato, bewundert Putin und steht der EU misstrauisch gegenüber. Wie dieser Mann mithelfen soll, einen vernünftigen Brexit-Vertrag auszuhandeln, ist schwer vorstellbar.
Johnson auf der rechten Seite, Corbyn auf der linken: Die Voraussetzungen, dass sich die Briten weiterhin in einem sinnlosen Brexit-Krieg selbst zerfleischen, sind gegeben. Trump und Putin können daher den Champagner kalt stellen. Den Briten droht derweil ein langer und kalter politischer Winter. «Grossbritannien befindet sich auf einem langen Pfad hin zu Radikalisierung und Polarisierung», stellt Gideon Rachman in der «Financial Times» fest. «Es wir sehr schwer werden, wieder umzukehren.»